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Auf und Ab

Der Wiener Wohnbau im Wechselbad der Gefühle.     .

Vom Musterknaben zum Sorgenkind - und retour.

Es wurde gemunkelt und gemauschelt, viele haben es befürchtet, einige waren sogar überzeugt davon. Als es offiziell wurde, hat die Nachricht trotzdem eingeschlagen wie eine Bombe: Wien, langjähriger Musterknabe im Wohnbau und folglich Liebkind der Bauwirtschaft, muss dem Primat der Budgetkonsolidierung folgend, die Wohnbaufördermittel drastisch kürzen. Ganze 70 Millionen Euro würden 2011 weniger zur Verfügung stehen. Bald stand fest, wo der Rotstift angesetzt wird. Sanierung und Subjektförderung werden nicht angetastet, die gesamte Last hat der Neubau zu tragen. Von den rund 7.000 Wohneinheiten, die seit dem Amtsantritt von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig pro Jahr errichtet worden sind, muss man sich damit vorerst einmal verabschieden. Wie viel Einheiten 2011 tatsächlich neu bewilligt werden sollen, war vorerst nicht abschätzbar. Optimisten sprachen von rund 5.000 Einheiten, es machten aber auch Gerüchte die Runde, dass es nur noch 2.000 Einheiten sein sollten.
Es herrschte große Aufregung in der Welt des Baus. Sogar der soziale Friede wurde schon in Gefahr gesehen. Nicht nur die Bundesinnung Bau und die Gewerkschaft Bau Holz warnten vor einem drohenden »Mangel an leistbaren Wohnungen«. Auch die Bauträger fanden deutliche Worte. Herbert Ludl, Generaldirektor der Sozialbau AG, sprach von einer weiteren Verschärfung des bestehenden Marktungleichgewichts. »Spätestens in den Jahren 2013 und 2014 wird der wachsenden Nachfrage kein angemessenes Angebot an leistbarem Wohnraum gegenüberstehen«, sagt Ludl. Gesiba-Generaldirektor Ewald Kirschner rechnete ebenfalls mit »Engpässen auf dem Wohnungsmarkt ab 2013«. Und auch beim österreichischen Siedlungswerk ÖSW zeigte man sich wenig erfreut. »Wien wurde zweimal hintereinander zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt. Das ist auch ein Verdienst der Wohnpolitik. Wenn es in Zukunft weniger Wohnungen gibt, werden die Preise steigen und die Lebensqualität sinkt«, sagte ÖSW-Vorstand Michael Pech. Er hoffte zudem auf die politische Vernunft der Akteure. Denn die Auswirkungen der Kürzungen der Wohnbaufördermittel würden ziemlich genau zu den nächsten Wahlen schlagend werden und der Opposition jede Menge Munition im Wahlkampf liefern. Ähnlich pragmatisch ging Kallco-Geschäftsführer Winfried Kallinger an die Sache. »In Wien spielt der geförderte Wohnbau eine so große Rolle, dass es sich die Stadt politisch gar nicht leisten kann, ein zu großes Vakuum entstehen zu lassen.«
Was schlussendlich ausschlaggebend war – ob die politische Vernunft oder das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl –, ist im Detail nicht überliefert. Tatsache ist, dass die Stadt reagiert hat. Und zwar deutlich schneller, als selbst die größten Optimisten erwartet hätten.

Frisches Geld
Um den Ausfall der Wohnbaufördermittel zu kompensieren, ergreift die Stadt Wien eine Chance, die der Finanzmarkt bietet. Durch das historisch niedrige Zinsniveau können auch im frei finanzierten Wohnbau Mietwohnungen zu ähnlich günstigen Konditionen wie im geförderten Wohnbau errichtet werden. »Das Finanz- und Wohnbauressort der Stadt Wien haben eine neue Wohnbauoffensive auf Schiene gestellt, deren Umsetzung mithilfe von Partner-Konsortien erfolgt«, erklärten Finanzstadträtin Renate Brauner und Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Die Stadt nutzt ihre große Bonität und gibt die günstigen Konditionen weiter. 500 Millionen Euro sollen die Errichtung von rund 7.500 Wohnungen zu leistbaren Konditionen ermöglichen. Damit sollen Gesamtinvestitionen von 1,25 Milliarden Euro ausgelöst werden.
Die Stadt Wien nimmt zu günstigen Konditionen am Finanzmarkt Geld auf. Dieses aufgenommene Geld wird den Bauvereinigungen mit einem Aufschlag, der die entstehenden Kosten abdeckt, weitergegeben. Die Konditionen dafür liegen also geringfügig über den Refinanzierungsbedingungen der Stadt Wien. Die Bauvereinigungen erhalten Finanzmittel im Ausmaß von 800 Euro pro errichteten Quadratmeter. Außerdem stellt die Stadt Wien Liegenschaften zu Bedingungen des geförderten Wiener Wohnbaus der letzten Jahre zur Verfügung. Die Konsortien müssen ihrerseits die verbleibende Finanzierung sicherstellen sowie bestimmte Miet- und Eigenmittelbeitragsobergrenzen einhalten. Die verpflichtende Mietpreisbindung besteht zehn Jahre lang ab Baufertigstellung und gilt sowohl für Neuvermietung als auch für die Wiedervermietung.
Außerdem haben die Partner-Konsortien bei der Gestaltung der Wohnbauten auf ökologische Standards und die Erstellung eines Freiraumkonzepts mit hohem Augenmerk auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen Bedacht zu nehmen.
Die neuen Geldmittel werden dem Vernehmen nach vor allem dem Großprojekt Seestadt Aspern zugute kommen, das unter den Kürzungen der Wohnbaumittel am meisten zu leiden gehabt hätte. Entsprechend groß ist die Freude über die neue Finanzierungsoffensive bei der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 AG. »Wir sehen gerade auch für die Seestadt großes Potenzial in diesem neuen Modell, das sich zwischen den bestehenden geförderten und freifinanzierten Systemen eingliedert und die hohen Qualitätsansprüche des geförderten Wohnbaus fortführt. Die Seestadt Wiens ist seit Beginn der Entwicklung ein Boden für alternative Lösungen und innovative Prozesse und deshalb ein idealer Standort, um dieses Modell erstmals zur Anwendung zu bringen«, erklärt Rainer Holzer, Vorstand der Wien 3420 AG.
Auch die Bausozialpartner begrüßen die Wohnbauoffensive von Finanzstadträtin Renate Brauner und Wohnbaulandesrat Michael Ludwig. »Wien reagiert rasch und mutig auf den bereits bestehenden Wohnungsmangel und begibt sich nicht in die Warteschleife, um die nächsten Finanzausgleichsverhandlungen abzuwarten. Mit dieser Wohnbauoffensive sichert Wien einem gezielten Klientel ein leistbares Wohnen«, sagt Gewerkschafter Josef Muchitsch. Und Hans-Werner Frömmel, Bundesinnungsmeister Bau, ergänzt: »Damit setzt Wien eine vorbildhafte Maßnahme und nimmt eine Vorreiterrolle ein. Außerdem beweist die Stadt damit, dass man neben der unbedingt notwendigen Wohnbauförderung auch noch zusätzliche Instrumente für einen bedarfsorientierten Wohnbau einsetzen kann.«
Kritik an der Finanzierungsinitiative kommt aus dem Lager der Architekten. Die Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland, begrüßt zwar prinzipiell die Maßnahme, vermisst aber »klare Regulative für die zwingende Durchführung qualitätssichernder Verfahren wie Architekturwettbewerbe«. Nur durch solche Instrumente kann laut Kammerpräsident Walter Stelzhammer gewährleistet werden, dass das hohe Niveau des geförderten Wohnbaus auch im Rahmen dieser von privaten Konsortien getragenen Wohnbauoffensive gehalten werden kann.

Gemeinnütziger Wohnbau
Die 500 Millionen Euro der Stadt Wien kommen dem frei finanzierten Wohnbau gerade recht. Denn im gewerblichen und frei finanzierten Wohnbau hat sich die Krise am stärksten bemerkbar gemacht und zu einer deutlichen Reduktion der Wohnungsproduktion geführt. Dagegen hat sich die gemeinnützige Wohnungswirtschaft erneut als Garant einer stabilen Neubauleistung erwiesen. 2010 errichteten die gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV) insgesamt rund 14.800 neue Wohnungen. Der leichte Rückgang von 5,8 Prozent ist laut GBV-Obmann Karl Wurm den zahlreichen Großprojekten geschuldet, die naturgemäß eine längere Realisierungsphase in Anspruch nehmen. Dafür kündigen die aktuellen Zahlen der Schnellerhebung des GBV-Verbandes für 2011 ein absolutes Leistungshoch an. Mit mehr als 17.000 fertiggestellten Wohnungen steuern die Gemeinnützigen ein seit 2007 nicht mehr erreichtes Niveau an.
Damit die Gemeinnützigen auch in Zukunft ein ausreichendes Angebot an leistbaren Mietwohnungen schaffen können, gilt es laut Wurm, neben einer bedarfsgerechten Dotierung der Wohnbauförderungsbudgets auch bei der Absicherung des gemeinnützigen Eigenkapitals anzusetzen. »Es ist nichts Unanständiges, wenn Gemeinnützige über eine solide Eigenkapitalquote verfügen«, wird Wurm nicht müde zu betonen. Schließlich setzen die Gemeinnützigen heute pro errichteter Mietwohnung rund 15.000 Euro an Eigenkapital ein. Das ist das Doppelte des Eigenkapitaleinsatzes im Vergleich zu vor etwa 20 Jahren. Wäre es in den letzten Jahren zu keiner Steigerung der Gewinne und somit zu einer Erhöhung des Eigenkapitaleinsatzes gekommen, hätte dies ihren Niederschlag in einem spürbaren Mietanstieg gefunden. »Die GBV finanzieren gegenwärtig bis zu 15 Prozent der Grund- und Baukosten mit ihrem Eigenkapital. Das dämpft die Mieten um rund 300 Euro pro Wohnung und Jahr gegenüber einer Kapitalmarktfinanzierung«, erklärt Wurm. Außerdem erhöht eine solide Eigenkapitalausstattung auch die Bonität bei der Kreditvergabe. »Das schlägt sich in günstigeren Zinsen und damit in Folge günstigeren Mieten nieder«, so Wurm.
Dass die Wohnbauförderung für leistbaren Wohnraum unverzichtbar ist, ist unbestritten. Durch den Einsatz von Objektförderungsmitteln werden die Mietkosten je nach Alter der Wohnung um bis 260 Euro pro Monat gegenüber einer frei finanzierten Wohnung »hinuntersubventioniert«. Mit der Aufhebung der Zweckbindung wurde die Leistungskraft und Nachhaltigkeit des Systems aber deutlich geschwächt. Die Gelder fließen nun »ohne Mascherl« in die allgemeinen Budgets der Länder. Das wird von den Ländern auch leidlich zur Sanierung der Haushalte ausgenutzt. Die Landesbudgetvoranschläge 2011 deuten laut Wurm auf keine Trendwende, sondern vielmehr auf rückläufige Förderungsmittel hin. Die Reduktion geht dabei wie auch am Beispiel Wien gesehen zulasten des Neubaus. Während in diesem Segment geringere Ausgaben gegenüber den Vorjahren vorgesehen sind, steigen sie im Sanierungs- und Wohnbeihilfesegment markant an. Die GBV schlägt nun eine bedarfsgerechte Dotierung der Wohnbauförderungsmittel der Länder auf dem Niveau des »Förderjahres« 2008 vor. Hierzu sollten die aushaftenden Darlehen und die daraus resultierenden Rückflüsse in der Höhe von 875 Millionen Euro sowie der Wohnbauförderungsbeitrag von 630 Millionen Euro zweckgebunden werden. Damit wären rund 50 Prozent der Förderungsausgaben gedeckt. Der Rest der erforderlichen rund 2,8 Milliarden Euro wäre von den Ländern beizusteuern.

 

Best Practice
CITYCOM2, ÖSW.
Im Sommer 2010 fiel der Startschuss zu einem der derzeit außergewöhnlichsten Wohnbauprojekte in Wien. In der Leopoldstadt realisiert das Österreichische Siedlungswerk mit CITYCOM2 das erste Wohngemeinschaftenhaus, das für alle Zielgruppen offen ist. Ab Ende 2011 sollen sich hier in 42 WGs Künstler und Sportler genauso wie Rentner, Studenten oder alleinerziehende Elternteile zu ihrer ganz besonderen Wohngemeinschaft zusammenfinden. Planung und Konzeption orientieren sich konsequent an den Bedürfnissen von WGs. Alle Zimmer sind getrennt begehbar, jeder Mitbewohner erhält einen eigenen Mietvertrag. Zieht ein WG-Mitglied aus, hat die Gemeinschaft das Nachbesetzungsrecht. Den WG-Bewohnern steht eine große, voll möblierte Wohnküche zur Verfügung. Außerdem verfügen alle WGs neben einem Freiraum auch über mehrere kleine Badezimmer und WCs. www.citycom2.at

Oase 22, Gesiba. Ende März beginnen in der Donaustadt im Rahmen des Großprojekts »Wohnpark Neu Stadlau« die Arbeiten an einem neuen Vorzeigeprojekt der Gesiba. Entsprechend dem Leitgedanken »Freiraum für das ganze Leben – Gemeinschaftliches Wohnen in Neu Stadlau« werden auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Waagner-Biro 169 geförderte Mietwohnungen und 30 betreubare Wohneinheiten errichtet. Die Wohnhausanlage wird in sechs unterschiedliche Baukörper gegliedert, die durch insgesamt vier sogenannte Fugenbereiche miteinander verbunden sind. Im Erdgeschoß dienen diese als Durchgänge, zwei weitere Fugenbereiche markieren den Übergang zu anderen Bauplätzen im »Wohnpark Neu Stadlau«. Alle Wohneinheiten verfügen über einen privaten Freiraum, jedes Haus zudem über eine Dachterrasse mit bepflanzbaren Hochbeeten. www.gesiba.at

Europastraße, WAG. Im Linzer Stadtteil Oed steht ein ökologisches Vorzeigeprojekt kurz vor der Vollendung. In unmittelbarer Nähe zur Wellnessoase Hummelhof errichtet die WAG Wohnungsanlagen GmbH auf einem rund zwei Hektar großen Areal 130 geförderte Mietwohnungen. Die Anlage besteht aus fünf winkelförmigen fünfgeschoßigen Gebäuden sowie zwölf Reihenhäusern. Alle Gebäude werden in Niedrigstenergiebauweise errichtet. Geheizt wird mit Fernwärme, die Warmwasseraufbereitung erfolgt mittels Fernwärme sowie Sonnenkollektoren auf dem Flachdach. Alle Häuser und Wohnungen sind barrierefrei ausgeführt. www.wag.at

Wohnanlage Tschagguns, Vogewosi. Vorwiegend kleinere Wohnanlagen im ländlichen Raum errichtet die Vorarlberger gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft Vogewosi. Ein aktuelles Beispiel dieser dezentralen Siedlungspolitik ist eine Wohnhausanlage in Tschagguns-Unterziegerberg, die dieser Tage an die zukünftigen Bewohner übergeben wird. Die Anlage wird in Passivhausstandard errichtet und besteht aus zwölf Wohnungen und einem Geschäftslokal. Alle Wohnungen sind barrierefrei. www.vogewosi.at

 

 

 

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