Kein Kavaliersdelikt
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Beinahe täglich tauchen Berichte über neue Korruptionsfälle und Wirtschaftsdelikte auf. Laut einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) war nahezu jedes zweite österreichische Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren von Wirtschaftskriminalität betroffen. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen.
Österreich – ein einziger Sündenpfuhl? Worüber sich gelernte Österreicher kaum noch wundern, lässt ausländische Beobachter die Köpfe schütteln. Dass Korruption und andere Wirtschaftsdelikte derzeit in aller Munde sind, rührt aber nicht von immer mehr verlotternden Sitten in der Alpenrepublik. Die Zunahme aufgedeckter Fälle liegt laut der aktuellen PwC-Studie »Wirtschaftskriminalität 2011« am steigenden Problembewusstsein. »Es gibt nicht mehr Korruption als früher. Sie wird nur sichtbarer«, sagt Kai Bussmann, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Halle-Wittenberg. Je mehr Unternehmen Präventions- und Kontrollmaßnahmen umsetzen, desto mehr Straftaten kommen ans Tageslicht.
Grundlage der Erhebung sind standardisierte Telefoninterviews mit Verantwortlichen in 100 Großbetrieben in Österreich. Um auch Rückschlüsse auf die Erfahrungen der Unternehmen mit nationaler und internationaler Korruption ziehen zu können, verfügen mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen über Auslandsstandorte. Ein Drittel der Unternehmen beschäftigt 500 bis 1.000 Mitarbeiter, ein Viertel mehr als 10.000 Mitarbeiter. Erstmals wurde in der Studie, die PwC seit 2001 in zweijährigen Intervallen erstellt, außerdem nach konkreten Verdachtsfällen gefragt. »Wenn man über die entdeckten Straftaten hinaus auch das Dunkelfeld der Delikte zu erhellen versucht, die von Unternehmen lediglich vermutet wurden, steigt der Anteil der von Kriminalität betroffenen Unternehmen deutlich«, erläutert Bussmann. Während 47 % über entdeckte Fälle berichten, erwähnten 65 % der befragten Unternehmen Verdachtsfälle, die in den Jahren 2009 bis 2011 aufgetaucht waren.
Gute Bekannte
Die Täter sind in der Regel »keine Unbekannten, die plötzlich aus dem Busch springen«, so Steffen Salvenmoser, Certified Fraud Examiner und Leiter Forensic Services bei PwC Österreich. Der typische Wirtschaftskriminelle ist männlich, zwischen 30 und 50 Jahre alt und schon lange im Unternehmen tätig, oft sogar im mittleren oder oberen Management. Die kleine Buchhalterin, die heimlich Geld auf ihr eigenes Konto umleitet, entspricht also nur einem häufig strapazierten Klischee. Je höher die Position, desto leichter lassen sich kriminelle Handlungen vertuschen. Ob ein größerer Frauenanteil in Führungsfunktionen mehr Integrität bewirken würde, darüber sind sich die Studienautoren nicht einig. Während Salvenmoser das weibliche Geschlecht für ebenso korrumpierbar hält, setzt Bussmann auf das größere Verantwortungsbewusstsein von Frauen. Eine Zeichnungspflicht nach dem Vier-Augen-Prinzip bringe dagegen nicht genügend Sicherheit: Erfahrungsgemäß werden unter Zeitdruck Unterschriften geleistet, ohne noch genau zu prüfen – im Vertrauen.
»Das ist auch eine große Hürde für interne Kontrollmaßnahmen: Gerade die vertrauten Mitarbeiter entsprechen dem möglichen Täterprofil«, erklärt Salvenmoser. Bei mehr als zwei Dritteln der berichteten Fälle waren Personen aus dem eigenen Haus zumindest beteiligt. 42 % der Haupttäter kamen aus dem Unternehmen selbst, 28 % waren in Kollusion, also als Komplizen, involviert. Unter den externen Tätern unterhielten fast 80 % eine Beziehung zum Unternehmen, entweder als Geschäftspartner (50 %) oder als Kunden (29 %). Die Bandbreite der Delikte reicht von Vermögensdelikten wie Betrug und Untreue, die den Großteil der Straftaten ausmachen, über Diebstahl vertraulicher Daten und Betriebsspionage bis zu Bestechung und Geldwäsche. Nur jedes zweite Unternehmen verfügt jedoch über ein entsprechendes Kunden- bzw. Geschäftsmonitoring, um sich vor kriminellen Angriffen von außen zu schützen.
Mantel des Schweigens
Die Schäden belaufen sich im Schnitt auf 1,9 Millionen Euro, in 5 % der Fälle sogar auf 10 bis 50 Millionen Euro. In diesen Beträgen sind die Kosten für die Aufarbeitung – durchschnittlich rund 260.000 Euro – sowie Folgekosten durch beeinträchtigte Reputation in der Öffentlichkeit noch gar nicht inbegriffen. »Es sind weniger die direkten Kosten, die spürbar und schmerzhaft sind«, bestätigt Bussmann. Bei 38 % der börsennotierten Unternehmen zog das Bekanntwerden des Kriminalfalles einen massiven Kurseinbruch nach sich. Bei mittelständischen Unternehmen können die finanziellen Schäden leicht existenzbedrohende Dimensionen annehmen.
Angesichts dieser Summen ist es wenig verwunderlich, dass betroffene Unternehmen lieber den Mantel des Schweigens über Straftaten breiten. Meist beschränken sich die Konsequenzen bei Tätern aus dem eigenen Haus auf Kündigung, sie haben zum überwiegenden Teil nicht einmal eine Strafanzeige zu befürchten. Aber auch externe Täter können sich in Sicherheit wiegen – lediglich die Geschäftsbeziehungen werden abgebrochen. Nur knapp zwei Drittel müssen sich vor Gericht verantworten, denn Delikte wie etwa Schmiergeldzahlungen werden noch allzu oft von der Geschäftsleitung gebilligt. In manchen Branchen bzw. Ländern ist es fast üblich, sich auf unlautere Art Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Unternehmen, die sich diesen informellen Marktgesetzen verweigern, haben das Nachsehen. Der Grat ist mitunter schmal: Der Lenker eines Lkw mit Lebensmitteln kann an einer osteuropäischen Grenze die Durchfahrt mit ein paar Scheinen in den Frachtpapieren entscheidend beschleunigen – wartet er ohne »Bakschisch« auf die rechtmäßige Abfertigung, kann das dauern. Die Ladung ist dann möglicherweise verdorben.
Verdeckte Hinweise
Im Wesentlichen decken sich die Studienergebnisse aus Österreich mit den in anderen Ländern erhobenen Daten. Im direkten Vergleich mit Deutschland sticht jedoch eine deutliche Abweichung ins Auge: Jedes dritte Unternehmen in Österreich rechnet damit, dass hier Korruption und wettbewerbswidrige Absprachen künftig noch häufiger auftreten. Es scheint, als hätten sich viele Unternehmen mit dieser Geschäftspraxis abgefunden.
Dennoch ortet PwC ein Umdenken: Hatten 2007 nur 21 % der Unternehmen ein Anti-Korruptionsprogramm eingeführt, sind es in der aktuellen Umfrage bereits mehr als die Hälfte. Viele befinden sich allerdings erst in der Aufbauphase, erst bei 15 % der Betriebe funktioniert es tatsächlich.
Da kaum systematisch nach Unregelmäßigkeiten gesucht wird, ist es in der Regel Kommissar Zufall oder anonymen Hinweisen von Mitarbeitern zu verdanken, wenn Fälle aufgedeckt werden. »Die Masse an Delikten wird durch Tippgeber entdeckt, nicht durch interne Revision«, sagt Strafrechtsexperte Bussmann. Eine offene Unternehmenskultur ist besonders wichtig, denn Compliance-Programme funktionieren nur, wenn sie von allen mitgetragen werden. Trauen sich Mitarbeiter nicht, ihre Meinung zu sagen, könnte die Installierung eines unabhängigen Ombudsmannes eine mögliche Lösung sein. Über diesen Umweg fällt auch die verständliche Beißhemmung gegenüber Vorgesetzten weg. Trotz der großen präventiven Wirkung – die Furcht, entdeckt zu werden, schreckt Täter nachweislich stärker ab als strenge Strafen – sind Hinweisgebersysteme nur als Teil eines umfangreichen Kontrollsystems zu empfehlen, quasi als Notbremse in letzter Minute. »Ein Hinweisgebersystem ist wie eine Babyklappe«, meint Salvenmoser.
Druck von außen
Jedes zweite Unternehmen hat nicht nur die Bekämpfung von Korruption im Fokus, sondern will auch gegen andere Formen von Wirtschaftskriminalität wie Vermögensdelikte oder Falschbilanzierung präventiv wirken. Die meisten dieser Unternehmen sind international tätige, börsennotierte Konzerne, die aufgrund von Haftungsrisiken Compliance-Programme installieren. Insbesondere die strengen US-rechtlichen Anforderungen hatten erhebliche Signalwirkung für die Entwicklung weltweit gültiger Standards. Mittelständische Betriebe befinden sich häufig als Subunternehmer oder Zulieferer in einer Geschäftsbeziehung zu Konzernen, die Compliance-Standards auch von ihren Geschäftspartnern verlangen. Darin liege die große Chance, meinen die Studienautoren. Denn die Unternehmen werden zwar nicht aus Schaden klug, sprechen aber stark auf Druck von außen an. »Die Großen machen es vor, weil sie sofort an den Pranger gestellt würden. Der Mittelstand wird mitziehen müssen«, hofft Salvenmoser auf eine Top-down-Dynamik: Einige Unternehmen hätten bereits begonnen, Integrität als Wettbewerbsvorteil zu sehen und damit zu werben.
Es ist zu erwarten, dass sich mittelfristig auch die Justiz an diesen Präventionsstandards orientieren wird. Im Rahmen der strafrechtlichen Unternehmenshaftung könnten sich unterdurchschnittliche Compliance-Maßnahmen bei wirtschaftskriminellen Vorfällen als strafbegründend und sogar strafverschärfend auswirken. Bereits 2009 stellte der Bundesgerichtshof in Deutschland eine »Sonderverantwortlichkeit« für die Integrität des übernommenem Verantwortungsbereichs fest. Ein fehlendes oder mangelhaftes Compliance-Programm dürfte somit erhebliche strafrechtliche Folgen für alle Verantwortlichen nach sich ziehen.