Wasserstoff als Klimaretter
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft und mögliche Lösung der Klimakrise. Österreich und Deutschland wollen sich als »Wasserstoff-Nationen« positionieren. Einige heimische Unternehmen sind vorne mit dabei, doch die Technologie hat noch ihre Tücken.
Wasserstoff weist eine hohe Energiedichte auf, kann Überschüsse aus erneuerbaren Energien speichern und diese später in Strom und Wärme umwandeln. Diese Eigenschaften machen das häufigste chemische Element des Universums zu einem neuerdings sehr begehrten Grundstoff, der als vielversprechende Option für eine klimafreundliche Zukunft gilt. Vor allem in energieintensiven Branchen wie der Stahl-, Papier-, Zement- und chemischen Industrie könnte Wasserstoff als Energieträger zur Dekarbonisierung beitragen. Als Treibstoff bewährt er sich bereits.
In China sind schon zehntausende Trucks mit Wasserstoff-Antrieb auf den Straßen unterwegs. Die europäischen Lkw-Hersteller Iveco, MAN, Daimler und Volvo testen ebenfalls neue Brennstoffzellen für Schwerlastverkehr. Auch Züge, Busse und Frachtschiffe können gut mit Wasserstoff fahren. Airbus will bis 2035 ein Passagierflugzeug mit Wasserstoffantrieb entwickeln.
Grün, türkis, blau, grau
Mögliche Anwendungen waren auch Thema des Arbeitskreises Wasserstoff bei den Alpbacher Technologiegesprächen im August 2020. Theresia Vogel vom Klima- und Energiefonds sprach sich dabei für eine Differenzierung aus – entscheidend sei, wie der Wasserstoff hergestellt werde. Nur auf den ersten Blick ist Wasserstoff eine saubere Sache. Er kann jedoch ein Klimakiller sein. Weil Wasserstoff nur in gebundener Form vorkommt und für seine Abspaltung viel Energie benötigt wird, ist er nur so nachhaltig wie der verwendete Energieträger.
Als »grün« gilt in Österreich gemeinhin jener Wasserstoff, der durch Elektrolyse aus erneuerbaren Energien wie Solar- oder Windstrom gewonnen wird. Die EU weitet das Farbenspektrum aus: »Türkiser« Wasserstoff stammt aus thermischer Spaltung von Methan (Erdgas). »Grauer« Wasserstoff wird aus fossilen Treibstoffen hergestellt, ebenso wie »blauer« Wasserstoff – hier wird jedoch das abgespaltene CO2 gespeichert, damit es nicht in die Atmosphäre gelangt. Grauer Wasserstoff ist also keine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Treibstoffen. Im Gegenteil: Bei der Aufbereitung geht zusätzliche Energie verloren. Derzeit werden global mehr als 90 Prozent des Wasserstoffs aus fossilen Quellen erzeugt.
Es spießt sich am Preis und an der Technologie: Noch ist grüner Wasserstoff sehr teuer. Während fossiler Wasserstoff rund zwei Euro pro Kilogramm kostet, ist erneuerbarer nicht unter sechs Euro zu haben. Um die ökonomischen Nachteile auszugleichen, sind Förderungen und intensive Forschung nötig. Alexander Trattner vom Hydrogen Center Austria der TU Graz hält langfristig einen Preis von drei Euro pro Kilogramm möglich, wenn die Produktion in großtechnischen Elektrolyse-Anlagen erfolgt.
Großer Bedarf
Bild oben: Worthington Cylinders produziert in Kienberg extrem druckresistente Behälter für Wasserstoff.
Wer umweltfreundlichen Wasserstoff herstellen will, benötigt jedoch Ökostrom – und zwar sehr viel. Allein um den derzeitigen Verbrauch an grauem Wasserstoff durch grünen zu ersetzen, würde man in Österreich 27 Terawattstunden Strom benötigen. Diese Menge entspricht jener Kapazität, die geplant ist, um Österreich bis 2030 vollständig mit Ökostrom zu versorgen.
Der Ausbau erneuerbarer Energie müsste also nochmals verdoppelt werden – oder man importiert aus anderen Ländern, etwa aus Skandinavien, Osteuropa oder Nordafrika, und zwar in großem Stil. In der Nordsee könnten alte Öl- und Gasplattformen zur Wasserstoffproduktion umgebaut werden, über eine gemeinschaftliche Nutzung verhandeln die Anrainerstaaten. Mit Marokko unterzeichnete die deutsche Regierung eine erste Vereinbarung für ein Großprojekt, auch mit Australien gibt es Gespräche. Über Pipelines oder mit Schiffen soll der Wasserstoff dorthin gebracht werden, wo er gebraucht wird.
Im »Green Deal« der EU-Kommission spielt Wasserstoff eine tragende Rolle. Mittels Förderungen sollen schon 2024 eine Million Tonnen Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen kommen – die sechsfache Menge, die heute zur Verfügung steht. Bis 2030 ist ein Ausbau auf zehn Millionen Tonnen geplant.
Auch Frankreich und Norwegen treiben ihre Pläne voran. Deutschland hat im Vorjahr eine Wasserstoff-Strategie beschlossen und mit neun Milliarden Euro dotiert. Errechnet wurde bis 2030 ein Bedarf von 100 Terawattstunden, das wäre 2000-mal mehr als die 35 Elektrolyseanlagen in Deutschland bereits jetzt produzieren. Überlegt wird nun, mit Windkraft betriebene Wasserstofffabriken auf dem offenen Meer zu errichten. Zieht man diesen Windstrom ab, fehlt er jedoch an anderer Stelle. Stefan Thimm, Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore, plädiert daher für zusätzliche Projekte zur Energiegewinnung: »Ansonsten haben wir am Ende nichts gewonnen.«
Auch Österreich bekennt sich im aktuellen Regierungsprogramm zu einer nationalen Wasserstoffstrategie. Die technischen Universitäten TU Wien, TU Graz und Montanuniversität Leoben haben sich zum Verbund TU Austria zusammengeschlossen, um ihr Knowhow zu bündeln. An den nötigen finanziellen Mitteln fehlt es freilich noch. Harald Kainz, Präsident des Verbundes und Rektor der TU Graz, nennt konkrete Zahlen: »500 Millionen Euro benötigt die Industrie für zeitnahe Prozessumstellungen sowie für den Aufbau von Produktionstechnologien, mit denen die notwendige Infrastruktur sichergestellt werden kann. 400 Millionen Euro braucht die industrienahe kooperative Forschung zur Weiterentwicklung und Überführung der Ergebnisse in den Markt. 100 Millionen Euro sollen der Grundlagenforschung in diesem Gebiet zukommen, um die theoretischen Möglichkeiten dieser Technologie voll ausschöpfen zu können und die Co-Finanzierung der europäischen Förderungen auch sicherzustellen.« Die gleiche Summe sollte nochmals bis 2030 zur Verfügung stehen.
Mehrfache Nutzung
Bild oben: Die OMV betreibt in Österreich bereits fünf Wasserstofftankstellen (li.). Das HyCentA der TU Graz verfügt über Europas modernsten Systemprüfstand (re.).
Am sinnvollsten halten die ExpertInnen den Einsatz von Wasserstoff in jenen Bereichen, wo fossile Energieträger nicht durch erneuerbare ersetzt werden können – vor allem im Schwerverkehr und in der Industrie. Die voestalpine, größter CO2-Emittent des Landes, strebt die CO2-freie Fertigung von Stahl an. In der Pilotanlage H2Future wird bereits intensiv an der großtechnischen Produktion von grünem Wasserstoff geforscht. Im Rahmen eines Konsortiums unter der Leitung von RAG Austria, Österreichs größtem Gasspeicherunternehmen, unterstützt der Stahlkonzern außerdem die Montanuniversität Leoben bei der Evaluierung einer neuen Technologie, die es ermöglicht, durch Pyrolyse von Erdgas, Wasserstoff und Carbon – ein wertvoller Rohstoff u. a. für die Herstellung von Computerchips, Batterien und Kohlenstofffasern – CO2-neutral aus einer Hand zu gewinnen.
Im Vorjahr fiel der Startschuss für das Projekt »H2Carinthia«, mit dem grüner Wasserstoff gleich zweifach genutzt werden soll – in der Microchip-Produktion bei Infineon Austria und für den öffentlichen Verkehr. Mit an Bord sind OMV, Postbus und Verbund. In der Halbleiter-Fertigung dient Wasserstoff als Träger- und Prozessgas. Bisher setzt Infineon dafür Flüssigwasserstoff ein, der aus fossilen Rohstoffen hergestellt und per Lkw nach Villach transportiert wird. Aufgrund des steigenden Bedarfs sind nachhaltigere Alternativen gefragt.
Mit Unterstützung durch die österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG soll noch heuer vor Ort grüner Wasserstoff mit Ökostrom erzeugt werden. Läuft alles nach Plan, erfolgt die Versorgung des Chipwerkes ab Mitte 2022 durch regional und grün erzeugten Wasserstoff. »Mit der Erzeugung von grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen am Infineon-Standort in Villach wollen wir auf unserem Weg zur CO2-Neutralität den nächsten Schritt für eine nachhaltige und ressourcenschonende Produktion setzen. Damit entfallen als zusätzlicher Effekt auch die Transportemissionen bei der Anlieferung«, sagt Thomas Reisinger, Vorstand für Operations bei Infineon.
Der zweite Teil des europaweit einzigartigen Projekts sieht eine weitere Nutzung des Wasserstoffs vor. Ging die Energie bislang trotz fachgerechter Entsorgung verloren, soll der Wasserstoff künftig ausgekoppelt, gereinigt und dann zum Betanken für Fahrzeuge genutzt werden. Der Projektpartner OMV betreibt in Österreich bereits fünf Wasserstoff-Tankstellen, nun kommt eine in Villach dazu. 15 Wasserstoff-Busse könnten damit in der ersten Ausbaustufe betankt werden und spätestens Anfang 2023 im Kärntner Zentralraum unterwegs sein. Wasserstoffmobilität verursacht keinerlei Emissionen von Lärm, Schadstoffen oder Treibhausgasen.
Treibstoff aus Wasserstoff
Im Bereich Mobilität ist die Wasserstoff-Technologie derzeit am aussichtsreichsten. Lkw, Busse, Züge und Schiffe sind – meist noch zu Testzwecken – auf einzelnen Strecken unterwegs. Derzeit handelt es sich in der Regel um Brennstoffzellenfahrzeuge, deren Wirkungsgrad gegenüber E-Fahrzeugen, die von einer herkömmlichen Batterie gespeist werden, geringer ist. Das Tanken funktioniert dafür schneller, die Reichweite ist größer – Vorteile, die sich im Güter- und Personenverkehr bezahlt machen.
Eine weitere positive Eigenschaft von Wasserstoff ist seine Speicherfähigkeit. Er kann gasförmig bei hohem Druck gespeichert oder verflüssigt werden, um das Volumen zu verkleinern. Zudem ist es möglich, Überschüsse aus erneuerbaren Energien für später aufzuheben. Für diese Langzeitspeicherung eignen sich z. B. stillgelegte, unterirdische Erdgaslager, in denen Wasserstoff ohne Verluste mehrere Monate oder sogar Jahre aufbewahrt werden kann.
Doch Wasserstoff ist teuer. Ein Ausweg könnte eine revolutionäre Technologie des Grazer Motorenbauers AVL List sein, der sich als Spezialist für Brennstoffzellen für Schwerlastfahrzeuge und Frachtschiffe international einen Namen gemacht hat. Gemeinsam mit dem Institut für Wärme und Öltechnik (IWO) forscht man an einer Power-to-Liquid-Anlage, die Wasserstoff in Verbindung mit CO2 chemisch verflüssigt. Das sogenannte Fischer-Tropsch-Verfahren benötigt weniger Strom. Das Ergebnis sind klimafreundliche, synthetische Brenn- und Kraftstoffe, die zudem billiger sind. »Mit der von uns geplanten Anlage wird der Wirkungsgrad für die Erzeugung des synthetischen Brenn- und Kraftstoffes signifikant verbessert und der Energieeinsatz an erneuerbarem Strom erheblich gesenkt. Dadurch erzielt man auch deutlich niedrigere Herstellungskosten«, so AVL-Konzernchef Helmut List.
Komplettlösung für KMU
Der US-Konzern Worthington Cylinders, einer der weltweit führenden Hersteller von Stahlflaschen für Sauerstoff oder Industriegase, investierte zehn Millionen Euro in den Standort Kienberg bei Gaming, um dort Hochdruck-Composite-Behälter herstellen zu können. »Im neuen Werk produzieren wir sehr leichte und extrem druckresistente Kunststoffbehälter, die als Tanks für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge, insbesondere in Bussen und Lkw, zum Einsatz kommen«, erklärt Geschäftsführer Timo Snoeren.
Mit den bis zu fünf Meter langen Behältern beliefert Worthington bereits die ersten Großkunden, z. B. das belgische Unternehmen Van-Hool, dessen Wasserstoffbusse im Raum Köln und Wuppertal im Einsatz sind. Eine Tankladung Wasserstoff reicht für 300 bis 350 Kilometer – bis flächendeckend genügend Wasserstofftankstellen verfügbar sind, vor allem eine Option für den städtischen Umkreis, etwa auch für die Müllabfuhr. Worthington will sich als umfassender Systemanbieter für Speicherung, Transport und Nutzung in der Wasserstoffwirtschaft positionieren. Eine weitere Produktionsanlage für Composite-Druckbehälter steht bereits in Polen. Zu Jahresbeginn übernahm das Unternehmen mit der deutschen PTEC Pressure Technology GmbH einen Entwickler von Komponenten für Wasserstoffbetanksysteme.
Das oberösterreichische Unternehmen Fronius International denkt in kleineren Dimensionen und wendet sich mit der Komplettlösung »Solhub« zur Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Rückverstromung von solarem Wasserstoff an Kommunen, Gewerbe- und Industriebetriebe. Eine Pholtovoltaik-Anlage liefert den Strom für die Elektrolyse, der erzeugte Wasserstoff kann gespeichert oder zur Betankung von Fahrzeugen genutzt werden. Nebeneffekt: Die Abwärme kann zum Heizen und zur Warmwasserbereitung verwendet werden.
Fronius beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit der Schlüsseltechnologie Wasserstoff und verfolgt ehrgeizige Ziele. In Steinhaus entsteht ein neues Wasserstoff-Kompetenzzentrum, um alle H2-Ressourcen zu bündeln, wie Projektleiter Christian Kasberger sagt: »Damit schaffen wir die idealen Voraussetzungen, um die Forschung, Entwicklung und Fertigung sowie den Verkauf und Kundenschulungen für H2-Systeme voranzutreiben.«
Facts: Kleine Farbenlehre
Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Die Bezeichnung nach Farben gibt aber Aufschluss über die Art seiner jeweiligen Herstellung.
Grüner Wasserstoff: Wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. Unabhängig von der gewählten Elektrolysetechnologie erfolgt die Produktion CO2-frei.
Grauer Wasserstoff: Wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. In der Regel wird Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt (Dampfreformierung). Das CO2 gelangt anschließend ungenutzt in die Atmosphäre und verstärkt so den Treibhauseffekt. Bei der Produktion von einer Tonne Wasserstoff entstehen rund zehn Tonnen CO2.
Blauer Wasserstoff: Ist im Prinzip grauer Wasserstoff, das bei der Produktion entstehende CO2 wird jedoch abgeschieden und gespeichert (CCS – Carbon Capture and Storage). Das CO2 gelangt somit nicht in die Atmosphäre. Befürworter betrachten die Bilanz als CO2-neutral, Umweltverbände sprechen von Etikettenschwindel.
Türkiser Wasserstoff: Wird über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt. Statt CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff. Voraussetzungen für die CO2-Neutralität des Verfahrens sind die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors aus erneuerbaren Energiequellen sowie die dauerhafte Bindung des Kohlenstoffs.