Aufgelegter Elfmeter
- Written by Mag. Bernd Affenzeller
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Für die laufenden Koalitionsverhandlungen hat die Nachhaltigkeitsinitiative »Umwelt + Bauen« ein Positionspapier erarbeitet. Dieses enthält umsetzungsfähige Maßnahmen, um leistbares Wohnen zu sichern und notwendige Infrastrukturmaßnahmen zu gewährleisten. Im Interview erklärt der Sprecher der Initiative, Josef Muchitsch, warum der Forderungskatalog für die Politik ein aufgelegter Elfmeter ist, wie die Forderungen finanziert werden sollen und was ihm am Nationalratswahlkampf besonders gefallen hat.
Report: Das »Umwelt + Bauen«-Positionspapier, das einem Forderungskatalog an eine neue Bundesregierung gleichkommt, beinhaltet zahlreiche Wohn-, Infrastruktur- und Umweltinvestitionen. Welche dieser Forderungen haben aus Ihrer Sicht Priorität?
Josef Muchitsch: Wichtig sind alle, aber jetzt gilt es vor allem, Maßnahmen zu setzen, die die Wirtschaft ankurbeln, Beschäftigung sichern und damit Steuereinnahmen fließen lassen. Genauso wichtig sind Maßnahmen, die leistbares Wohnen sicherstellen. Und zwar mit allen Facetten, die dazugehören. Das ist nicht nur die Zweckbindung der Wohnbauförderung alleine, sondern das reicht von vereinfachten Richtlinien und Baunormen bis hin zu Raumordnungsfragen und Änderungen im Wohnrecht.
Report: Sie haben das Positionspapier den 26 Koalitionsverhandlern bereits vorgestellt. Wie ist das Feedback darauf?
Muchitsch: Der große Vorteil von »Umwelt + Bauen« ist, dass wir Vertreter aus den verschiedensten Bereichen unter einem Dach vereinen. Durch diese Zusammenarbeit bringen sich die Sozialpartner und die wichtigsten Player in Sachen Wohnbau ein deutlich größeres Vertrauen entgegen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Das jetzt vorgelegte Papier ist ein bestmöglicher Konsens, bei dem alle Beteiligten an ihre Schmerzgrenze, aber nicht darüber gegangen sind. Für die Politik ist das ein aufgelegter Elfmeter. Denn wenn es diesen Konsens bereits gibt, ist es für eine künftige Regierung ein Leichtes, diesen Konsens auch umzusetzen.
Report: Sehen das die handelnden Personen auch so?
Muchitsch: Das ist schwer zu sagen, aber das Feedback ist positiv. Die Verhandler beider Parteien sind dankbar, dass es so ein Papier gibt. Wo es möglich war, den Verhandlern das Papier persönlich zu übergeben, habe ich auch darauf hingewiesen, dass man diese Themen in den Koalitionsgesprächen eigentlich nicht mehr verhandeln, sondern nur noch abschreiben müsste (lacht). Mir ist klar, dass das nicht passiert, aber möglich wäre es. Denn die Verhandlungen und Diskussionen wurden bereits geführt. Und das auch sehr intensiv. Aber der Unterschied bei einer Gruppe wie Umwelt+Bauen ist, dass alle zu einem Ergebnis kommen wollten. Auf der politischen Ebene besteht hingegen immer die Gefahr, dass ein Thema in koalitionären Kleingruppen zerredet wird.
Report: Aber selbst ein Konsens zwischen den Regierungsparteien bedeutet noch lange nicht, dass etwas auch tatsächlich umgesetzt wird, wie man im Wahlkampf an dem Thema Zweckbindung gesehen hat.
Muchitsch: Der Wahlkampf war wunderbar. Alle Parteien haben »leistbares Wohnen« plakatiert, selbst die Landeshauptleute haben sich für eine Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung ausgesprochen.
Report: Das gilt aber nicht für alle Landeshauptleute. Einige haben deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie einer Zweckbindung nur zustimmen, wenn es entsprechende Kompensationen gibt.
Muchitsch: Das mag schon sein. Aber die beiden Landeshauptleute, die ja die Republik in Wahrheit lenken, haben sich für die Wiedereinführung ausgesprochen. Und ich gehe davon aus, dass das auch nach der Wahl gilt. Besonders vor dem Hintergrund, dass alle Länder immer behaupten, sie würden mehr Geld für den Wohnbau ausgeben, als vom Bund zur Verfügung gestellt wird. Wenn dem so ist, wo ist dann das Problem?
Report: Das Thema Wiedereinführung der Zweckbindung wird seit Jahren diskutiert. Mit einigen Ausnahmen sind sich prinzipiell alle einig. Warum passiert dann nichts?
Muchitsch: Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erklären: Prinzipiell ist jeder dafür, die Umwelt zu schützen. Aber keiner will bei sich beginnen, nicht die Autofahrer, nicht die Industrie, nicht die Hauseigentümer. Das gilt auch für die Zweckbindung. Jeder ist dafür, aber keiner will den Anfang machen. Deshalb wollen wir einen synchronen Beginn. Bund, Länder und Gemeinden müssen sich im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen 2014 zur Zweckbindung verpflichten, nur so macht es Sinn. Wenn die Politik nicht den Mut aufbringt, eine der wenigen produktiven Förderungen in diesem Land, von der alle profitieren – Gemeinden, Länder, Bund, Wirtschaft, Arbeitnehmer, Wohnungssuchende – durchzusetzen, dann stimmt etwas nicht.
Report: Es tauchen täglich neue Horrorzahlen auf, wie viel im Budget fehlt. Die Koalition ist auf der Suche nach kurzfristigen Einsparungsmöglichkeiten. Dabei stehen neben Privatisierungen auch Subventionen und Förderungen zur Disposition. In diesem Klima fordern Sie eine höhere Dotierung der Wohnbauförderung. Wie passt das zur aktuellen politischen Stimmung?
Muchitsch: Die Frage ist, wie bringe ich meinen Haushalt wieder in Ordnung, wenn zu wenig im Börsel ist? Indem ich in Zukunft weniger ausgebe, aber auch indem ich darauf schau, dass wieder mehr hereinkommt. Und dafür muss man die Rahmenbedingungen schaffen. Wir haben konkrete Vorschläge wie den Handwerkerbonus oder die verpflichtende Rechnungslegung bei Inanspruchnahme von Förderungen. Damit wird ja auch wieder Geld eingespielt, das ich aber im Vorfeld zur Verfügung stellen muss.
Report: Die 3-Prozent-Sanierungsrate geistert seit Jahren durch die Branche. Mit Ausnahme der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen sind wir davon aber weit entfernt. Muss man sich von dieser Forderung langsam verabschieden?
Muchitsch: Für mich sind die Vorgaben aus Brüssel nicht in Stein gemeißelt. Die EU kann den Ländern nur dann etwas vorgeben, wenn die Umsetzung auch realistisch ist. Es ist uns schon gelungen, die Sanierungsrate auf 1,5 % zu verdoppeln, aber es gibt natürlich noch Luft nach oben. Ich denke schon, dass die 3 %
realistisch sind, auch deshalb, weil es mit dem Sanierungsscheck einen tollen Hebel gibt, der sogar noch mehr einspielt als er kostet. Die öffentliche Hand nimmt zuerst die Steuern ein, bevor die Förderungen ausgezahlt werden müssen.
Report: Die Mehrkosten Ihrer Forderungen belaufen sich auf rund eine Milliarde Euro. Wie soll das finanziert werden?
Muchitsch: Im Gegensatz zu anderen Initiativen stellen wir nicht nur Forderungen auf, sondern liefern auch gleich Finanzierungsmöglichkeiten mit: etwa durch Rückflüsse aus Steuern und Abgaben oder durch Zurverfügungstellung von zusätzlichem billigen Geld, das den Budgetpfad der Regierung nicht negativ beeinflusst. Dann könnte man auch Gelder aus den Pensionskassen heranziehen, die derzeit international veranlagt werden. Auch bei den Mitarbeitervorsorgekassen ist eine Änderung denkbar. Warum soll mit diesen Geldern am internationalen Markt spekuliert werden, wenn man das Geld auch sicher in den nationalen Wohnbau investieren könnte?
Report: Wo sehen Sie die größten Hürden bei der Umsetzung Ihrer Forderungen?
Muchitsch: Die größten Hürden sind dort, wo verschiedene Ebenen eine Lösung erzielen müssen – wenn sich Bund, Länder und Gemeinden einigen müssen, wie etwa bei der Wohnbauförderung.
Report: AMS-Vorstand Johannes Kopf befürchtet für Jänner 2014 eine Arbeitslosenzahl von 450.000. Der Bau steuert dazu einen wesentlichen Anteil bei. Ist die Zahl aus Ihrer Sicht realistisch?
Muchitsch: Das stimmt leider. Saisonal und konjunkturbedingt ist die Bauwirtschaft für einen wesentlichen Teil der Arbeitslosigkeit verantwortlich. Angesichts der kontinuierlichen Verschlechterung der Lage in diesem Jahr und bei den verhaltenden Prognosen erscheinen mir die Zahlen durchaus realistisch. Ich bleibe aber dabei – ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeitslosigkeit in der heimischen Bauwirtschaft ist hausgemacht. Stichwort Schwellenwerteverordnung: Es wird nach wie vor die Möglichkeit zu wenig genutzt, Aufträge regional an österreichische Firmen zu vergeben. Da sind die öffentlichen Auftraggeber in der Pflicht. Aber auch der bereits erwähnte Handwerkerbonus oder die verpflichtende Rechnungslegung bei Förderungen würden den Druck auf den Arbeitsmarkt lindern. Auch eine Evaluierung des Bundesvergabegesetzes könnte ihren Teil dazu beitragen.
Report: Seit dem Beispiel Bad Radkersburg vor einigen Jahren sind keine Fälle mehr bekannt worden, dass ein Bürgermeister unter Ausnutzung der Schwellenwerteverordnung an ausländische Firmen vergeben hat. Greift Ihre Kritik da nicht ins Leere?
Muchitsch: Das Radkersburger Beispiel hat eingeschlagen. Die Reaktionen darauf haben mögliche Nachahmungstäter abgeschreckt. Man muss aber weiter in Richtung Subvergaben gehen. Die Auftraggeberhaftung war eine Kompromisslösung, bei der Auftraggeber nur für das erste Subunternehmen haften. Wir finden aber im öffentlichen Bereich Baustellen vor, wo ordnungsgemäß an einen Generalunternehmer vergeben wurde, aber im dritten und vierten Glied der Kette dann das Lohn- und Sozialdumping beginnt.
Die Forderungen der Initiative Umwelt+Bauen im Überblick:
Thema Wohnen:
- Bedarfsorientierte Dotierung der Wohnbauförderungsbudgets
- Langfristige Sicherung der Neubaufinanzierung durch die Wohnbauförderung
- Steigerung der Investitionskraft der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft
- 3-Prozent-Sanierungsrate
- Bundeswohnbauagentur
- Mobilisierung von Bauland
- »Nachverdichtung« forcieren
- Seniorengerechtes Bauen und Sanieren
- Verringerung der Baukosten
Thema Infrastruktur:
- Stärkung der Kooperation Bund/Länder durch mehr Kompetenz für die Bundesraumordnung
- Für ein modernes Schienennetz und eine Offensive für den öffentlichen Verkehr
- Neue Prioritäten im Straßenbau – Ausbau und Sanierung, Lückenschluss und Kosteneffizienz
- Sanierung von rund 250 Bildungseinrichtungen mit einer Investitionssumme von 500 Mio. Euro
- Wildbach- und Lawinenverbauung zentral sichern
- Siedlungswasserbau
- Hochwasser- und Katastrophenschutz
- Weiterer Ausbau erneuerbarer Energiegewinnung
Thema Steuern & Wettbewerb:
- Handwerkerbonus, reduzierte Mehrwertsteuer bzw. Rückvergütung bei heimischen Baudienstleistungen
- Vorlagepflicht von Dienstleistungsrechnungen bei Förderungen
- Ausschöpfung der Vergabemöglichkeiten an heimische Betriebe
- Umsetzung weiterer Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping
- Bonussysteme bei Vergabekriterien nutzen, wie z. B. Berücksichtigung von Umweltaspekten
- Jugendbeschäftigung, Lehrlingsausbildung sowie Einhaltung arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen