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»Weltwirtschaft volatiler«

\"WilfiredWilfried Pruschak im Interview.

Wilfried Pruschak, Geschäftsführer Raiffeisen Informatik, im Interview über den IT-Markt in Europa, verkürzte Konjunkturzyklen und Entwicklungen,hervorgerufen durch die Onlinegesellschaft.

(+) plus: Herr Pruschak, wie sieht die Unternehmensentwicklung der Raiffeisen Informatik und der Tochter Comparex aus?

Wilfried Pruschak: Wir sind mit dem abgelaufenen Geschäftsjahr weit über unseren Erwartungen sehr zufrieden. In einigen Ländern Europas hatte sich bereits Anfang 2010 ein Ende der Wirtschaftskrise abgezeichnet. So sind im vergangenen Jahr die Konjunkturmotoren bereits in Deutschland, in Skandinavien und interessanterweise auch in Russland wieder voll angelaufen. Die Raiffeisen Informatik Gruppe ist übers Jahr organisch um 11,7 Prozent gewachsen. So etwas haben wir schon lange nicht mehr gesehen: Ein zweistelliges Wachstum ist in der IT-Branche keine Selbstverständlichkeit.

(+) plus:
Dieses Wachstum entstand vornehmlich aus dem Geschäft der Comparex?

Pruschak: Wir hatten als Unternehmen sicherlich mehr Wachstum im Ausland als in Österreich. Nachdem wir in Deutschland einen sehr großen Markt bedienen, hat uns dies im Gesamtumsatz sehr geholfen. Zuwächse sind aber in allen Bereichen entstanden. Auch Raiffeisen Informatik in Österreich und Raiffeisen Informatik Consulting haben sehr gut abgeschnitten. Das Ergebnis vor Steuern liegt für das Geschäftsjahr 2010 bei über 15 Millionen Euro.

(+) plus: Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung des IT-Marktes?

Pruschak: Gesamt ist der IT-Markt im vergangenen Jahr um gut 7 bis 8 Prozent in Europa gewachsen – im Bereich Hardware etwas stärker, bei den Segmenten Software und IT-Services etwas schwächer. Doch hat in den Rechnungen der Marktbeobachter alleine der Wechsel der Produktkategorie Smartphones von der klassischen Handywelt nun ins Hardwaresegment dem IT-Hardwaremarkt ein Volumenswachstum von 600 Millionen Euro in Europa beschert. Wie so oft, ist vieles eine Frage der Perspektive.

(+) plus: Hat die heimische Wirtschaft das Tal der Krise endgültig hinter sich gelassen?

Pruschak: Ich sehe die Konjunkturlage vorsichtig optimistisch. Osteuropa nimmt wieder Fahrt auf, hat aber noch viel Aufholbedarf. Wir wissen freilich nicht, wie lange diese positive Entwicklung anhalten wird. Unternehmen werden sich künftig aber auf kürzere Konjunkturzyklen einstellen müssen. Die Zehn- oder auch Fünfjahreszyklen, wie wir sie in den 60er- und 70er-Jahren beobachtet hatten, wird es nicht mehr geben. Die Weltwirtschaft ist seitdem wesentlich dynamischer und volatiler geworden. Dadurch sind Entwicklungen allgemein schwerer berechenbar und für das Management von Unternehmen eine Riesenherausforderung geworden. Langfristiges Planen ist schwieriger geworden.

Die IT-Branche ist daran sicherlich nicht ganz unschuldig, denn sie neigt gelegentlich auch zu Überhitzung. Der Hype rund um Social Media mit teilweise astronomischen Unternehmensbewertungen ist ein aktuell gutes Beispiel. Hier muss man sich ja fragen, mit welcher Substanz manch aufstrebende Firma überhaupt arbeitet, obwohl sie mit sehr ambitionierten Wachstumsprognosen rechnet. Unternehmen ohne Vergangenheit nur aufgrund von Zukunftserwartungen zu bewerten, halte ich für riskant. Man wäre gut beraten, mit diesem Thema realitätsbezogener und mit etwas gebremster Euphorie umzugehen. Denn ein Zusammenbrechen einzelner Sparten kann für die gesamte IT-Wirtschaft gefährlich werden. Dies konnte man beim Platzen der New-Economy-Blase um die Jahrtausendwende beobachten, als plötzlich auch Traditionalisten wie IBM, HP oder Siemens von der negativen Welle an den Börsen mitgezogen wurden. Menschen und Märkte verallgemeinern gerne – im Guten wie im Bösen.

Freilich hatten die IT-Dienstleister von der New-Economy-Krise auch profitiert. Plötzlich, mitten im Katzenjammer, war der Markt für Outsourcing bereit. Auf einmal gaben nicht mehr die Marketingverantwortlichen in den Unternehmen, sondern wieder die Finanzer den Ton an. Dies brachte wieder eine nüchterne Betrachtung von IT-Kosten.

(+) plus: Konsequent weitergedacht, hat die jüngste Konjunkturdelle nun die Aufmerksamkeit für Cloud Computing gestärkt.

Pruschak: Ich glaube, dass es in dieser ersten Welle des Cloud Computings primär um Dienste für Konsumenten und kleinere Firmen geht. Anbieter wie Apple werden rasch dieses Thema besetzen und allein durch das weltweit erzielte Volumen den Markt prägen. So wird das Anhören von Musik, die im Web gespeichert liegt, wesentlich mehr Verbreitung haben, als es Businessapplikationen je schaffen können. Solche Dienste wird einfach jeder nutzen.

(+) plus: In welcher Form bietet die IT-Branche den größeren Unternehmen an, Ressourcen und Dienstleistungen flexibel über die Datenleitung zu liefern? Was sind hier die Herausforderungen?

Pruschak: Die Lieferung von Applikationen auf unterschiedlichste Endgeräte, die Virtualisierung von Speicherressourcen und dynamische Infrastruktur – all diese Faktoren für Cloud Computing haben wir bereits seit Jahren im Angebot. So ist beispielsweise auch Onlinebanking im Prinzip bereits ein Dienst aus der Wolke. Die Nutzung dieser Applikation ist auf jedem Endgerät möglich, zu jeder Zeit und an jedem Ort.

Künftig wird aber ein Umdenken in der Verrechnung von IT-Diensten nötig sein. Die Unternehmen sind noch stark in der traditionellen Denkweise zeitbasierter Abrechnungsmodelle verhaftet. Welche Last einzelne Services in einer Infrastruktur aber tatsächlich verursachen, wird heute nirgendwo berücksichtigt. Bei Software wäre ein ähnliches Modell gefordert wie die Normverbrauchsabgabe bei Fahrzeugen. Auf IT-Ebene würde dies dann eine typisierte Software mit entsprechenden IT-Verbrauchsangaben bedeuten. Dieser Schritt wäre vor allem für die Internetprovider und Telekomunternehmen ein Riesenthema, die den unaufhörlichen Ausbau der Infrastruktur nicht auf ewig finanzieren können.

Geht der Trend zu Zentralisierung von Diensten, wie es Cloud Computing propagiert, weiter, wird sich unsere Gesellschaft in eine gewaltige Abhängigkeit von der Leitungsinfrastruktur begeben. Hier werden dann neue Geschäfts- und Abrechnungsmodelle gefragt sein, die auch ein Fortsetzen von Diensten bei Leitungsstörungen sicherstellen. Auch Clouddienste – ob nun von einem öffentlichen Anbieter wie Amazon oder von einem lokalen IT-Dienstleister bezogen – sind heute längst nicht so weit, Unternehmen 100-prozentige Leitungsverfügbarkeit zu garantieren. Generell ist bei Cloud-Services auch stets eine Differenzierung gefragt. So kann ein Unternehmen wohl einfache Bürodienste wie Word in die Wolke auslagern. Wichtige Geschäftsdokumente wird man aber weiterhin lokal verwalten wollen.

(+) plus: Sie persönlich haben den Ausdruck »IT, so einfach wie Strom aus der Steckdose« in Österreich mitgeprägt. Was ist Ihre Vision für die nächsten 15 Jahre?

Pruschak: Wir können bei der Steckdose bleiben – sie wird nun aber breitflächig. Ich denke, die nächste Ebene ist eine Verhaltensänderung der Menschen in allen Lebensbereichen, die von der IT bewirkt wird – in der Arbeit, in der Freizeit, in unserer Kommunikation und in allem, was uns prägt. Ob es uns gefällt oder nicht: Wir steuern auf den virtuellen Menschen zu. Die Profile in den sozialen Netzwerken werden die Menschen künftig besser beschreiben, als wir uns heute vorstellen können. Wir müssen nun lernen, mit dieser Entwicklung umzugehen. Wenn man Kinder beobachtet, mit welcher Leichtigkeit sie mit neuen Medien umgehen, wird einem das Potenzial dieser neuen Welt vor Augen geführt. Hier ist vielleicht in Zukunft auch der Staat gefragt, eine Rolle als Vertrauensinstanz im Internet einzunehmen – etwa einem TÜV für Internetinhalte gleich. Im Straßenverkehr wird mit Hinweistafeln vor Wildwechsel und Steinschlag gewarnt. Wer aber warnt im Netz? Welche Verkehrsregeln herrschen online? Sinn machen könnte eine Art Führerschein für Aktivitäten im Internet, der den Nutzern verantwortungsvolles Verhalten abverlangt.

(+) plus: Solche Reglements sind für eine Umgebung, in der die Jüngeren stets den etablierten Nutzern um zwei, drei Schritte voraus sind, trotzdem schwer vorstellbar.

Pruschak: Ein solches Regulativ des Zusammenlebens stellt natürlich auch die IT selbst vor eine kaum lösbare Aufgabe. Derzeit werden den kreativen Möglichkeiten, wie mit Informationstechnologie und dem Internet umgegangen wird, kaum Grenzen gesetzt. Jede künstliche Hürde würde die Innovationskraft in dieser freien Welt automatisch beschränken.

Der Schlüssel hier ist sicherlich die feste Verknüpfung von Inhalten mit jenen, welche diese zugänglich machen. Auch ein Medium wie eine Radiostation kann nicht wahllos Inhalte ohne Rücksicht auf Gesetze und ethische Standards öffentlich senden. Content wird dort ganz klar auf seine Qualität geprüft. Damit werden sich in Zukunft auch die Internetprovider beschäftigen müssen.

 

>> Zur Person:

Mag. Wilfried Pruschak, 50, ist seit 1996 Geschäftsführer des größten österreichischen IT-Anbieters Raiffeisen Informatik und seit 2009 Aufsichtsratsvorsitzender der 100-Prozent-Tochter Comparex AG. Die Raiffeisen Informatik Gruppe erwirtschaftete 2010 einen Umsatz von rund 1,3 Milliarden Euro und verfügt über 120 Niederlassungen in 29 Ländern weltweit.

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