»Der Schritt weg von den großen Kraftwerken ist auch in Österreich zu sehen«
- Written by Martin Szelgrad
- font size decrease font size increase font size
Aleš Prešern ist General Manager von Siemens Energy Austria and Adriatic Region. Er spricht über einen Wandel bei Kraftwerken, die Zukunft von Wasserstoff und Erwartungen für eine CO2-neutrale Energiewirtschaft.
(+) plus: Warum wurde mit Siemens Energy ein eigenes Unternehmen im Siemens-Konzern gegründet?
Aleš Prešern: Die Energiewelt ist nun in großen Veränderungen und die Erwartungen unserer Kunden sind groß. Man hat nun aus einem großen Tanker eine Flotte kleinerer, zielstrebiger Schiffe gebaut. Für uns war das eine logische Fortsetzung eines Prozesses, der vor langer Zeit begonnen hat. Bei Siemens gibt es eine Tradition der Verbundenheit mit Energiethemen. Das Unternehmen existiert seit mehr als 170 Jahren – länger als viele europäische Staaten. Werner von Siemens hat mit dem dynamoelektrischen Prinzip den Grundstein für die moderne Stromerzeugung gelegt.
(+) plus: Mit welchem Portfolio adressieren Sie die Herausforderungen in der Klimakrise?
Prešern: Erstens, wir haben die Entscheidung getroffen, uns nicht mehr an Ausschreibungen für den Bau von neuen Kohlekraftwerken zu beteiligen.
Zweitens, in der Dekarbonisierung der Wirtschaft: Siemens Energy wird sein Portfolio weiter dekarbonisieren – und zwar entlang der gesamten Energiewertschöpfungskette. Dabei wollen wir unsere Kunden bei ihrem Übergang in eine nachhaltige Energiewelt unterstützen. Dazu gehören der Mut zu Zwischenlösungen, die die Effizienz steigern, sowie der Einsatz sauberer Brennstoffe. Gaskraftwerke werden auf dem Weg zur Dekarbonisierung auch langfristig für die Versorgungssicherheit unverzichtbar bleiben.
Unsere Gasturbinen verwenden heute vor allem Erdgas als Brennstoff. Unser Ziel ist es, Gasturbinen zu bauen, die zu 100 % mit Wasserstoff betrieben werden können. Zudem wollen wir, dass bestehende Gaskraftwerke ohne Austausch von Kernkomponenten auf Wasserstoffbetrieb nachgerüstet werden. Damit machen wir Gasturbinen zu einem optimalen Instrument für den Einstieg in ein klimaneutrales Energiesystem. Ein gutes Beispiel dafür wäre die im Schweden hergestellte Gas Turbine SGT-800 mit über 60 MW, von der mehr als 370 Stück weltweit verkauft wurden und die bereits heute mit
50 % Wasserstoff befeuert werden kann. Entwicklung von solch Spitzenprodukten hängt sehr eng mit der langjährigen Innovationskultur und technischer Tradition zusammen – Finspong ist als Industrieort seit mehr als vier Jahrhunderten aktiv.
Der Schritt weg von den großen Kraftwerken ist auch in Österreich zu sehen. Siemens hat hierzulande einige 200- bis 300-MW-Gasturbinen in den 90ern und Anfang der 2000er-Jahre gebaut, die sicherlich noch eine Zeitlang im Betrieb sein werden.
Und drittens sind wir mit der Mehrheitsbeteiligung an Siemens Gamesa – Siemens Energy hält 67 % – auch am Windkraft-Markt präsent, und sind somit ein führender Anbieter von Windkraftlösungen für Kunden auf der ganzen Welt. Und als letztes, aber keineswegs weniger wichtig, setzen wir bei Siemens Energy auf den Energieträger der Zukunft, Wasserstoff.
(+) plus: Welche Chancen räumen Sie Wasserstoff ein?
Prešern: Siemens beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit Forschung und Entwicklung der Wasserstoff-Elektrolyse. Das technische Verfahren ist nicht neu. Eine Neuheit im Vergleich zu der bisherigen Vorgehensweise sind aber skalierbare Anlagengrößen für die industrielle Nutzung. Siemens Energy hat bereits mit dem »Silyzer« aus der »New Energy Business«-Produktlinie ein Produkt im Einsatz. Das bekannteste Einsatzbeispiel in Österreich befindet sich in Linz mit dem »H2Future«-Projekt bei Voestalpine: Mit knapp über 6 MW war es die bis vor kurzem weltweit größte Elektrolyse-Anlage auf Basis der »Polymer Exchange Membrane (PEM)«-Technologie.
(+) plus: Wie weit sind die Hersteller davon entfernt, eine Wirtschaftlichkeit bei der Erzeugung von umweltfreundlichem Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen erreichen? Lassen sich überhaupt verlässliche Aussagen dazu machen?
Prešern: Für einen breiten Einsatz sind noch viele Schritte nötig.Eine verlässliche Prognose dazu abzugeben, ist generell schwierig, mit einer Profitabilität wird jedoch nicht vor 2025 zu rechnen sein. Zum Vergleich: Vor nicht einmal 15 Jahren – damals hatte die Diskussion um den Bau der Salzburgleitung begonnen – war Photovoltaik in Österreich unwirtschaftlich und Windparks hat es in Österreich so gut wie nicht gegeben.
Seitdem hat sich alles verändert. Innerhalb von zehn Jahren sind die Erzeugungskosten von 1 MWh Solarstrom mit Photovoltaik von 300 Euro auf unter 40 Euro gesunken. Ähnlich bei Windkraft von 150 Euro auf nun etwas unter 40 Euro.
Ich habe viele Jahre meines Berufslebens mit Kohlekraftwerken zu tun gehabt. Man war stolz, in dieser Branche tätig zu sein – es war ein Prestige. Heute ist es fast eine Beleidigung.
(+) plus: Welche großen Einsatzbereiche sehen Sie generell für Dekarbonisierung?
Prešern: Neben der Erzeugerseite – effizienten Kraftwerken und CO2-neutraler Windkraft – bieten wir auch verschiedenste Lösungen auf Verbraucherseite. Überall, wo viel Energie umgesetzt wird, können wir mit unseren Produkten und Services im Sinne ressourcenschonender Systeme etwas bewirken. Unsere Mission ist, den CO2-Ausstoß auf beiden Seiten zu reduzieren. Der dritte Bereich »Transmission«, den wir adressieren, befindet sich genau dazwischen: Netze, Transformatoren, Umspannwerke und Schaltwerke.
Wir haben einen Industriezweig mit großer Tradition in Österreich mit drei Transformatorenwerken. Auch hier finden mit der Digitalisierung Riesenveränderungen statt – etwa bei unseren »Sensformer«-Transformatoren, die untereinander verlinkt sind und sich selbst aufeinander abstimmen und effizient regeln können.
(+) plus: Auf welche technischen Herausforderungen stoßen wir beim Umbau der Wirtschaft?
Prešern: Die Welt will bis zum Jahr 2050 komplett CO2-neutral sein. Doch seit 1990 sind die Emissionen kontinuierlich gestiegen und wir befinden uns gerade in der Mitte dieser Zielgerade. In den restlichen Jahren muss daher mehr unternommen werden. Das darf sich aber nicht negativ auf die Netzstabilität und Versorgungssicherheit auswirken. Ein Totalausfall der Stromversorgung in Österreich würde Schätzungen zufolge täglich mehr als eine Milliarde Euro kosten. Erst im Jänner ist Europa an einem Blackout vorbeigeschrammt. Daher werden wir in Europa wesentlich mehr Netzkapazitäten benötigen, die in den kommenden Jahren auch gebaut werden müssen, aber auch weiterhin Gasturbinen benötigen.
Anfragen, die wir heute für Gasturbinen als »Peak Loader« bekommen, wären vor einigen Jahren noch eine Sünde im Maschinenbau gewesen. Doch sie werden immer häufiger benötigt, um Netzschwankungen innerhalb von 12 bis 13 Minuten ausgleichen zu können. Politisch gesehen ist in Europa derzeit jeder Staat angehalten, selbst für diese Reserveleistungen zu sorgen. Bei Übertragungsnetzbetreibern wie der APG sieht man bereits eine massive Steigerung von Kraftwerkseinsätzen für den Netzausgleich. Für eine Übergangsperiode werden wir weiterhin die Gasturbinen, die etwa in Mellach und in Wien stehen, brauchen.
(+) plus: Wie lange wird es noch Gasturbinen in Europa geben?
Prešern: Der Einsatz von Gasturbinen hat sich schon verändert. Sie laufen nicht mehr ständig in »Base Load«. Die Leistungen gehen rauf und runter. Das bringt auch Herausforderungen für das Material, denen man mit neuen Servicekonzepten entgegenkommt. So setzen wir bei der SGT-800 regelmäßig bereits 3D-Druckverfahren ein, um stark beanspruchte Komponenten zu ergänzen.
(+) plus: Welche Antwort haben Sie auf den »Missing Link« in der Energiewende, dem Energiespeicher? Ist es Wasserstoff?
Prešern: Das ist die Millionen-Dollar-Frage. Es wird definitiv eine Kombination von unterschiedlichen Technologien sein. Wasserstoff ist gut geeignet, saisonale Schwankungen in der Energieerzeugung auszugleichen. Es bräuchte aber Unmengen des Gases, um den Bedarf in Energiesystemen abdecken zu können.
Dann Pumpspeicherkraftwerke: Bei genauerer Betrachtung sind diese gar nicht so effizient, da sie auch beim Hochpumpen des Wassers kostbare Energie verbrauchen. Zudem sind die möglichen Standorte in Europa begrenzt.
Auf der Seite der kurzfristigen Speicher sehen wir ja bereits einige Produkte am Markt, die sich auch hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit ständig weiterentwickeln.
In Serie geschaltene Batterieblöcke werden bereits für den Netzausgleich genutzt. Wir sollten auch nicht auf die thermische Speicherung von Energie vergessen, sei es mit dem Erhitzen von Wasser oder von Steinblöcken.
Langfristig wird wohl Wasserstoff diese Lücken zwischen Erzeugungs- und Verbrauchspitzen schließen können. Das wird wohlweislich nur mit Sektorkopplung funktionieren, mit der Kombination der Erzeugung, des Transports und der Nutzung des grün erzeugten Gases in der Energiewirtschaft, in der Prozessindustrie und auf der Straße.
Momentan sind wir von einem Business Case zwar noch weit entfernt. Wichtig ist, vorbereitet zu sein – und wir sind zuversichtlich, dass wir weiterhin mit unserem Forschungsgeist, der in der Tradition basiert, die Welt in eine grüne Energiezukunft leiten werden.
Hintergrund
Siemens Energy hat in Österreich seit Jahren eine relativ stabile Zahl von etwas mehr als 2.000 Mitarbeitern, die vornehmlich in den Trafowerken Weiz und Linz beschäftigt sind. Die beiden Standorte haben bereits hundertjährige Jubiläen feiern können und behaupten sich mit hohen Exportquoten auch am Weltmarkt. So liefert eine Produktlinie in Weiz den Bereich »Distribution Transformers«, die großteils in der Offshore-Windkraft zum Einsatz kommen.