Digitale Baustelle
- Written by Mag. Bernd Affenzeller
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Die Bauwirtschaft in Hochlohnländern steht vor einem Dilemma. Die öffentliche Hand ist knapp bei Kassa, und auch die privaten Auftraggeber drehen jeden Euro zweimal um, bevor sie investieren. Zudem bleibt den Unternehmen der Wettbewerb mit EU-Konkurrenten, die deutliche Kostenvorteile haben, nicht erspart. Diesen Wettbewerbsnachteil gilt es wettzumachen. Argumente wie lokale Wertschöpfung, Haftungsfragen und Qualität reichen da nicht aus. Es muss auch an der Kostenschraube gedreht werden. Auf die Personalkosten können die Unternehmen nur bedingt Einfluss nehmen, deshalb muss der Weg zum kostengünstigen Bauen über effiziente Prozessstrukturen und technisch-organisatorische Innovationen, sowohl in den Bauprozessen als auch in der gesamten Bauabwicklung, führen. Dabei bietet vor allem der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln ein enormes Optimierungspotenzial. Denn im Vergleich zu anderen Industriezweigen ist die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in der Baubranche immer noch sehr überschaubar. Zwar gibt es für Teilbereiche seit langem richtig gute Softwarelösungen, beim durchgängigen Einsatz digitaler Technologien gibt es aber noch jede Menge Aufholbedarf. Das hat man auch an der Technischen Universität München erkannt und im Jänner 2008 ein entsprechendes Forschungsprojekt gestartet. Ziel des Projekts „Virtuelle Baustelle – Digitale Werkzeuge für die Bauplanung und -abwicklung“ war, ein komplexes Bauvorhaben ganzheitlich in einem digitalen Baustelleninformationsmodell abzubilden, das in allen Projektphasen als zentrales Planungsinstrument zur Verfügung steht. Ende 2010 wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen.
Das Forschungsprojekt
Drei Jahre lang hat ein interdisziplinäres Team von insgesamt sieben Lehrstühlen der TU München, der Universität Erlangen-Nürnberg, der Hochschule Regensburg und des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) an der Umsetzung der Vision gearbeitet. Ebenfalls mit an Bord waren mehr als 30 Praxispartner, darunter Baufirmen wie Max Bögl oder Züblin, Baumaschinenhersteller wie Liebherr und natürlich Planungs- und Ingenieurbüros sowie die Hersteller digitaler Werkzeuge wie Autodesk oder Siemens.
Den Projektverantwortlichen ging es vor allem darum, zu zeigen, was heute schon möglich ist – und zwar mit den am Markt erhältlichen Programmen und Lösungen. „Wir wollten nicht in erster Linie neue Software programmieren, sondern bestehende Lösungen so kombinieren, dass eine ganzheitliche digitale Abbildung des Bauprozesses von der Planung über die Fertigung bis zur Dokumentation möglich wird“, erklärt Cornelia Klaubert, Geschäftsführerin des Forschungsverbundes „Digitale Werkzeuge für die Bauplanung und -abwicklung“. Ganz ohne neue Software ging es dann aber doch nicht. Denn die hervorragenden Einzellösungen haben oftmals mit einem Problem zu kämpfen. Sie sind untereinander nicht kompatibel.
Alles digital
Der Kerngedanke des Forschungsprojektes war die ganzheitliche Abbildung eines komplexen Bauvorhabens in einem digitalen Baustellenmodell. Dieses soll allen Beteiligten eines Bauprojektes von der Planungs- bis hin zur Ausführungsphase als zentrales Datenmedium dienen und sämtliche Informationen hinsichtlich der Planung, Vermessung, Arbeitsvorbereitung, Buchhaltung sowie den Fortschritt der Baustelle selbst berücksichtigen.
Aus verschiedenen Insellösungen sollte ein ganzheitliches Konzept werden.
Daraus ist die digitale Baustelle entstanden, ein virtuelles Abbild einer realen Baustelle. Sie beinhaltet 3D-Planungsdaten und ermöglicht, den Bauablauf zu planen, virtuell zu testen und das tatsächliche Baugeschehen zu überwachen. Die wesentlichen Komponenten sind die 3D-Modellierung, die Ablaufsimulation sowie das zentrale Datenmanagement und die Datenübertragung. Sämtliche Ergebnisse wurden mithilfe von realen Pilotbaustellen validiert (siehe unten).
Die Modellierung
Durch die dreidimensionale Modellierung können Fehler, wie etwa Kollisionen zwischen Bauelementen, schon am Arbeitsplatz des Konstrukteurs gefunden, teure Korrekturen auf der Baustelle vermieden werden. Damit alle Aspekte einer Baustelle berücksichtigt werden können, müssen einzelne Teilmodelle wie der Baugrund oder die Baustelleneinrichtung zusammengeführt werden. Weil die einzelnen Modelle aber oft nicht kompatibel sind, wurde im Rahmen des Forschungsprojektes eine „Integrator“ genannte Software entwickelt, die es erlaubt, aus Teilmodellen ein Gesamtmodell zu machen.
Die Simulation
Die Simulation der Baustellenabläufe ermöglicht es, kritische Prozesse frühzeitig im virtuellen Modell zu testen. Dadurch lassen sich bei der späteren Durchführung Verzögerungen oder unnötige Stillstandszeiten vermeiden. Bei der Planung von Erdbauarbeiten lässt sich etwa frühzeitig ganz genau berechnen, welches Erdvolumen benötigt und angeliefert werden muss. „Bisher wurde versucht, Kosten über die Verringerung der mittleren Transportentfernung zu senken. Die Transportkosten sind jedoch nicht nur von der Entfernung, sondern auch von der Ausprägung der Wege, den verwendeten Fahrzeugen und weiteren Baustellenrandbedingungen abhängig“, erklärt Klaubert.
Die Daten
Eine zentrale Herausforderung der digitalen Baustelle ist der Umgang mit der Datenfülle. Dafür wurde ein Produktdatenmanagement (PDM)-System genutzt, das alle wichtigen Informationen von der Planungs- bis zur Ausführungsphase in einer Plattform zusammenführt und allen Beteiligten zur Verfügung stellt. Um die Prozessdaten der Baustelle in Echtzeit zu erfassen, kommen RFID-Chips zum Einsatz. Zudem wurde ein Konzept der mobilen Baudatenerfassung entworfen, um den durchgängigen Informationsfluss von der Baustelle in das zentrale PDM-System zu ermöglichen.
Fazit
„Mit dem Projekt haben wir gezeigt, dass die Digitale Baustelle schon heute keine Vision mehr ist. Nun liegt es an den Bauherren und an der Industrie diese auch zu fordern und umzusetzen“, so Klaubert. In Skandinavien und den USA ist man schon etwas weiter. Dort werden 3D-Modelle, die die Basis der digitalen Baustelle sind, schon zunehmend von den Bauherren gefordert.
> Weitere Informationen unter www.forbau.de
>> Von der Theorie in die Praxis:
Forschungsprojekte sind oftmals mit dem Makel der weltfremden, grauen Theorie behaftet. Das gilt besonders für traditionelle Branchen wie den Bau. Deshalb wurden sämtliche Thesen, Annahmen und Zwischenergebnisse des Projekts „Virtuelle Baustelle“ an realen Pilotbaustellen überprüft. Dabei wurden die den Konzepten zugrunde liegenden Annahmen überprüft und die Praxistauglichkeit der Entwicklungen an den bestehenden Anforderungen der täglichen Baupraxis getestet, weiter optimiert und so in der Realität umgesetzt. Im ersten Jahr wurden etwa an einem Abschnitt eines Bundesstraßenneubaus Untersuchungen zur terrestrischen 3D-Vermessung und der Baufortschrittskontrolle mittels Augmented Reality durchgeführt. Eine wichtige Pilotbaustelle war auch die „B15neu“, wo mit Hilfe der Integrator-Software verschiedene 3D-Modelle zusammen geführt wurden. Für das Baureferat München wurde schließlich im Vorfeld des Aufstellens einer 50 Meter hohen Skulptur, das Einheben der Skulptur hinsichtlich möglicher Kollisionen im Straßenraum untersucht. Hierzu wurden terrestrisches Laserscanning und Daten aus luftgestützter Photogrammetrie zu einem 3D-Modell kombiniert und darin eine 3D-Simulation und Animation des Herstellvorgangs umgesetzt.
> Alle Details zu den einzelnen Komponenten der digitalen Baustelle lesen Sie in den nächsten Ausgaben des Bau & Immobilien Report
>> Buch-Tipp:
Das Buch zum Forschungsprojekt: „Digitale Baustelle – innovativer Planen, effizienter Ausführen“, Willibald Günthner, André Borrmann (Hrsg.), ISBN: 978-3-642-16485-9, 351 Seiten