»Ich bin ein stockkonservativer Rebell«
- Written by Mag. Bernd Affenzeller
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Im Interview mit Report(+)PLUS spricht der Doyen der gewerblichen Bauträgerschaft, Winfried Kallinger, über radikale Veränderungen im Wiener Wohnbau, an denen er nicht ganz unschuldig ist, erklärt, warum das Thema »leistbares Wohnen« weniger eine Frage der Wohnpolitik als der Arbeitsmarktpolitik ist und präsentiert praktikable Lösungen für die Zukunft.
(+) plus: Wie hat sich die Bau- und Immobilienbranche aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren verändert? Was waren die großen Paradigmenwechsel?
Winfried Kallinger: Ziemlich genau vor 20 Jahren gab es eine ziemliche radikale Veränderung im Wiener Wohnbau, deren Folgen man noch gar nicht richtig abschätzen konnte. Durch die Einführung der Bauträgerwettbewerbe wurde 1995 die parteipolitische Verteilung von Fördermitteln aufgebrochen. Ein Jahr später, also vor genau 20 Jahren, wurden die ersten Projekte umgesetzt. Das war eine grundsätzliche Neuorientierung des geförderten Wohnbaus. Ziel der Wettbewerbe war, dass man Architekten und Bauträger auf Augenhöhe in einem Team zusammenführen soll und die besten gemeinsamen Konzepte sollten gewinnen.
(+) plus: Wie wurden die Bauträgerwettbewerbe damals von der Branche angenommen?
Kallinger: Natürlich gab es Kritik. Diejenigen, die bis dahin im praktisch geschützten Bereich tätig waren, hatten natürlich gar kein Interesse an diesem neuen Instrument. Es war dann auch sehr erschreckend für die Branche, dass wir, der Emporkömmling, den ersten Wettbewerb gewonnen haben.
(+) plus: Haben Sie sich auch ein wenig als Rebell in der Szene gesehen?
Kallinger: Vielleicht nicht Rebell, aber ich habe die Notwendigkeit erkannt, dass sich etwas ändern muss. Ich war sicher nicht der Einzige, aber wahrscheinlich der Lauteste, der nach derselben Augenhöhe von Architekten und Bauträgern gerufen hat. So gesehen war ich schon ein Rebell.
(+) plus: Sind Sie dieser Rebell geblieben?
Kallinger: In gewisser Weise schon. Es liegt in meiner Natur, gegen den Strom zu schwimmen – allerdings nicht aus Prinzip. Ich bin eher ein stockkonservativer Rebell.
(+) plus: Wie bewertet der Rebell die aktuelle Wiener Stadtplanungspolitik, speziell in Hinblick auf die großen Stadtentwicklungsgebiete?
Kallinger: Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass Wien das alles schafft. Wien ist zwar keine kleine Stadt, aber was da im Moment alles an Strukturveränderungen in Angriff genommen wird, ist schon beachtlich. Es gibt in Mitteleuropa keine andere Stadt, die in einem Schwung so große Veränderungen angeht. Insofern stehe ich den Zielsetzungen der Stadtplaner sehr positiv gegenüber. Der dialogische Zugang unter der rot-grünen Stadtregierung ist sehr gut, auch wenn er manchmal Dinge erschwert. Wir als Bauträger müssen uns als Partner der Stadtentwicklung fühlen. Das ist unsere einzige Aufgabe. Wir sind dann sinnvoll, wenn wir uns in einen stadtpolitischen Entwicklungsprozess einklinken.
(+) plus: Gerade die Seestadt Aspern muss sich viel Kritik gefallen lassen. Zu Recht?
Kallinger: Es ist schwer, jetzt schon ein Urteil abzugeben. Ich persönlich finde die Seestadt ja zu wenig dicht, zu unurban. Am Ende werden dort 30.000 Menschen leben, daraus ergibt sich dann auch die Belebung. Das kann man heute noch gar nicht abschätzen, ob das so funktionieren wird, wie man sich das vorstellt. Aber das Potenzial ist sicher vorhanden.
(+) plus: Vor kurzem wurde eine Studie präsentiert, wonach Wohnen in den letzten fünf Jahren um 15 Prozent teurer geworden ist. Entfernen wir uns immer mehr von der Leistbarkeit?
Kallinger: Diese 15 Prozent klingen im ersten Moment natürlich dramatisch. Aber umgerechnet ist das eine jährliche Steigerung von drei Prozent, also etwas höher als die Inflation. Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Es geht ja nicht nur um die Steigerung der Wohnkosten, sondern vor allem darum, dass die Einkommen nicht mit der Kostenentwicklung Schritt halten. Das Ganze ist also weniger eine Frage der Wohnpolitik als der Arbeitsmarktpolitik. Seitens der Wohnpolitik geht man den Weg, die Wohnungsflächen zu verkleinern. Das ist zwar grundsätzlich okay, birgt aber schon die Gefahr, dass wir ein Eineinhalb-Zimmer-Proletariat erzeugen. In Verbindung mit den heute üblichen starren Bauweisen ist das dann auch nicht mehr änderbar.
(+) plus: Ihr Slim-Building-Konzept will mit diesen starren Bauweisen aufräumen. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?
Kallinger: Sehr gut. 400 Wohnungen haben wir bereits realisiert, weitere 400 sind in Umsetzung. Wir können mit unserem Konzept in der Entwicklungs- und Bauphase auf Veränderungen reagieren und auch im Lebenszyklus des Gebäudes leichter Anpassungen vornehmen. Die Baustruktur muss die Möglichkeit schaffen, auf Nachfrageänderungen oder Strukturänderungen in der Gesellschaft durch Adaptierungen zu reagieren.
(+) plus: Kritiker bemängeln immer wieder, dass die Bauwirtschaft von den Produktivitätssteigerungen anderer Branchen völlig unberührt geblieben ist und immer noch so gearbeitet wird wie vor 50 Jahren.
Kallinger: So hart würde ich das nicht formulieren, aber im Kern ist die Kritik natürlich richtig. Die Bau- und Immobilienwirtschaft hat keinen dramatischen Hang zu Innovation. Wenn etwas funktioniert, hält man daran fest. Da braucht es schon dramatische Einflüsse von außen, wie etwa vor 20 Jahren die Bauträgerwettbewerbe, damit sich etwas ändert.
Die Baukosten sind in den letzten Jahren zwar schon gestiegen, aber nicht in dem Ausmaß, in dem sie hätten steigen können, wenn man die höheren Standards miteinberechnet. Das ist natürlich auf Produktivitätssteigerungen zurückzuführen, auf einen höheren maschinellen Einsatz und die stärkere Verwendung von Fertigteilen. Da gibt es aber sicher auch noch Luft nach oben.
(+) plus: In welche Richtung könnte es dabei vor allem gehen?
Kallinger: Vorgefertigte Elemente, standardisierte Bauweisen, Rasterarchitektur, systemisch Denken – da gibt es viele Möglichkeiten. Man muss auch eine Wand nicht künstlich schief machen, wenn es gerade auch geht. Aber natürlich darf man in der Gestaltung nicht in Richtung Primitivismus gehen.
(+) plus: Ist die Bereitschaft für diesen Wandel aus Ihrer Sicht spürbar?
Kallinger: Wir führen diesen Wandel in unserem Bereich mit unserem Slim Building Konzept radikal durch. Wenn wir Architekten einladen, ein Konzept für ein Bauvorhaben zu präsentieren, dann ist eine der Vorgaben, dass sie keine Fassade präsentieren dürfen, sondern nur die Struktur. Erst wenn die Struktur, die von einem funktionalen Raster ausgeht, klar ist, dann kümmern wir uns um die Architektur. Und dieser Raster, in dem ein Gebäude funktionieren muss, lässt sich natürlich auch auf andere Projekte umlegen. Mit diesem Wiederholungseffekt kann man ökonomisch bauen. Auch die Gründerzeitarchitektur ist Rasterarchitektur. So hässlich ist das nicht.
(+) plus: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die Branche?
Kallinger: Wir müssen auch aufgrund der gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit sicher flexiblere und variablere Wohnformen finden und entwickeln. Da wird es auch technologische Veränderungen geben müssen. Bauen, das auf 100 oder 200 Jahre ausgelegt ist, ist heute glaube ich nicht mehr zielführend.
Auch das energetische Denken muss sich verändern. Weg von Passiv hin zu Aktiv. Es wird nicht mehr darum gehen, die Hülle extrem dicht zu machen, sondern vielmehr darum, wie ich etwa aus der Ressource Sonne Energie gewinnen kann. Wir arbeiten aktuell an einem Forschungsprojekt zum Thema Erdwärme und Erdkühle in Verbindung mit Bauteilaktivierung. Das wirkt sich natürlich auch auf die Grundrisse und die Gebäudekonzeption aus. Und natürlich wird es Konzepte brauchen, um das Wohnen leistbar zu halten.
(+) plus: Wie könnten diese Konzepte aussehen?
Kallinger: Fragen Sie mich etwas Leichteres. Ich habe kein Patentrezept. Es wird aber sicher eine praxisgerechtere Bauphilosophie brauchen, technologisch und planerisch. Dabei darf es aber nicht zu einer Verarmung der Architektur kommen.