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Ein Konzept erobert die Baubranche

\"OhneEs ist eines der großen Schlagworte unserer Zeit. Alles ist heute nachhaltig – jedes Produkt, jede Lösung, jeder Unternehmensprozess. Auch die Bauwirtschaft hat die Nachhaltigkeit zum Dogma erhoben. Was man konkret darunter versteht, ist einem laufenden Wandel unterzogen. Den ersten Paradigmenwechsel hat der Nachhaltigkeitsbegriff bereits hinter sich.

Von Bernd Affenzeller

Noch vor zehn Jahren hat kein Hahn danach gekräht, schon gar nicht in der Bauwirtschaft. Heute kann kein Unternehmen mehr auf das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit verzichten.
Einen Firmenchef zu fragen, ob sein Unternehmen nachhaltig wirtschaftet, ist in etwa so, als würde man den Papst fragen, ob er gläubig ist. Da wie dort ist das Bekenntnis Teil des Berufsbildes.

Dem Begriff »Nachhaltigkeit« haftet heute etwas Modernes, Zeitgeistiges an. Dabei steht Nachhaltigkeit nicht erst seit Zeiten des Klimawandels auf der Tagesordnung von Wirtschaft und Politik. Die Wurzeln des Konzepts liegen in der Forstwirtschaft des 16. Jahrhunderts. Das Prinzip: Um den Fortbestand des Waldes zu sicher, dürfen nicht mehr Bäume abgeholzt werden, als nachwachsen können. Dabei war die Motivation bei genauerer Betrachtung keine ökologische im heutigen Sinne des Umweltschutzes, sondern eine ökonomische. »In einer Zeit der großen Abhängigkeit vom Rohstoff Holz war es ökologisch notwendig, die eigene Existenzgrundlage nicht zu zerstören«, sagt Philipp Kaufmann, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für nachhaltige Immobilienwirtschaft ÖGNI. Robert Schmid, Geschäftsführer der Baumit Beteiligungen und geschäftsführender Gesellschafter der Schmid Industrieholding, sieht darin auch heute noch den zentralen Aspekt des Nachhaltigkeitsprinzips. »Für ein Unternehmen, das länger als eine Generation am Markt sein will, ist Nachhaltigkeit etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches.« Man hat es früher nur anders genannt. Als Begriff hat die Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft erst in den letzten fünf, sechs Jahren Fuß gefasst. Das heißt aber nicht viel: »Nachhaltigkeit ist einer der am meisten missbrauchten Begriffe des deutschen Sprachraums«, stellte Peter Maydl vom Institut für Materialprüfung und Baustofftechnologie der TU Graz schon Mitte 2008 fest.

Von Grün zu Blau

In der Bauwirtschaft ist die Nachhaltigkeit eng mit der Betrachtung der Lebenszykluskosten eines Gebäudes verbunden. Galt lange Zeit das Primat der Errichtungskosten, ist man in letzter Zeit mehr und mehr dazu übergegangen, die Kosten während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten. Eine fast logische Konsequenz dieser Entwicklung war die Gründung der IG Lebenszyklus Hochbau im Frühjahr 2011. Ziel der IG ist die Zusammenführung der Verantwortungsbereiche Bestellqualität, Architektur und Fachplanung, Finanzierung, Bau- und Haustechnik sowie Facility Management von der Projekt­initiierung bis zum Betrieb, um Reibungsverluste bei Hochbauprojekten zu minimieren. Gegründet von der ÖGNI, ATP Architekten und Ingenieure, M.O.O.CON, Heinrich & Mortinger, DELTA sowie Heid Schiefer Rechtsanwälte hat die IG heute mehr als 30 Mitglieder.

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in der Bau- und Immobilienwirtschaft zwar noch recht jung, hat aber dennoch bereits einen Definitionswandel hinter sich. Anfangs war die Nachhaltigkeit fast ausschließlich mit der Ökologie und damit mit Green Buildings verbunden. Schon Anfang der 90er-Jahre war von Green Buildings die Rede, wenn Gebäude besonders ressourceneffizient errichtet und betrieben werden konnten. Breeam in Großbritannien war 1990 das erste Zertifikat, mit dem Gebäude klassifiziert werden konnten. In den USA wurde 1998 das Leed-System entwickelt. Beide Systeme legen ihren Hauptfokus auf die ökologische Nachhaltigkeit von Gebäuden und die damit verbundenen ökonomischen Vorteile.
Noch einen Schritt weiter geht das 2007 von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft gegründete DGNB-Zertifikat, das 2009 von der ÖGNI für die heimischen Verhältnisse adaptiert und seitdem kontinuierlich weiter entwickelt wurde. Neben ökologischen und ökonomischen werden auch soziokulturelle Aspekte berücksichtigt. Damit soll laut ÖGNI-Präsident Kaufmann der Paradigmenwechsel vom Green zum Blue Building erfolgen. »Die Nachhaltigkeit von Gebäuden wird nicht mehr nur in Bezug auf Energieeffizienz und ökologische und ökonomische Auswirkungen gesehen, sondern durch eine gesamtheitliche, soziokulturelle und menschliche Bedürfnisse einschließende Betrachtung erweitert.«

Heute hat sich in Österreich das 3-Säulen-Modell in der Nachhaltigkeitsdiskussion weitgehend durchgesetzt. Daran einen großen Anteil hat auch ein Player, den man nicht zwangsläufig mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringt. »Bau!Massiv! hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Nachhaltigkeit außer ökologischen auch ökonomischen und zunehmend soziale Aspekte erfassen und bewerten muss«, erklärt Sprecher Robert Stefenelli. Die Bau!Massiv!-Gruppe war zwar nicht unter den Ersten in der Bauwirtschaft, die auf den Nachhaltigkeitszug aufgesprungen sind, dafür hat sich die Lobbying- und Informationsplattform der Bundesinnung Bau und des Fachverbands Steine Keramik dann aber so richtig ins Zeug gelegt. Erst wurde das mit 1,2 Millionen Euro dotierte Forschungsprojekt »Nachhaltigkeit massiv« gestartet, das die Nachhaltigkeitsdiskussion stark in Richtung soziokulturelle Dimension getrieben hat. »Hauptziel war die Beseitigung der einseitigen ökologischen Schwerpunktsetzung bei Gebäude-Bewertungsinstrumenten«, wie der damalige Fachverbands-Geschäftsführer Carl Hennrich anlässlich der Studienpräsentation erklärte. Und schließlich folgte im Herbst 2010 die Gründung des Nachhaltigkeitsbeirats. Mit der Bestellung von WWF-Geschäftsführerin Hildegard Aichberger zur Vorsitzenden haben die Massivbauer endgültig bewiesen, dass sie jegliche Berührungsängste abgelegt haben.

Und was sagen die Privaten?

In der Fachwelt hat sich der Nachhaltigkeitsbegriff einen Fixplatz gesichert. Welchen Stellenwert der Nachhaltigkeitsgedanke für private Nutzer und Käufer einer Immobilie hat, ist noch weitgehend unerforschtes Terrain. Zwar gibt es die eine oder andere Untersuchung, die eine Sensibilität in diese Richtung nahelegt. Roland Berger etwa hat in der Studie »Nachhaltigkeit im Immobilienmanagement« herausgefunden, dass Mieter für nachhaltige Immobilien eine bis zu 4,5 % höhere Miete akzeptieren würden. Allerdings wurden auch hier nur gewerbliche Mieter befragt. Für den Wohnbau bzw. den privaten Nutzer liegen diesbezüglich bislang keine öffentlich bekannten Studienergebnisse vor. Deshalb hat wiko, ein Beratungsunternehmen für Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftskommunikation, jetzt in Zusammenarbeit mit der ÖGNI, Rhomberg Bau, dem Aluminium-Fenster-Institut AFI und Pro Projekt Baumanagement eine Studie zum Thema »Nachhaltige Immobilien – was sagt der Privatnutzer?« initiiert. »Als Agentur, die einige Unternehmen der österreichischen Bau- und Immobilienwirtschaft zu ihren Kunden zählen darf, beschäftigen wir uns bereits seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche. Im täglichen Umgang mit unseren Kunden ist uns aufgefallen, dass zum privaten Nutzer hin noch Kommunikationsbedarf besteht, was diese Gebäude können und warum es von Vorteil ist, in einem solchen Gebäude zu wohnen«, erklärt Helene Fink, Geschäftsleiterin der wiko in Wien. Die Studie soll grundlegende Informationen über den bisherigen Wissensstand, mögliche Vorurteile und Wissenslücken sowie Wünsche der Privatnutzer liefern, die der Bau- und Immobilienbranche als Datengrundlage für weiterführende Aktivitäten zur Verfügung stehen.

> Tipp: Eine eingehende Analyse der Studie »Nachhaltige Immobilien – was sagt der Privatnutzer?« lesen Sie in der Ausgabe 5 des Bau & Immobilien Reports.

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