Focus Export Teil 1 - Krisenmarkt Indien
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Vor wenigen Jahren noch wurde Indien als Wirtschaftswunderland und Gegenmodell zum autoritären China gefeiert. Heute leidet das Land unter hoher Inflation und politischen Querelen. Westliche Unternehmen werden auf eine harte Probe gestellt.
Der Subkontinent steckt voller Gegensätze: moderne Millionenstädte und verelendete Dörfer, hochqualifizierte IT-Spezialisten neben hohen Analphabetenraten in den ländlichen Gebieten, weltweit tätige High-Tech-Unternehmen, während die grundlegende Infrastruktur versagt. Als im vergangenen Sommer in Indien binnen 48 Stunden zweimal der Strom ausfiel, offenbarte sich eine der größten Schwachstellen des riesigen Landes. In 20 der 28 Bundesstaaten waren rund 700 Millionen Menschen von dem gigantischen Blackout betroffen – nahezu ein Zehntel der Weltbevölkerung. Der öffentliche Verkehr und die Wasserversorgung brachen zusammen, in Krankenhäusern operierten Ärzte im Schein von Taschenlampen, Bergleute waren in den Stollen eingeschlossen.
Während die Industrie des aufstrebenden Schwellenlandes nach immer mehr Energie giert, ist die Versorgung für die Bevölkerung noch nicht einmal hergestellt. 300 bis 400 Millionen Inder verfügen über keinen eigenen Stromanschluss. Dafür ist es fast zum Volkssport avanciert, illegal Strom abzuzapfen. Nach Schätzungen gehen durch Diebstahl und Übertragungsverluste 25 bis 40 % des Stroms verloren. Vor allem in den extrem heißen Sommermonaten kommt es durch die permanent laufenden Klimaanlagen selbst in der Hauptstadt Delhi zu Engpässen. Verschärft wurde die Situation heuer durch die große Dürre, die Bauern dazu nötigte, ihre elektrischen Wasserpumpen stetig in Betrieb zu halten.
>> Junge Bevölkerung <<
Dabei waren die Perspektiven noch vor wenigen Jahren blendend. Im Wettlauf mit China zur künftigen Wirtschaftsgroßmacht schienen die Chancen Indiens fast besser. Mit einem demokratischen Staat wollten westliche Unternehmen lieber Geschäfte machen als mit einem autoritären Regime kommunistischer Prägung. Zudem wirkt die sprachliche Barriere niedriger: Englisch hält neben Hindi und 17 regionalen Sprachen den Status als Amtssprache. Dass Englisch als Prestige-Sprache gilt und nur von einer privilegierten Minderheit fließend gesprochen wird, ist nur wenigen bewusst.
2004 stieg Indien nach dem Ranking der Weltbank in den Kreis der zehn größten Volkswirtschaften der Welt auf. In einigen Branchen wie Biotechnologie, Pharmazie oder im IT-Bereich erreichten indische Unternehmen internationales Spitzenniveau. Gleichzeitig beträgt die Analphabetenrate in einigen Landesteilen rund 36 %, vor allem Mädchen und Frauen werden im Bildungssystem noch immer stark benachteiligt. Ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre. Dieser hohe Anteil junger Menschen wäre ein weiterer Joker für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Denn während Europa und auch China langsam »vergreisen«, verfügt Indien auch in den kommenden Jahrzehnten über genügend Menschen im erwerbsfähigen Alter. Prognosen zufolge wird sich das Bevölkerungswachstum kaum abschwächen, Indien könnte China bis zum Jahr 2025 als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen. Laut Volkszählung von 2011 beträgt die Einwohnerzahl derzeit 1,2 Milliarden Menschen. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von nur rund 700 US-Dollar befindet sich der Vielvölkerstaat aber nach wie vor auf dem Level eines Entwicklungslandes. Ein Viertel der Bevölkerung ist zu arm, um sich ausreichend ernähren zu können. 70 % der Inder leben in Dörfern, die an kein Straßen- oder Bahnnetz angeschlossen sind. Daneben etabliert sich der stark wachsende Mittelstand in den Städten als wichtige Käuferschicht. Der Konsum wurde zum tragenden Wirtschaftsfaktor.
>> Reformschub notwendig <<
Gerade der große Nachholbedarf Indiens lockte viele westliche Unternehmen an und verhalf dem Land zu traumhaften Wachstumsraten von 9 %. Doch wie es scheint, ist Indien kaum in der Lage, die Voraussetzungen zu nützen. Die galoppierende Inflation droht die Gewinne der Wachstumsjahre aufzufressen. Ausländische Investitionen brachen um ein Drittel ein, das Wachstum fiel im ersten Quartal 2012 auf ein Neun-Jahres-Tief.
Als größter Hemmschuh gilt die Politik. Die Parteienlandschaft ist inzwischen unüberschaubar zersplittert. Die aus zehn Parteien zusammengewürfelte Regierungskoalition unter Führung der Kongresspartei scheut vor tatkräftigen Reformen zurück bzw. findet dafür keine Mehrheiten. Die 1991 begonnenen Liberalisierungen gehen nur langsam voran. Ineffiziente Staatsbetriebe in der Industrie und der Bankensektor bremsen nach wie vor den freien Wettbewerb. Korruption ist weit verbreitet.
Indien verfügt zwar über die fünftgrößten Kohlereserven der Welt. 10 % der Kohlewerke produzieren jedoch momentan nicht, der Bau neuer Anlagen wird durch Gesetze blockiert. Für die Instandhaltung und Modernisierung der Wasser- und Stromversorgung fehlt das Geld – und auch der Wille. Schafft Sonia Gandhi, Chefin der Kongresspartei, den erhofften Reformschub bis zu den Regionalwahlen im November nicht mehr, ist der Zug bis zur Parlamentswahl 2014 wohl endgültig abgefahren.
>> Exportschlager <<
Diese Unsicherheitsfaktoren tragen nicht unbedingt dazu bei, internationale Konzerne bei der Stange zu halten. Derzeit sind mehr als 120 österreichische Unternehmen auf dem indischen Markt mit Produktionsstandorten und Vertriebsbüros vertreten. Für den börsennotierten oberösterreichischen Motorradhersteller KTM erwies sich das Indien-Abenteuer als Glücksgriff. Dank des indischen Partnerunternehmens Bajaj und der in Indien verkauften »Duke 200« erreichte KTM im ersten Halbjahr 2012 mit plus 36,5 % einen Rekordabsatz von 50.200 Motorrädern. In Europa stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr nur um 9,3 %. Das Motorrad wurde speziell für Indien als Land mit den angeblich schlechtesten Straßen der Welt entwickelt. Nächstes Jahr soll eine 350-Kubik-Variante folgen und nach Thailand, Malaysia und Brasilien exportiert werden. Als Zielmarke peilt KTM bis 2015 den Absatz von 200.000 Motorrädern jährlich an, die Hälfte davon wird in Pune produziert.
Auch der Stempelproduzent Trodat sieht seine Zukunft in Asien. Zwar befinden sich die Hauptabsatzmärkte noch in Europa, etwa in Frankreich, wo das Unternehmen Marktanteile von mehr als 80 % besitzt. Die Produktion des Werks in Wels geht fast zur Gänze in den Export. Zweistellige Wachstumsraten verzeichnet der Konzern aber in Brasilien, China und Indien. Trodat betreibt weltweit über 30 Niederlassungen und ist bei selbstfärbenden Stempeln Weltmarktführer. Auch in China hat das Unternehmen bereits lokale Player ausgestochen. In Indien matcht sich Trodat mit internationalen Konzernen um die Marktführerschaft. Die Produktion in Gurgaon wird stark ausgebaut, Pläne für weitere Standorte liegen bereits auf dem Tisch. Geschäftsführer Michael Peduzzi setzt konsequent auf den Grundsatz »Management is strictly local«. Die komplizierten bürokratischen Strukturen – für andere Unternehmen eine Mühsal – kommen Trodat sehr entgegen. »Je bürokratischer ein Land, desto mehr Stempel werden benötigt«, erklärt Peduzzi.
Auf dem Subkontinent zu reüssieren, ist dennoch keine Leichtigkeit. Im Gegensatz zu chinesischen Konsumenten zeigen Inder deutlich weniger Affinität zu ausländischen Marken. Das musste auch Coca-Cola 1993 nach der Übernahme des indischen Marktführers Thums up erkennen: Bis heute wird das bei der Bevölkerung äußerst beliebte Getränk weiter produziert – denn der Umsatzanteil von Coca-Cola beträgt nur 30 %.
>> Dos & Don‘ts:
1. Kommunikation: Inder sind Beziehungsmenschen. Zuerst positive, auch private Themen kommunizieren, Fakten erst zum Schluss ansprechen. Wichtiges (z.B. Anweisungen, Deadlines) mehrmals wiederholen, Wiederholung bedeutet Unterstreichung.
2. Kritik/Lob: Kritik nur unter vier Augen und konstruktiv gestalten (z.B. die Umstände kritisieren), Gesichtsverlust unbedingt vermeiden. Auch Lob nur indirekt äußern: Inder sehen sich als Teil des Teams und wollen nicht hervorgehoben werden.
3. Arbeitsablauf: Inder orientieren sich stark an Hierarchien und erwarten Rat und Entscheidungen von den Vorgesetzten. Neues Wissen eignen sie sich theoretisch (durch Auswendiglernen) an, nicht durch praktisches Ausprobieren. Sie denken prozessorientiert – wichtiger als das Ziel ist der Weg dorthin. Anweisungen müssen klar und Schritt für Schritt erfolgen, ständige Präsenz und viel Geduld sind erforderlich. Selbstverantwortung kann erst nach und nach übertragen werden.
4. Prioriäten: Die Familie ist wichtiger als Geschäftstermine. Inder sind sehr gastfreundlich und nehmen es mit der Pünktlichkeit nicht sehr genau.