Das Betriebssystem Linux wird häufig mit einer Bastelstube verglichen. Leute, die sich gar mit dem Programmieren von Linux beschäftigen, werden oft als Freaks, Hippies oder zumindest als geringfügig entschärfte Versionen der 68-er Revoluzzergemeinde um Richard Martin Stallman bezeichnet.
Von all diesen Attributen trifft auf Linux-Jünger Oliver Pitzeier kein einziges zu. Im Gegensatz zu den oft beschriebenen freischaffenden Chaoten mit kreativem Potenzial weiß Oliver Pitzeier sehr genau, wohin die Reise mit dem Gratis-Betriebssystem Linux geht, nämlich den derzeit größten Nachteil von Linux auszubessern - die begrenzte Skalierbarkeit.
Theoretisch könnten es zwar mehrere mit Linux bestückte PC"s mit der Leistungsfähigkeit eines Großrechners aufnehmen - eben diese Koppelung von Billig-PCs mit Gratis-Software, die auf den Linux-Programmierer Alan Cox zurückgeht, war übrigens der Grund, warum Linux tatsächlich zu einer Bedrohung für die kommerzielle Softwarewelt wurde.
Die Linux-Evolution zu Webservices
Die aktuelle Kernel-Version 2.4 kann zwar mit Mehrprozessor-Systemen umgehen, doch ab einem 4-Prozessor-System ist mehr oder minder Schluß mit der Skalierbarkeit. Fazit: Die Rechenleistung wird ab dieser Prozessoranzahl nicht mehr schneller. "Linux-Kernelprogrammierer verbringen daher zur Zeit den Löwenanteil ihrer Frei- oder Arbeitszeit mit der Weiterentwicklung der Skalierbarkeit und der überholung des Disk IO Layers", erklärt Pitzeier. Der neue Kernel soll hingegen bei 12-Prozessor-Systemen immer noch skalieren, sprich der Prozessoranzahl entsprechend schneller werden.
Hinter den aktuellen Bemühungen der Linux-Entwicklergemeinde stecken nicht zuletzt die Interessen der IT-Industrie, die Linux auf ihren Großrechnern lauffähig machen will. "Es soll inzwischen auch schon Tests von HP-Compaq geben, Linux auf ihren großen Alpha-Maschinen (GS-Serie wie zB GS320 mit 32 CPUs) laufen zu lassen," erzählt Pitzeier.
IBM investiert 10 Milliarden Euro in Linux und "E-Business on Demand"
Obwohl sich große IT-Konzerne wie IBM mittlerweile aktiv und milliardenschwer in den Entwicklungsprozess der Linux-Gemeinde einbringen, will man diese jedoch nicht völlig vereinnahmen, meint Piero Corsini, IBM Vice President für den Public Sector. Im Gegenteil: Ein Zwang werde nicht von der IT-Industrie, sondern von den Bedürfnisse des Marktes ausgelöst, der nach Webservices auf Basis von interoperablen Standards verlangt. Und in genau diese Richtung will IBM Linux bringen. "Linux muss in der Lage sein, auf Servern für Webservices zu laufen," so Corsini. Mittlerweile ist Linux fixer Bestandteil der IBM-E-Business-Strategie, die unter dem Kontext "E-Business on demand" läuft. Zehn Milliarden US Dollar will IBM in den nächsten Jahren investieren - ein nicht unbeträchtlicher Teil dieses Investments soll in die Linux-Entwicklung fließen. Eine hohe Skalierbarkeit des Betriebssystem wird dafür die Grundvoraussetzung sein. "Im Internet kann es sonst den Tod eines Unternehmens bedeuten, wenn es zu erfolgreich ist", so Corsini. In der wachsenden Knowledgegesellschaft müsse man auch mit Millionen Zugriffen und Transaktionen übers Web rechnen.
Microsoft kämpft um Vertrauen und öffnet sich.
Mit der zunehmenden Infiltration von Linux, das sich mit seinem offenen Quellcode und schlankem Betriebssystem seinen Weg in die EDV-Landschaften von Unternehmen bahnt, hat Softwareriese Microsoft ein zunehmend größer werdendes Problem. Das Image des undurchsichtigen, repressiven Monopolisten gilt es nun abzuschütteln, um im E-Business, das auf offene Standards setzt, Fuß zu fassen. Eine Sichtweise, die bereits der Vergangenheit angehört, erläutert Thomas Lutz, Unternehmenssprecher von Microsoft österreich. Oft fühlt sich das Softwareunternehmen zu Unrecht als "undurchsichtiger Software Moloch" beschimpft, während der offene Quellcode und die Unterstützung offener Standards von Linux hochgelobt wird. "Das Thema "Offene Standards" wird nach wie vor fälschlicherweise als Gegensatz zwischen Microsoft Technologie und Open Source gesehen," berichtigt Lutz. Dies entspreche nämlich keineswegs der aktuellen Faktenlage, da die gesamte Microsoft .NET Technologie wie alle neuen Microsoftprodukte auf offene Standards namens XML, WS-I, SMTP oder POP3 setze. Damit stehe man Linux keineswegs nach, betont Lutz. Die open Source Bewegung hat indes noch eine andere Entwicklung bei Microsoft ausgelöst. Als vertrauensbildende Maßnahme beschloss das Softwarehaus vor ein einhalb Jahren die sogenannte "shared source initiative", innerhalb derer Regierungen, Universitäten und Businesskunden eine Gratislizenz bei Microsoft lösen können, um in den Quellcode der Software Einsicht zu nehmen, und sie für eigene Zwecke zu verändern. Davon ausgenommen ist freilich die kommerzielle Verwertung dieser Information. Erste Shared Source Lizenzen haben in österreich etwa das Innenministerium und die Kepler Uni Linz gelöst. Alles in allem werde jedoch noch wenig davon Gebrauch gemacht.
Diese öffnung Microsofts, die sich auch aktiv an den Standardisierungsgremien beteiligen, ist eine überlebensstrategie. Nicht nur um sich gegen Konkurrenz zu behaupten, sondern um den Anforderungen von Wirtschaft und Politik zu entsprechen, die Offenheit verlangt, um Webservices, sprich das elektronische Business der Unternehmen zu ermöglichen. Heterogene EDV-Systeme und die elektronische Kommunikation mit internen und externen Partnern haben diese Entwicklung zu einer Notwendigkeit gemacht.
Der Breakout: Die Linux-Welle rollt - auch in österreich.
Während Softwarehäuser nach Argumenten suchen, wie etwa: Linux als Modeerscheinung, die vor den Karren der IT-Konzerne gespannt worden ist, die Open Source Software als Tod der planbaren Softwareentwicklung, oder einfach mit viel zu hohen Integrations- und Implementierungskosten argumentiert, ist das freie Betriebssystem mit dem Pinguinmaskottchen mittlerweile nicht mehr aufzuhalten. Unaufhaltsam breitet sich Linux über die EDV-Landschaften von Wirtschaft und Verwaltung aus, wie auf der diesjährigen Linux-World Conference klar wurde. Aus Gründen von Kosteneinsparung, Stabilität und Sicherheit rechnet man mit einer exponentiellen Ausbreitung in den nächsten Jahren. Laut einer aktuellen Studie von TechConsult werden weltweit 31 Prozent der Verwaltungen bis 2004 auf Linux umsteigen. Auch in österreich spricht einiges dafür, dass Linux wesentlicher Bestandteil des E-Government werden könnte. Eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung namens "Alternativen zu monopolartiger Software" beschäftigt sich seit einigen Monaten mit diesem Thema. Udo Linauer, der für den technischen Part in dieser Arbeitsgruppe zuständig ist, fasst die bisherigen Ergebnisse zusammen: "Was unserer Ansicht nach für Open Source Software spricht, ist die hohe Ausfallsicherheit und die Investitionssicherheit aufgrund des offenen Quellcodes, der veränderbar ist und eine Maßschneiderung des Systems zulässt." Aber auch Sicherheitsgründe sprächen für freie Software. "Patches sind in der Regel schneller verfügbar", so Linauer. Das abgespeckte Betriebssystem und Entfall der Anschaffungskosten seien weitere Vorzüge, aber nicht ausschlaggebend für IT-Entscheidungen. Der wesentliche Punkt ist:"Die Einhaltung von offenen Standards wird von OSS Produkten besser erfüllt." Die Arbeitsgruppe werde daher auf den Einsatz von Linux im elektronischen Aktenlauf des Bundes (ELAK) drängen.
Die österreichische Linux-Welle rollt: In der Wiener Stadtverwaltung sowie in Teilen Vorarlbergs laufen bereits ein Großteil der File Server auf Linux-Basis, erzählt Linauer.
Grundsätzlich wolle die Arbeitsgruppe jedoch nicht sagen, dass Open Source Software (OSS) immer die bessere Variante sei, sondern mit OSS mehr Auswahlmöglichkeiten für wichtige IT-Entscheidungen anbieten. Im Rahmen des Aktionsplans eEurope sei OSS übrigens bevorzugt einzusetzen und zu fördern. Was von kommerziellen Softwarehäusern als Gegenargument vorgebracht wird, sind die hohen Integrationskosten, die OSS in IT-Projekten verursacht. Microsoft etwa pocht darauf, dass ihre Lösungen aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades wesentlich weniger Service-Kosten als Open Source Software verursacht.
Software as a Service
Das Argument der geringen IT-Kosten nehmen jedoch auch andere für sich in Anspruch. IT-Firmen, die das Potenzial der Open Source Potenzial und "Software as a Service" bieten. Immer häufiger werden Bundles mit Linux als Betriebssystem werden geschnürt - auch für den Desktopbereich. Deutlich weniger IT-Kosten und hohe Ausfallsicherheit werden als Argumente angeführt, die Kunden überzeugen sollen. Die Anbieter kassieren hier zwar nicht für die Software, aber für die Dienstleistungen drum herum - samt Hardware und zahlreichen Eigenprodukten, die auf Linux-Basis laufen.
Sun, IBM und HP setzen auf Linux
IT-Häuser wie Sun, IBM oder HP haben mit ihren Angeboten rund um Linux besonders KMU aber auch größere EDV-Abteilungen mit erhöhten Kosten- und Sicherheitsanforderungen im Visier. IBM will etwa ins E-Business der KMU mit kostengünstigen Linux-basierenden "Start Now"-Paketen, bei Sun Microsystems lautet "das Kernthema, den Kostenfaktor IT-Budget für die Kunden um 2/3 zu senken", erklärt Sun österreich Chef Donatus Schmid die Strategie. Mit einem Gesamtangebot, das Linux am Desktop, das freie Sun-Officepaket namens Open Office (freie Version von Star Office) und einige andere Open Source Programme enthält, will Sun vor allem Finanzinstitute, Behörden und Telekommunikationsunternehmen ansprechen. Mit im Paket sind auch kostengünstige Hardware und EDV-Dienstleistungen wie Wartung und Support. Größere Abteilungen zu 50 bis 100 Arbeitsplätzen, die besonders ausfallsicher sein müssen, wie etwa in Callcentern oder Buchhaltungsabteilungen hat Sun dabei im Auge.
Neuerdings macht Sun auch den Linux-Distributoren wie Red Hat, Suse und Konsorten Konkurrenz. Unter dem Markennamen "Sun Linux" werden nun Softwarepackages und Dienstleistungen rund um Linux und Open Source Software angeboten.
Auch HP setzt nun verstärkt auf die hohe Verfügbarkeit des Betriebssystems Linux, das man als integralen Bestandteil von Komplettlösungen für den Aufbau kostengünstiger, sicherer und hoch verfügbarer IT-Landschaften anbieten will. Zu den neuen auf Linux basierenden Lösungen zählen die "Disaster Tolerant Solution" für besonders hohe Ausfallsicherheit von Linux-Umgebungen - eine Kombination aus MC/Serviceguard 2.0 und der XP-Storageproduktreihe von HP. Weiters der HP Servicecontrol Manager 3.0 - eine Netzwerkmanagementlösung, welche die Administration mehrerer Linux-Server erlaubt.
Nach dem Motto "Software as a service" werden immer mehr EDV-Dienstleistungen rund um Linux angeboten, so auch von HP für deren Evo-Desktop-PC. Linux hat mittlerweile auch in die Hardwarewelt von HP Eingang gefunden, die nun Treiber, Sicherheitswerkzeuge und viele andere Tools für Linux-Umgebungen anbietet.
Bei der Anpassung ihrer Produkte und Dienstleistungen rund um Linux und Open Source Software belassen es die IT-Firmen jedoch nicht. Die Arbeitsgruppen der Open Source-Jünger werden finanziell unterstützt und mit Hard- und Software von Herstellern beliefert. Neben IBM unterstützen auch HP, Oracle oder BEA die Weiterentwicklung von Linux.
Linux-Jünger Oliver Pitzeier ist ein Realist, der um die wirtschaftlichen Hintergründe der Kreativgemeinde weiß. Trotzdem hat er die Begeisterung für die Beschäftigung mit diesem Betriebssystem nicht verloren. Für ihn ist dieses Hobby, das sein Beruf ist, mit Skateboardfahren vergleichbar. "Darauf stehen lernen und ein kurzes Stück zu fahren, ist einfach", meint er " aber es wirklich zu beherrschen, ist die Kunst".