Schlafende Hunde. Die Geschichte der nicht in Anspruch genommenen Verordnungsermächtigung betreffend die Gestaltung der technischen Einrichtungen zur Gewährleistung der überwachungen des Fernmeldeverkehrs ist älter als das am 1. August 1997 in Kraft getretene Telekommunikationsgesetz selbst.
Waren früher Fangschaltungen ausreichend, um missbräuchliche Verwender von Notrufen in die Schranken zu weisen oder von Telefonhütten aus operierende Erpresser mit grünen Polizeitransportern der gerichtlichen Behandlung zuzuführen, bemerkte man im aufkommenden Bewegttelefon-Zeitalter: "Die technische Entwicklung auf dem Sektor der Telekommunikation hat die operativen Möglichkeiten der überwachung eines Fernmeldeverkehrs überholt. (…) Da die Notwendigkeit, den Einsatz dieses Ermittlungsinstruments sicherzustellen, nicht in Zweifel gezogen werden kann, ist legistischer Handlungsbedarf gegeben." (Zitat aus: "Das neue TKG 1997, kommentierte Textausgabe der Wirtschaftskammer österreich").
Im Grunde genommen ist die damals - es war unter der Regentschaft von Einem, Michalek und Schlögl - rasch erzielt gewesene Pattstellung bis heute aufrecht: Das federführende Verkehrsministerium hatte keinen Anlass, die eben liberalisierte Branche mit teuren überwachungseinrichtungen finanziell zu überfordern. Das Justizministerium wollte klare und würdige Rahmenbedingungen für die Gerichtsbarkeit. Und das Innenministerium pochte darauf, maximale Chancen durch alle Stückln spielende Technik eingeräumt zu bekommen.
Irgendwann schien das Thema auf österreichisch erledigt worden zu sein - die Minister kamen und gingen, aber das Wort von der überwachungsverordnung ward nie wieder gehört. Beim VAT, dem Verband der alternativen Telekom-Netzbetreiber, wurde bereits vorsichtige Entwarnung gegeben. "Nur keine schlafenden Hunde wecken", wurde anfragenden Reportern im Vorjahr bedeutet. Dennoch: Seit dem Frühjahr bellen sie wieder. Und jetzt auch noch der Terror, der von der Weltkriegsbegeisterung bis zur Fingerabdruckverpflichtung alles ans Tageslicht gefegt hat, was sich ein unbedeutender neutraler Zwergstaat normalerweise nicht wünschen kann.
Der Satz aus dem Ministerium Forstinger spricht Bände: "Im Innenministerium werden die Ereignisse vom 11. September zum Anlass genommen, um die Reichweite auszubauen." Die agierende Personen dort müssten sich einmal selber einigen, was sie präzise wollen, sagt man dem Report.
Operators beängstigt. Diese Sicht der Dinge deckt sich ziemlich exakt mit dem, was einzelne Netzbetreiber - hauptbetroffen sind die Mobile Operators, weil sie die Strecke zwischen Funkmast und Handy verschlüsselt überbrücken und bei ihnen Bewegungsprofile anfallen - berichten. mobilkom meint: "Klares Statement: Das ist der Schritt zum gläsernen Bürger." Und wehrt sich mit Zähnen und Klauen gegen einen weiteren Ausbau der überwachungskapazitäten.
Auch max.mobil ließ das FBI neulich wieder draußen stehen und verwies auf die geltende Rechtslage, wonach entsprechend begründete Ratskammerbeschlüsse vorzulegen seien, damit der Betreiber überhaupt irgendwelche Daten ausgraben darf. Eine Rasterung des mehrere Terabyte großen Datawarehouse sei ausgeschlossen, Killerargument Bin Laden hin oder her.
Ohne viel vorgehängte Diplomatie nimmt ebenso tele.ring Stellung zum wieder aufgeflammten üVO-Streit: "Na, wenn wir da eine Standleitung zum Ministerium aufmachen, wird bald einmal jemand hören wollen, was seine Freundin so spricht." Ekis und die angekündigten Nachfolgesysteme haben hier offenkundig keinen Grund geliefert, womöglich Vertrauen vor Recht ergehen zu lassen. "Die Privatsphäre unserer Kunden steht absolut im Vordergrund", behauptet so auch One.
Nur Lippenbekenntnisse? Möglicherweise, aber nicht unbedingt wahrscheinlich. Denn die beteiligten Unternehmen wissen natürlich sehr wohl, dass die ganze Hand weg ist, sobald sie den kleinen Finger hinhalten. Ein Fachmann: "Die Einrichtungen werden ja nicht in österreich entwickelt, sondern von den Lieferanten weltweit angeboten. Sie werden lediglich softwaremäßig so eingestellt, dass sie im jeweiligen Land zulässig sind." Nachsatz: Wie das mit gedrosselten Mopeds meistens endet, müsste die Polizei selber wissen …
50, 100, 200 Millionen? Ein Blick auf die Kostenseite erklärt: Billig wird die überwachungsverordnung auf keinen Fall.
50 bis 70 Millionen Schilling an Startinvestitionen pro Netzbetreiber sind schnell verpulvert, und für die gibt es schon nach derzeitiger Rechtslage keinerlei Ersatzanspruch. Verrechenbar sind lediglich die Kosten für die in Summe etwa 3000 Einsätze pro Jahr, für die pro Netzbetreiber im Durchschnitt vier Angestellte eine Dauerbeschäftigung gefunden haben. Was aber die Netzbetreiber am meisten verunsichert, ist eine Passage in der geplanten Verordnung, wonach "nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten und (…) mit wirtschaftlich verhältnismäßigem Aufwand" beim überwachungsnetzausbau vorzugehen wäre. In der Zusammenschau mit dem ebenfalls zitierten, scharfen ETSI-Standard ES 201671 klinge das nämlich danach, nicht nur die am Markt zu Fantasiepreisen angebotenen Werkzeuge anschaffen, sondern auch noch in kürzesten Abständen jede ausheckbare Systemverbesserung umsetzen zu müssen. Dann wäre das ertraglose Investment nach drei Jahren locker bereits bei einer Viertelmilliarde gelegen, rechnet ein betroffener Funknetzbetreiber vor.
Einigung am 16. Oktober. Alles bloß Vorgeplänkel - oder wird es jetzt, nach mehr als vier Jahren, wirklich endgültig ernst? Darüber gehen die Meinungen der Beteiligten auseinander, die einander am 16. Oktober um 14.00 Uhr bei der zuständigen Sachbearbeiterin Eva-Maria Weissengruber im Verkehrsministerium treffen werden. Im Vorfeld dieses Termins sagt das Justizministerium dem Report offiziell: "An uns liegt es nicht. Es wäre höchste Zeit, dass die Verordnung erlassen wird."
Auch das Innenministerium signalisiert, mit der seit Monaten vorliegenden Punktation, mit der der Verordnungsentwurf zur definitiven überwachungsverordnung redigiert werden sollte, prinzipiell leben zu können. Die Kompromissbereitschaft dürfte sich darin äußern, dass auch das Strasser-Ressort in Sorge ist, mit dem Passus vom wirtschaftlich verhältnismäßigen Aufwand über den Tisch gezogen zu werden - und sich deshalb aus der Deckung hervorwagen und hinsichtlich des technischen Maximalausbaus der Anzapfeinrichtungen Farbe bekennen muss.
Daraus würde sich dann die Datenschützer einigermaßen beruhigende Zwischenerkenntnis ergeben, dass auch das BMI annimmt, auch künftighin jedenfalls nicht selbsttätig - lies: unbemerkt und unbeschränkt - die vorgesehenen überwachungseinrichtungen bedienen zu können. Andernfalls wäre mit einer jetzt anliegenden und vor allem mit jeder späteren Novellierung der den Fernmeldegeheimnisbruch normierenden Strafprozessordnung die Aufgabe der Bürgerrechte total wie nie.
Horch, horch … By the way: Solange es dem einzelnen Staatsbürger freisteht, in Eigenverantwortung für die Wahrung seines Brief- und seines Fernmeldegeheimnisses Vorkehrung zu treffen, dürfte ihm die Anschaffung geeigneter "Hüllen" nicht übel genommen werden. Also weder der Kauf eines Kuverts für den Briefwechsel noch jener eines Handys mit Kryptofunktion zum Telefonieren. Und innerösterreichisch funktionieren die um
einen Extrachip aufgemotzten S 35 "TopSec" von Siemens auch a) rechtmäßig und b) anstands-los. Für nachdenkliche Gesichter bei Insidern sorgt allerdings die reale Erfahrung, dass gleich beim zweiten Versuch, end to end verschlüsselt zu sprechen und dabei über einen Satelliten zu gehen, die Verbindung knallhart getrennt wurde … n