Börsenblick 2012
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Die Schuldenkrise war 2011 das beherrschende Thema – und wird uns noch länger beschäftigen. Eine Einschätzung, wie sich die Finanzmärkte dieses Jahr entwickeln werden, war selten so schwierig. Renommierte Experten wagen für Report(+)PLUS dennoch eine Prognose.
Das vergangene Jahr hatte gar nicht schlecht begonnen. Der ATX startete im Jänner 2011 mit 2.900 Punkten durchaus vielversprechend, die Konjunkturkurve zeigte leicht bergauf, die Unternehmen fassten neuen Mut – bis die griechische Tragödie ihren Lauf nahm und gleich auch noch Portugal, Irland, Spanien und Italien ins Schleudern brachte. Der Euro-Rettungsschirm konnte nicht nachhaltig überzeugen, zumal die gefürchteten Ratingagenturen recht unbeeindruckt ihrem Unmut weiterhin durch graduelle Abstufungen Ausdruck verleihen.
Entsprechend irritiert sind auch die Anleger. Dabei stehen die meisten Unternehmen besser da, als die Stimmung an den Börsen vermuten lässt. Aktien sind derzeit günstig zu haben. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis – auf Basis der erwarteten Gewinne für 2012 – liegt mit 8,4 % deutlich unter dem langjährigen Schnitt von 11,9 %. Die Unsicherheit treibt Anleger trotzdem zu Anleihen, auch wenn sie damit niedrigere Renditen in Kauf nehmen. Eine Art Rückbesinnung hat Einzug gehalten: Statt satter Gewinne wird mit Ausfallwahrscheinlichkeiten gerechnet, der Kapitalerhalt steht im Vordergrund.
Fragezeichen gibt es mehr als genug, denn neben dem Euro befindet sich mit dem Dollar ein zweiter großer Währungsblock im Schuldenstrudel. Während Europa aber aufgrund der unterschiedlichen Länderinteressen schwerfällig um Lösungen ringt, scheint die Gefahr einer Rezession in den USA abgewendet. Die globalen Folgen der Wirtschaftskrise bekommen jedoch alle zu spüren: Auch die zuletzt boomenden Schwellenländer China, Brasilien, Indien und Russland müssen sich auf ein verlangsamtes Wachstum einstellen.
Frage ① 2011 war ein turbulentes Jahr – arabische Revolution, Fukushima, Schuldenkrise. Sind die Finanzmärkte heute ähnlich instabil wie im Krisenjahr 2008?
Frage ② Selbst Staatsanleihen scheinen inzwischen riskanter als die klassischen risikoreichen Assetklassen. Gibt es überhaupt noch sichere Anlagehäfen?
Frage ③ Der ATX verzeichnete ein sehr enttäuschendes Aktienjahr. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist derzeit günstig, die Anleger sind aber stark verunsichert. Welche Werte können Sie empfehlen?
Frage ④ Europa kämpft mit der Schuldenkrise. In CEE, aber auch in Österreich ist die Verschuldungsrate vergleichsweise gering. Zerfällt die Währungsunion?
Frage ⑤ In den USA wird eine Rezession unwahrscheinlicher, das Wachstum in China hat sich abgeschwächt. Welche Entwicklung erwarten Sie in den Schwellenländern? Wo lohnt es sich, zu investieren?
Christoph Raninger,
Vorstand der BAWAG P.S.K., Ressort Corporates & Financial Markets
①Die erwähnten Ereignisse haben 2011 zu sehr hoher Volatilität an den Finanzmärkten und entsprechend hoher Unsicherheit bei den Investoren geführt. Im Jahr 2008 waren ausgehend von der Immobilienkrise in den USA und einem massiv überhöhten Fremdkapital-Anteil in den Bankbilanzen die Finanzinstitute in Amerika und Europa am stärksten von der Krise betroffen. Durch die anschließenden staatlichen Rettungsmaßnahmen und schuldenfinanzierten Konjunkturprogramme hat sich die öffentliche Verschuldung in vielen Ländern so dramatisch erhöht, dass wir nach der Bankenkrise jetzt eine Staatsschuldenkrise, vor allem in den südeuropäischen Ländern, zu bewältigen haben. Da die Banken hohe Bestände an europäischen Staatsanleihen halten, kommt es hier zu negativen »Feedback Loops«. Ein großer Unterschied im Vergleich zu 2008 ist das proaktive Krisenmanagement der wichtigsten Zentralbanken durch unbegrenzte Liquiditätszusagen und direkte Anleihekäufe. Dadurch konnte eine gefährliche Ausweitung der Krise bislang verhindert werden.
② Investoren differenzieren heute deutlich stärker zwischen Staaten mit niedriger Verschuldung und Staaten mit höherer oder stark steigender Verschuldung. Nach der Euphorie durch die Einführung des Euro wurde das Kreditrisiko von Staatsanleihen lange Zeit unterbewertet. Durch die genauere Analyse des Kreditrisikos können allerdings Länder mit niedriger Verschuldung (Skandinavien, Australien, Schwellenländer in Südostasien) von tieferen Kapitalmarktzinsen deutlich profitieren. Dasselbe gilt für Industrieunternehmen mit gesunden Bilanzen.
Eine 100 % sichere Veranlagung gibt es nicht, aber ein Trend wird sich weiter fortsetzen: Staaten und Unternehmen, welche ihre Verschuldung unter Kontrolle haben, werden von den Investoren stärker als bisher bevorzugt.
③Am Wiener Aktienmarkt sind Bankwerte stark gewichtet. Diese Titel haben durch ihren starken Fokus auf Osteuropa, u.a. durch die Probleme in Ungarn, 2011 überdurchschnittlich stark verloren. Das hat sich in der Indexperformance widergespiegelt. Einen weiteren Faktor stellt die geringe Marktkapitalisierung und Marktliquidität vieler österreichischer Aktien dar. Diese Umstände erklären auch den eher verhaltenen Zugang internationaler Investoren zum österreichischen Aktienmarkt. Generell empfiehlt es sich bei der Aktienanlage, in ein breit diversifiziertes Portfolio von internationalen Blue Chip-Unternehmen zu investieren. Nischenmärkte sollten nur eine Beimischung zu einem Portfolio bilden.
④Österreich hat aufgrund seiner relativ niedrigen Verschuldung eine günstige Ausgangsposition – das gilt auch für einige starke CEE-Staaten. Hoch verschuldete Staaten in Zentral- und Osteuropa stellen wiederum eine gewisse Gefahr für die Stabilität in Österreich dar. Einen Zerfall der Währungsunion gilt es unbedingt zu vermeiden, da die damit verbundene Vermögensvernichtung in eine wirtschaftliche Depression ungeahnten Ausmaßes führen würde. Die Bestrebungen der Euro-Staaten laufen vielmehr in die Richtung einer Stärkung der Währungsunion durch eine nachhaltige Stabilisierung der Staatsfinanzen und eine besser koordinierte Wirtschafts- und Strukturpolitik.
⑤ Die jüngsten Konjunkturdaten in den USA haben Befürchtungen über eine neuerliche Rezession (»Double Dip«) nicht bestätigt. China hingegen muss einem zu schnellen Wirtschaftswachstum Tribut zollen und erlebt momentan eine Wachstumsabschwächung. Positiv zu vermerken ist ein Rückgang der Inflationsrate in China, wodurch die Zentralbank die Zinsen senken und den Wirtschaftsabschwung abfedern kann. In den anderen Schwellenländern hat sich das Wachstum ebenfalls verlangsamt. Die weitreichenden Reformen der letzten Jahre und eine konservative Fiskalpolitik bieten den starken Schwellenländern vor allem in Südostasien und Lateinamerika jedoch ausreichend Spielraum, einen Wachstumskurs fortzusetzen. Für Veranlagungen gilt dasselbe Grundprinzip wie zuvor erwähnt – eine breite Diversifizierung über Länder und Branchen.
Friedrich Mostböck, Head of Group Research Erste Bank AG
①Sie sind nicht ganz so instabil wie 2008/09, wenn man Volatilitätsindizes betrachtet. Dennoch belastet vor allem die globale Verschuldungskrise die Finanzmärkte nach wie vor schwer. Das wird sich aller Voraussicht nach auch im Jahr 2012 nicht ändern, weshalb Volatilitäten hoch bleiben sollten.
②Da ist die hohe Staatsverschuldung generell dran schuld. Staatsanleihen werden deutlich differenzierter gesehen. Ich würde aber dennoch in Staatsanleihen investieren, welche geringere Verschuldungsraten aufweisen und gut geratet sind. Darüber hinaus bieten sich defensive Aktien und Unternehmensanleihen von Blue Chip-Unternehmen an.
③Die Bewertung ist günstig und der ATX überdurchschnittlich negativ zum Handkuss gekommen. In der Regel besitzt der ATX im Aufwärtstrend einen stärkeren Hebel. Spielraum für eine relative Besserentwicklung der Wiener Börse im Jahr 2012 existiert, weil erstens österreichische Unternehmen stark in Osteuropa engagiert sind, wo in den wesentlichen Ländern die Verschuldungsquoten deutlich geringer sind und zweitens auch das Wirtschaftswachstum weniger stark einbrechen sollte. Zurzeit gefallen uns Werte wie AMAG, Immofinanz, Kapsch, Lenzing, Österreichische Post, OMV und Semperit.
④Das glaube ich vorerst nicht, auch wenn sich das manche gerne wünschen. Die gemeinsamen europäischen Anstrengungen werden weitergehen und sind noch nicht voll ausgeschöpft. Wichtig erscheint mir, nicht nur eine gemeinsame Geldpolitik umzusetzen, sondern auch eine gemeinsame glaubwürdige Wirtschafts- und Finanzpolitik zu finden. Das kann bis hin zur Einführung von Eurobonds gehen.
⑤Von den größeren Staaten sind wahrscheinlich Potenziale in Brasilien und Russland noch nicht voll ausgeschöpft. Darüber hinaus existieren sicher auch wieder Chancen in unseren unmittelbar angrenzenden Ländern Zentral- und Osteuropas.
Peter Brezinschek, Chefanalyst Raiffeisen Research
①Die Finanzmärkte haben die Schocks der letzten Monate – Stichwort: Eskalation der europäischen Schuldenkrise – relativ gut verdaut im Vergleich zu 2008/09, als die risikoreichen Asset-Kategorien ihren Wert mehr als halbiert haben. Ich denke daher, dass zwar die Rezession am Jahresanfang 2012 und die bislang noch fehlenden langfristigen Lösungen für die Staatsschulden der Eurozone temporär für Schwächephasen in den ersten Monaten 2012 sorgen könnten, aber bei Aufhellung der Konjunktureinschätzung und energischen Kraftanstrengungen zur Überwindung der Schuldenfrage auch die Anleger wieder zurück auf die Märkte kommen werden. Daher sehen wir nach frostigem Jahresbeginn eine versöhnliche zweite Jahreshälfte mit zweistelligem Kursplus bei etablierten Aktienindizes gegenüber Jahresstart.
② Neben den US-Staatsanleihen, die trotz Ratingabstufung nichts von ihrem Nimbus als sicherer Hafen verloren haben, sind es klarerweise die deutschen Bundesanleihen, welche in Europa den Status einer extrem sicheren Veranlagung eingenommen haben. Ablesbar ist dies an den historisch niedrigsten Renditen sowohl im kurz- wie langfristigen Laufzeitensegment. Fünfjährige deutsche Bundesanleihen werfen weniger als ein Prozent, zehnjährige Bundesanleihen weniger als zwei Prozent Ertrag ab, dies ist in beiden Fällen deutlich unter der Inflationsrate.
③Die Wiener Börse hat durch die Verschreckung der privaten Anleger über die Aktienkursgewinnbesteuerung erheblichen Schaden erlitten. Dies hat auch die inländischen Investmentfonds getroffen, die als Käufer ausgefallen sind. Mit der Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten sind natürlich Banken und zyklische Werte stärker unter die Räder gekommen. Wir meinen, dass aber individuelle Titelauswahl auch 2012 lohnend sein kann, so zum Beispiel bei KapschTraffic, Lenzing oder Semperit.
④Europa ist gekennzeichnet durch eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Die Länder der Kern-Eurozone um Deutschland haben halbwegs solide Staatsfinanzen und eine günstige Konjunktur, während die Euro-Peripherieländer angeführt von Italien sowohl ein Schulden- wie auch Wachstumsproblem haben. Osteuropa liegt vergleichsweise günstig, wenngleich einige Länder mit hohen Budgetdefiziten kämpfen. Wichtig ist, dass neben den Budgetkonsolidierungen auch die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum gesteigert wird, damit die Spannungen innerhalb der Eurozone abnehmen. Aber der Weg Richtung Fiskalunion ist schon eine Antwort gegen den Zerfall der Währungsunion.
⑤Es ist richtig, dass nirgends außer in Europa Rezession im Anmarsch ist. Die USA dürften aber mit 1,5 Prozent BIP-Zuwachs deutlich unter dem langfristigen Schnitt liegen und auch in China und anderen Schwellenländern nimmt die Konjunktur-Dynamik ab. Doch das hat auch seine guten Seiten. Die Inflation wird 2012 generell zurückkommen, in China, Russland oder Brasilien ist dies schon bemerkbar, und damit wird die restriktive Geldpolitik der Schwellenländer schrittweise abgebaut. Mehr Liquidität und tiefere Zinsen erhöhen damit die Attraktivität der Emerging Markets, weshalb sowohl deren Aktien wie Lokalwährungsanleihen wieder Potenzial haben. Hierzu eignen sich am besten Investmentfonds zwecks Risiko- und Ertragsdiversifizierung.
Monika Rosen, Chefanalystin Private Banking/Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria-UniCredit
①Das Krisenjahr 2008 war sicher eine Ausnahmesituation, die Lehman-Pleite hat die Märkte schwer verunsichert. 2011 war sehr turbulent, aber keinesfalls so dramatisch wie 2008. Insofern gehen wir absolut nicht davon aus, dass sich ein Szenario wie 2008 wiederholt. Im Gegenteil, wenn die Eurozone die Schuldenkrise in den Griff bekommt, gibt es Chancen auf ein gutes Börsenjahr. Immerhin waren Aktien im Vorjahr arg gebeutelt, die Fundamentaldaten sind aber nicht schlecht, hier herrscht Nachholbedarf.
②Die Finanzkrise hat das Risikobewusstsein der Anleger erhöht, und auch das Bedürfnis nach Kapitalerhalt ist deutlich gestiegen. Dafür nehmen die Anleger deutlich niedrigere Renditen in Kauf, so z. B. deutsche Bundesanleihen, die bei unter zwei Prozent rentieren und doch massiv auf Nachfrage stoßen. Insofern erfüllen die Staatsanleihen der Kernländer derzeit das Bedürfnis der Anleger nach Sicherheit am stärksten.
③Keine Angaben.
④Nein, die Eurozone zerfällt nicht – die Politik hat weiterhin genügend Möglichkeiten, dies zu verhindern und ökonomisch gibt es auch keinen Grund hierfür. Trotzdem ist noch einiges zu tun und natürlich besteht ein Restrisiko, dass die Politik diese Aufgaben nicht bewältigt. Was dann passiert, ist eine Frage der politischen Entscheidung.
⑤Wir stehen den Emerging Markets (EM) strukturell positiv gegenüber. Sie weisen ein höheres Wachstum auf als die westliche Welt, obwohl auch die EM einer gewissen Abkühlung nicht ganz entgehen konnten. Aber ihr relativer Wachstumsvorsprung bleibt erhalten. Im Vorjahr war in vielen EM Inflation ein Thema, die lokalen Notenbanken haben die Zinsen erhöht, was die Aktienmärkte der EM unter Druck gebracht hat. Heuer sollte der Zenit der Zinsanhebungen aber überschritten sein, insofern erwarten wir in diesen Märkten ein freundlicheres Börsenumfeld. Wir sind besonders positiv für Emerging Asia, gefolgt von Lateinamerika.
Uwe Lang, Berater der Swissinvest Vermögensverwaltung, Herausgeber der »Börsensignale«
①Die Finanzmärkte sind vor allem deshalb wesentlich stabiler als damals, weil es keinerlei Anzeichen für eine weltweite Rezession gibt.
②Jede Anlage, ob in Sachwerten wie Unternehmen, Gold oder Immobilien oder in Geldwerten (Gefährdung durch Inflation) ist Wertschwankungen unterworfen. Absolute Sicherheit gibt es nicht.
③Von österreichischen Papieren halte ich Update Software, Pankl Racing, Wolford, EVN, OMV und Mayr-Melnhof für kaufenswert.
④Die Währungsunion war nie gefährdet und wird auch künftig nicht zerfallen. Das wäre auch ein Riesenrückschritt, der alle treffen würde.
⑤Interessant erscheinen mir Südkorea (Samsung), Thailand (Bangkok Bank) und Mexiko (Telmex, American Movil).