Erneuerbare Zukunft
- Written by Martin Szelgrad
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Laut einer Studie des Instituts für höhere Studien ist der volle Umstieg auf saubere Energie in Österreich bis 2050 möglich. Doch Politik und Industrie warnen vor den Kosten.
Bis zum Jahr 2050 eine Halbierung des Energieverbrauchs in Österreich, ein Anteil von 85 Prozent erneuerbarer Energieträger am gesamten Energiemix und eine Einsparung von mehr als 90 Prozent CO2-Emissionen. Das sind realisierbare Ziele für die heimische Wirtschaft, bestätigt eine aktuelle Studie des Instituts für höhere Studien (IHS). Trotz unterschiedlicher Technologien, vieler Protagonisten aus Wirtschaft und Politik, unterschiedlicher Interessen und Geschäftsmodelle – die große Energiewende ist machbar, ist IHS-Direktor Bernhard Felderer felsenfest überzeugt.
Das Institut hat dutzende am Markt kursierende Studien untersucht und Resümee gezogen. Auftraggeber des Meta-Szenarios, wie die Österreicher die Energiewende schaffen können, sind Greenpeace, die Gewerkschaft vida und der Energieversorger EVN. »Hätte Greenpeace alleine diese Studie beauftragt, würde sie kaum Wellen schlagen«, heißt es unter der Hand anlässlich einer Präsentation im April. Eine Gewerkschaft und ein Energieversorger an Bord einer Roadmap für den Umweltschutz? Das ist allerdings neu und verleiht dem Auftritt Glaubwürdigkeit. Es heißt, Greenpeace habe bei drei Energieversorgern für die Studienkooperation angeklopft. Die niederösterreichische EVN hatte sofort zugesagt.
»Wir wollen an der Gestaltung unserer Zukunft selbst teilhaben«, bekennt EVN-Vorstandssprecher Peter Layr. »Zwar müssen wir in unserer Rolle als Energieversorgungsunternehmen kurzfristig in der Versorgungssicherheit planen, bei mangelnden Investitionen in die Netzinfrastruktur wird aber garantiert Kapital aus Österreich abwandern.« Die Energieversorger quer durch Österreich kritisieren die staatlich oktruierte Marktregulierung in den Verteilnetzen.
>> Veränderungen im Verkehr <<
Doch wie ist nun die Wende sinnvoll machbar? Die IHS-Studie beschreibt optimale Szenarien über einen Zeitraum der nächsten 40 Jahre. Im Verkehr, einem der wesentlichen Verursacher für CO2-Emissionen, wird der aktuelle Trend zu Elektromobilität als Hebel für große Veränderung gesehen. Die etablierten Fahrzeughersteller – und viele neue Player am Automobilmarkt – haben E-Mobilität bereits fix im Programm. Jene Pläne, denen früher ein trauriges Leben in den Schubladen der Konzerne nachgesagt wurde, liegen jetzt auf den Tischen der Konzernbosse. Besser noch: Sie werden bereits umgesetzt und werden in den kommenden Monaten eine Flut an E-Cars und Hybridautos bringen. Der Massenmarkt steckt in den Startlöchern, und die Kosten für die derzeit noch sauteuren Fahrzeuge werden sich erwartungsgemäß bald den Preisen herkömmlicher Modelle angleichen.
>> Dezentrale Einspeisung <<
Wie könnte die Energierevolution in den Haushalten aussehen? Die Maßnahmen für Energieeffizienz und -einsparungen sind vielfältig – beginnend im Neubau mit Passivhauskonzepten ohne Mehrkosten bis hin zur Sanierung bestehender Bausubstanz durch Dämmung. Die Photovoltaikanlage am Dach könnte dabei sogar die Gebäude in das Geschäft mit Stromproduktion führen. Felderer spricht dabei von »fantastischen Potenzialen«. »Wenn die Länder bereits vor Jahren Null-Energie-Häuser gefordert hätten, dann gäbe es darüber heute keine Diskussion mehr«, sieht der Wirtschaftsforscher nun die Landeshauptleute in der Pflicht, möglichst bald die Bauordnungen dahingehend auf Schiene zu bringen.
Die Energiewende wird vor allem als technologische Revolution gesehen. Zuerst ist ein Ausbau intelligenter Stromverteilnetze nötig, die ein Netzmanagement einer dezentralen Energieproduktion mittels Wasserkraft-, Windenergie-, Solar- und Biomasseanlagen unterstützen. Dann muss auch noch der Anlagenbau selbst boomen. Der Staat greift dazu über Investitionszuschüsse über den Klima- und Energiefonds und über eine Ökostromzulage ein, welche den neuen Anlagen eine gewisse finanzielle Sicherheit bieten sollen.
>> Novelle in Diskussion <<
Ein derzeit vorliegender Entwurf einer Novelle des Wirtschaftsministeriums für ein neues Ökostromgesetz hebt den Deckel für diese Zuschüsse um 43 Prozent auf 30 Millionen Euro pro Jahr. Wirtschafts- und Energieminister Reinhold Mitterlehner hält diese Aufstockung vorläufig für ausreichend – steht aber trotzdem betont offen für eine weitere Diskussion zu Verfügung. Doch werden bereits jetzt in Österreich rund 70 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen produziert, heißt es aus dem Ministerium. »Die Energiewende ist also längst eingeleitet, während der entsprechende Anteil im stets als Vorbild genannten Deutschland nur bei 16 Prozent liegt«, argumentiert Mitterlehner.
Österreich als Wasserkraftnation hätte es bei solchen Rechungen natürlich leicht, entgegnen die Branchenverbände der Erneuerbaren. Vergessen werde allerdings stets, wird kritisiert, dass auch die großen Wasserkraftwerke, die in Österreich heute für gut zwei Drittel der Stromgewinnung verantwortlich sind, über Jahrzehnte mit Subventionen und Staatshaftungen finanziert wurden.
Die Mehrkosten, die durch die Ökostromeinspeisung verursacht werden, kosten der Industrie und den Haushalten auf jeden Fall bares Geld. Während dazu überall in Europa energieintensive Branchen wie die Stahl-, Chemie- und Papierindustrie mit Glaceehandschuhen angegriffen werden – so auch in Österreich –, tragen die Haushalte derzeit den Großteil der Ökostromkosten. Der Verbrauch der Konsumenten beträgt hierzulande gut 25 Prozent vom gesamten Stromverbrauch. Bislang kam dafür jeder Haushalt mit rund 35 Euro Ökostromkosten pro Jahr auf – hochgerechnet sind dies in Summe 35 Prozent Kostenbeitrag zur Ökostromzulage. Der Novelle zufolge soll dieser Anteil nun auf 47 Prozent der Kosten steigen – rund 48 Euro pro Haushalt. Nicht alle sehen diese Belastung positiv. So greift besonders die Arbeiterkammer die ständige Bevorzugung der Industrie an.
>> Politik kritisiert <<
In einer gemeinsamen Erklärung haben Anfang Mai knapp 200 Unternehmern aus unterschiedlichen Branchen, die den Entwurf für das neue Ökostromgesetz kritisieren, neuerlich an die heimische Wertschöpfung und Arbeitsplatzsituation erinnert. »Durch die seit Jahren betriebene Stop-and-go-Politik im Ökostrombereich ist es schwierig, sich auf neue Projekte in Österreich einzulassen. Wir sind stark regional orientiert und würden lieber in Österreich Projekte umsetzen«, kritisiert etwa Fritz Herzog, Geschäftsführer der Ökoenergie Wolkersdorf, ein Windkraftbetreiber. »Wenn man aber die stabilen Rahmenbedingungen und hohen Einspeisetarife in anderen europäischen Ländern anschaut, sind die instabilen Bedingungen in Österreich schmerzhaft«, kommentiert Herzog. Auch für den Kärntner Photovoltaik-Hersteller Energetica ist bei einer Exportquote von über 90 Prozent ein Heimmarkt kaum vorhanden. »Wir werden von unseren Kunden im Ausland ständig gefragt, warum wir in Österreich so wenig erfolgreich sind und überhaupt keine Neuanlagen vorweisen können«, klagt Energetica-Geschäftsführer René Battistutti.
Die Industriellenvereinigung sorgt sich indes um eine möglicherweise doch noch zu ihren Ungunsten drohende Änderung im Ökostromgesetz. »Eine Kostenbegrenzung ist für die energieintensive Industrie eine Notwendigkeit, um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Betriebe im Vergleich zu europäischen und globalen Mitbewerbern zu erhalten«, warnt IV-Präsident Peter Koren. »Mehrbelastungen für energieintensive Unternehmen lehnen wir daher energisch ab. Die Industrie braucht Planungs- und Investitionssicherheit.«
Gerade diese Angst ist freilich Wasser auf den Mühlen der opponierenden Erneuerbaren. Dort heißt es: Die Steuerzahler und auch die Industrie würden ohnehin kräftig zahlen müssen, sobald es zu Pönalen aus internationalen Klimaschutzvereinbarungen kommt. Österreich sei bislang schließlich eher Umweltsünder als Ökomusterland gewesen. »Das Thema hat zwar eine gewisse Grundkomplexität, aber ein Ökostromgesetz diskutieren wir nur ein einziges Mal. Ein gebremster Ausbau der Erneuerbaren, eine Verzögerung der Energiewende ist keinesfalls im Interesse der Wirtschaft und im Interesse des Wirtschaftsstandortes«, schließt Josef Plank, Präsident des Verbandes Erneuerbare Energie Österreich. »Wir sind weiterhin offen und bereit, intensiv über dieses Thema zu reden«, bleibt Plank optimistisch.
>> Die Studie:
Das IHS-Energieszenario rechnet es vor: Eine Energiewende ist umsetzbar, leistbar, belebt den Arbeitsmarkt und fordert keinerlei Einbußen in der Lebensqualität der Österreicher. Bei sinkender Umweltbelastung steigt diese sogar. Die für das Jahr 2010 prognostizierte CO2-Jahresbilanz von 73,3 Millionen Tonnen kann laut Studie in den nächsten vier Jahrzehnten auf weniger als ein Zehntel reduziert werden. Ein hoher Anteil an CO2-Emissionen lässt sich durch den Ausbau erneuerbarer Energieträger für die Stromerzeugung einsparen. 100 Prozent CO2-Einsparungen sind allerdings nicht realistisch, wie Greenpeace gehofft hatte.
Im Verkehr und bei der Heizenergie lässt sich der gesamte Energieverbrauch im gleichen Zeitraum von bisher 1.060 Petajoule auf 540 Petajoule halbieren. Ein 85-prozentiger Anteil an erneuerbaren Energieträgern ist laut IHS-Studie bis 2050 realistisch. Die Nutzung fossiler Energien würde sich dann lediglich auf einen Restanteil in der Industrie und teilweise im Verkehr beschränken.
Für den Verkehrssektor zeigt die Studie ein großes Wachstumspotenzial im öffentlichen Verkehr und eine weitgehende Elektrifizierung des Individualverkehrs auf. Dem Zukunftsszenario zufolge wird die Leistung der öffentlichen Verkehrsmittel in den nächsten 40 Jahren von 24,3 auf 35 Milliarden Personenkilometer steigen, während sich der motorisierte Individualverkehr fast halbieren wird. Für die Einleitung der Energiewende brauche es in erster Linie aber auch eine Ökologisierung des Steuersystems, die Festlegung verbindlicher Ziele für die Reduktion der Treibhausgase sowie die Ausschüttung der Sanierungsmilliarde für den Wohnbau.
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