Der S&P 500 hat nun eine Verlustserie von neun Tagen markiert. Das gab es zuletzt vor mehr als 35 Jahren und seit 1928 nur insgesamt 14 mal. Der Index hat seit Mitte August, als er ein neues Allzeithoch erreichte, bis gestern zum Handelsschluss rund 5% verloren. Allgemein wird die Unsicherheit hinsichtlich des Ausgangs der US-Präsidentschaftswahl als Grund angegeben. Clinton scheint zwar an Wall Street geliebt zu werden, nicht jedoch an main street. Zuletzt ist ihr Vorsprung in den Umfragen deutlich gesunken.
Der S&P 500 hatte sich zwischen Mitte Juli und Anfang September in einer engen Handelsspanne zwischen 2157 und 2191 aufgehalten. In der zweiten Hälfte September begann ein nervöses Bemühen, sich darin erneut zu etablieren. Das scheiterte am 11. Oktober, von da an versuchte der Index, sich wenigstens über dem Pegel von 2130 zu halten, dem vormaligen Allzeithoch. Am 1. November gelang auch das nicht mehr, aktuell notiert der Index bei 2085 – mit ausgeprägtem oberen Docht an einer vom März 2009 herrührenden Aufwärtslinie. Kurzfristig stehen die Chancen nicht schlecht, dass es zu einer Gegenbewegung kommt, wobei 2100, 2120, auch 2130 erste Ziele wären (Chartquelle).
Die Unsicherheit hinsichtlich des Ausgangs der Wahl mag zwar der Anlass dafür sein, Geld vom Tisch zu nehmen. Aber die technische Schwäche im S&P 500 besteht auf jeden Fall mindestens seit Anfang Oktober. Damals führte Clinton in Umfragen noch deutlich. Sie steht als Garant für „weiter so“, Trump erscheint unberechenbar. Die Börsen mögen Unsicherheit nicht und so wird die sinkende Wahrscheinlichkeit, dass sie die Wahl gewinnt, eben verkauft. Heißt es.
Ich sehe die Ursache in einem klassischen Fall von „Sell the news“. Das dritte Quartal brachte das Ende der seit über einem Jahr anhaltenden Gewinnrezession in den USA – die Gewinne im S&P 500 werden jetzt mit +3% gegenüber dem Vorjahresquartal erwartet, zu Bewinn der Berichtssaison wurde noch mit einem weiteren Quartal negativer Gewinnentwicklung gerechnet. Zudem hatte das BIP in der ersten Schätzung besser abgeschnitten als erwartet – jedenfalls oberflächlich betrachtet. Gleichzeitig hat die Fed jüngst verkündet, dass ihr Inflationsziel von 2% nun in greifbare Nähe rückt und der Wirtschaft eine gewisse Stärke attestiert. Die bestärkte die Beobachter darin, dass es im Dezember zu einem weiteren Zinsschritt kommen wird. Das wiederum schmeckt den Liquiditätssüchtigen nicht.
Die Gewinnentwicklung im S&P 500 wird nicht unwesentlich vom Energiesektor beeinflusst. Das erste Quartal 2015 zeigte zum ersten Mal seit 2008, dass die berichteten Quartalsgewinne ohne Energiewerte höher liegen als mit diesen zusammen (Chartquelle, Chart reicht bis zum Q2/2016).
Im Energiesektor sind die Gewinne stark von der Entwicklung des Ölpreises abhängig. Der Preis für Oil Brent hat sich seit Jahresbeginn von knapp 30 Dollar auf in der Spitze 53 Dollar aufgeschwungen. Er konsolidiert gegenwärtig und stellt damit indirekt die Nachhaltigkeit des Endes der Gewinnrezession infrage. Dies dürfte den Verkaufsdruck zuletzt verstärkt haben.
Die Profitmargen sinken seit dem zweiten Quartal 2015. Im vierten Quartal 2015 erreichte der Sinkflug im Jahresvergleich eine Abnahme der Margen um 20%. Dieser Pegel wurde auch vor früheren Rezessionen erreicht, bei den drei jüngsten dauerte es von diesem Punkt aus jeweils sechs bis neun Monate bis zum Start (Chartquelle, h/t Colin Twiggs).
Überhaupt ist schwer vorstellbar, wie sich das KGV bei sinkenden Margen auf dem erreichten Niveau halten kann. Die folgende Gegenüberstellung zeigt, dass in den zurückliegenden 30 Jahren jedesmal dann im Kontext einer Rezession ein starker Kurseinbruch drohte, wenn die Profitmarge (nach vorstehendem Chart) und der Gewinn je Aktie (Earnings per Share nach Shiller – CAPE) zu lange und zu weit auseinanderdrifteten. Besonders ausgeprägt war das zwischen Ende 1996 und 2000 der Fall, aber auch ab Mitte 2006 ging die Schere ziemlich plötzlich auf. In der Rezession von 1990 blieb der Spread hingegen relativ gering, die Kursreaktion war ebenfalls verhalten. Seit 2015 divergieren beide Zeitreihen erneut, ihr Abstand ist jetzt etwa so groß wie Ende 2007.
Dies mag ein weiterer Baustein in der Erkenntnis sein, dass der Bull-Run in die Jahre kommt und die wirtschaftliche Entwicklung weder die Masse, noch die Marge an Profiten abwirft, die nötig wären, um das erreichte Kursniveau bei Aktien auf Dauer zu rechtfertigen.
Der aktuelle US-Arbeitsmarktbericht unterstreicht, dass die Schaffung neuer Jobs erlahmt. Zwar gab es für die Vormonate noch eine markante Aufwärtsrevision, aber die Zahl der neuen Arbeitsplätze im non-farm-Bereich kam für Oktober unter den Erwartungen herein. Im Jahresvergleich betrug der Zuwachs 1,7%, was hinsichtlich des längerfristigen Trends neutral ist, aber auch noch einen deutlichen Sicherheitsabstand gegenüber der Marke von 1% ausweist, bei der die jüngsten drei Rezessionen jeweils begannen.
Die Stundenlöhne im privaten Sektor stiegen um 2,8%, das ist der höchste Wert seit der jüngsten Rezession. Das ist gut und schlecht zugleich. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, tangiert das einerseits über die steigende Lohnkosten die Profitmargen der Unternehmen. Andererseits schafft das mehr kaufkräftige Nachfrage, was über die Umsätze der Unternehmen die Profitmasse steigern kann. Gelingt es den Firmen dann auch noch, die Preise anzuheben, würde das auch den sinkenden Margen entgegenwirken.
Die Spekulation auf ein Ende der Gewinn-Rezession ist abgeschlossen, die Neuigkeit ist verkauft worden. Jetzt muss eine neue Spekulations-Sau durchs Dorf getrieben werden (wenn es noch eine gibt…).
Damit wäre ich wieder bei dem zeitweiligen Ausweg aus der Klemme eines in die Jahre gekommenden Konjunkturzyklus: Inflation. Die Fed gab sich zuletzt in dieser Hinsicht zuversichtlich. Dann kann die Inflationsillusion ja kommen, aber nur, wenn die Rohstoffpreise und insbesondere die Ölpreise erneut die Richtung nach oben favorisieren. Und dann dürften auch die Aktienkurse noch einmal Aufwind bekommen – Trump hin, Clinton her.
Wenn Aktien-Bullen im in die Jahre gekommenen Bull-Run noch eine Chance haben, dann die Spekulation auf Inflation. Das ist mit einigen „wenn und aber“ behaftet, ich weiß. Aber mir scheint ein solches Szenario, getragen von einer Echo-Bubble bei Rohstoffen und insbesondere bei Öl zurzeit noch am wahrscheinlichsten. Der zuletzt gesehene Kurseinbruch bei Aktien wäre dann ein Sprungbrett und nicht schon die Kellertür.
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