US-Aktien haben neue Allzeithochs markiert. Der S&P 500 notiert mit 2162 gut 30 Punkte über seinem Rekord aus Mai 2015. Europäische Aktien hinken um Längen hinterher, der DAX steht noch 200 Punkte unter dem Stand vor dem Brexit-Referendum.
Den Bullen hilft in den USA, dass es zuletzt wieder einige besser als erwartete Makrodaten gab. So ist der Einzelhandelsumsatz in den USA im Juni deutlich stärker gestiegen als erwartet, die überraschend hohe Zahl neuer Jobs, die in der Vorwoche gemeldet wurde, wirkt ebenfalls noch nach. Zudem zeigten die Inflationsdaten für Juni keine negative Überraschung.
Die ersten Quartalszahlen für Q2 brachten positive Überraschungen. Man rechnet gegenwärtig nur noch mit –4,7% bei der Gewinnentwicklung im Jahresvergleich nach –5% vor einer Woche. Viele Beobachter gehen davon aus, dass hier der Boden der Entwicklung erreicht ist. Hoch bewertet bleiben Aktien dennoch.
Die Entwicklung im langfristigen Renditebereich zeigt mit abflachender Zinsstruktur und immer weiter abnehmendem Niveau ein unschönes Bild der vor uns liegenden Entwicklung. Mittlerweile büßen aber auch Zinsen durch die extreme manipulative Geldflut der Notenbanken an Indikatorfunktion ein. Hinzu kommen regulatorische Eingriffe, die etwa Versicherer und Pensionsfonds in sichere, langfristige Staatsanleihen zwingen. Das gilt auch für Banken, die an striktere Regeln zum Risikomanagement gebunden sind. Schließlich verzerren die Zentralbanken selbst die Zinsen mit ihren unelastischen Nachfrage im Rahmen ihrer QE-Kaufprogramme. Der Markt für Staatsanleihen dünnt aber auch von der Angebotsseite aus, weil Staaten auf die Schuldenbremse drücken. Das alles führt zu immer weiter sinkenden Zinsen und angesichts der deutlichen höheren US-Renditen zu besonders stark steigender Nachfrage nach Treasurys.
Beobachter schätzen, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Bewegungen von Renditen von Staatsanleihen auf die genannten Faktoren hinsichtlich Angebot und Nachfrage zurückgehen. Nur etwa ein Achtel wird der Erwartung zugeschrieben, dass die Wirtschaft sich auch weiterhin so anemisch entwickeln wird wie bisher. Das ist vor dem Hintergrund keine besondere Beruhigung, dass schon eine gehörige Portion Pessimismus in den Bondmärkten eingepreist ist. Die Bondmärkte, so verzerrt sie durch die Geldflut der Zentralbanken auch sein mögen, signalisieren dennoch, dass die Weltwirtschaft in einer disinflationären Entwicklung steckt.
Japan ist bei einer solchen Entwicklung Vorreiter, genauso wie das Land bei der Implementation geldpolitischer Experimente zur Ankurbelung der Realwirtschaft seit zwei Dekaden führend ist. Unter Regierungschef Abe wurde 2013 mit dem bezogen auf das BIP größten Kaufprogramm begonnen, das je eine Notenbank aufgelegt hat. Konjunkturprogramme und Geldschwemme waren bisher jedoch nicht in der Lage, die wirtschaftliche Lähmung dauerhaft zu überwinden, die das Land nach dem Platzen der Blasen am Aktien- und Immobilienmarkt Anfang der 1990er Jahre erfasst hat (Chartquelle).
Im Januar hatte Notenbankchef Kuroda die Wirkungslosigkeit der bisher eingeleiteten Maßnahmen beklagt, kurz darauf hatte die BoJ die Tür in Richtung negativer Leitzinsen aufgestoßen. Der Yen reagierte darauf, für viele überraschend, mit anhaltender Stärke. Gegen Dollar hatte sich das Währungspaar seit der Ankündigung der Abenomics von 78 auf in der Spitze auf 125 entwickelt, aktuell notiert es nach einem kürzlich erreichten Tief nahe 100 bei 105. Man muss kein Hellseher sein, das Währungspaar ist eine Widerstandszone hineingelaufen, die bis oberhalb von 106 reicht (Chartquelle).
Das G7-Treffen vor einigen Wochen ging ohne Freibrief für Japan zu Ende, seine Währung durch direkte Interventionen zu schwächen. Das US-Finanzministerium warnte Japan ausdrücklich vor Manipulationen und forderte stattdessen, die japanische Binnennachfrage zu steigern. Da kam am zurückliegenden Wochenende die Wiederwahl Abes gerade recht, der umgehend weitere staatliche Anreizmaßnahmen ankündigte. Das schwächte den Yen schnell und deutlich, jetzt müssen aber erst einmal Taten der Regierung folgen.
Der ehemalige Fed-Chef Bernanke weilte in der zurückliegenden Woche in Japan. Gerüchte wollen wissen, dass er Abe bei der Einführung neuer, kreativer Maßnahmen in Richtung Wirtschafts- und Finanzpoltik berät. Bernanke war es seinerzeit, der ein Wort von Milton Friedman aufgriff und sagte, notfalls müsse die Notenbank als allerletzte Maßnahme zum Helikopter-Geld greifen.
Helikopter-Geld ist eine Metapher u.a. für einen Anstieg der Staatsausgaben oder eine Steuersenkung, die durch eine permanente Ausweitung der Geldmenge finanziert wird. Man verspricht sich davon eine Zunahme der Inflation, eine Abwertung der Währung und einen Anstieg der Verbraucherausgaben.
Im Rahmen des Kaufprogramms der BoJ werden bereits alle netto neu ausgegebenen japanischen Staatsschulden erworben, hier geht nicht mehr. Daher war das Programm in Richtung anderer Assets wie Aktien-ETFs erweitert worden. Dennoch stellte sich der gewünschte Effekt auf Inflation und Inflationserwartung nicht dauerhaft ein. Zudem kam der erstarkende Yen in die Quere. Seine Schwächung ist einer der Eckpunkte der Abenomics, hierüber sollte die Exportwirtschaft angekurbelt werden. Ein festerer Yen fördert zudem deflationäre Tendenzen.
Etwa 200 Mrd. Dollar wären nötig, um den Yen um 10% abzuschwächen. Um das dann erreichte Niveau zu halten, müssten wahrscheinlich noch größere Beträge vorgesehen werden. Statt über direkte Währungsmanipulation zu gehen, kann man jedoch auch die einheimische Geldmenge erhöhen und damit das Yen-Angebot etwa im Vergleich zum Dollar steigern. Genau das kann durch Helikopter-Geld erreicht werden. Abe hat unmittelbar nach seiner Wiederwahl angekündigt, staatliche Anreize im Volumen von zunächst 100 Mrd. Dollar in die Wege zu leiten.
Japan experimentiert seit langem mit neuen geld- und finanzpolitischen Maßnahmen. Wenn sich das Land nun in Richtung Helikopter-Geld vorwagt und sich erste erwünschte Konsequenzen abzeichnen, dürften andere Länder bald folgen. Die EZB könnte der nächste Kandidat sein.
Warum haben die Zentralbanken bisher gezögert bei der Anwendung von Helikopter-Geld? QE-Programme wirken vor allem auf das Preisniveau im Finanzbereich und treiben dort die Preise hoch. Helikopter-Geld wirkt dagegen direkter auf die Geldmenge im Geldfass der Realwirtschaft. Möglicherweise scheuen Zentralbanken davor zurück, weil die Konsequenzen schwieriger zu beherrschen sind. So könnte sich die Inflation rasch verselbstständigen, u.a. weil die Zentralbanken im Interesse der Schuldner der Inflation zunächst relativ tatenlos zusehen und die Zinsen nicht adäquat anpassen. Der so entstehende Vertrauensverlust kann das ohnehin labile Geldsystem schwer erschüttern. Und schließlich ist Helikopter-Geld auch so ziemlich das letzte Mittel – wer greift schon gerne freiwillig dazu?
Helikopter-Geld kann durchaus kurzfristig eine Konjunkturbelebung erreichen, wie jede andere Geldflut-Maßnahme auch. Wenn die Wirtschaftssubjekte die Verbesserung ihrer Einkommen z.B. durch Steuererleichterungen aber lediglich dazu nutzen, um künftige Ausgaben vorzuziehen, bleibt das Ganze ein Strohfeuer. Wenn andere Zentralbanken rasch nachziehen, relativiert sich der Effekt auf die Währung ebenfalls. Und ob die Verbraucher die zusätzlichen Mittel tatsächlich zu mehr Konsum einsetzen, ist nicht garantiert. Wenn deren Stimmung gedämpft ist und Vorsicht dominiert, könnten die zusätzlichen Mittel gespart werden. Dem hat die BoJ zwar mit der Einführung negativer Zinsen vorgebaut, ob das aber ohne Bargeldverbot funktioniert, ist mehr als fraglich.
Japanische Aktien in Gestalt des Nikkei225 bewegen sich seit 2012 in einer nahezu perfekten Synchronität zu Dollar/Yen. Sie sind seit der Wiederwahl Abes um mehr als 9% angestiegen und mögen kurzfristig überkauft sein. Übergeordnet ist aber ein Angriff auf den Bereich um 18.000 nicht unwahrscheinlich. Aktuell notiert der Index bei 16.500.
Stellt man den S&P 500 und den Nikkei gegenüber, so haben beide zum gleichen Zeitpunkt im März 2009 ein Tief ausgebildet und etwa zur Jahresmitte 2015 ein Hoch erreicht. Die prozentuale Entwicklung beider Indices zwischen beiden Zeitpunkten ist sehr ähnlich, der Nikkei hatte aber zwischendrin erhebliche relative Schwächephasen. Im Mai 2013 konnte er schon einmal, mit den Abenomics im Rücken, an die Performance des S&P 500 anknüpfen, bevor er wieder zurückfiel. Aktuell klafft zwischen beiden Indices eine deutliche Lücke.
Kann der S&P 500 seine relative Stärke zunächst bewahren und den Nikkei zu sich heranziehen? Kann sein, muss aber nicht, zwischen Mitte 2005 und 2007 zeigte der Nikkei gegenüber dem S&P 500 erhebliche relative Stärke. Vielleicht wiederholt sich die Geschichte noch einmal – samt dem Desaster, das es anschließend gab? Oder befinden wir uns in einer Situation wie Mitte der 1990er Jahre, wie manche vermuten, als sich Aktien in den USA und in Europa auf eine fulminante Rally vorbereiteten? Oder aber fällt der Nikkei nach einem misslungenen nächsten geldpolitischen Experiment in Japan massiv zurück und zieht globale Aktien mit sich? Denkbar auch, dass die Situation in China außer Kontrolle gerät…
An diesem Punkt komme ich nicht umhin, die historische Bedeutung des Brexit-Referendums ins Kalkül zu nehmen. Es ist ein Hinweis darauf, dass der Freihandel zunehmend kritischer gesehen und der Konsens in Frage gestellt wird, dass er für die arbeitende Bevölkerung immer weiter steigenden Lebensstandard bringt. Der sich darin wahrscheinlich abzeichnende Tendenz zur Deglobalisierung würde die Investitions- und Wirtschaftsbedingungen langfristig erheblich tangieren. Kurz-, bis mittelfristig berührt das die Finanzmärkte wenig, nach dem Brexit sehen sie nach Aktienkurs-Performance die Wirtschaft in England stärker, die in Kern-Europa schwächer.
Damit das hohe KGV im S&P 500 gerechtfertigt wäre, müssten die Unternehmensgewinne auf Jahressicht um 25% steigen, meint David Rosenberg. Das habe es zwar schon gelegentlich gegeben, aber die Wahrscheinlichkeit sei gering, erst recht angesichts des nicht eben niedrigen Gewinnniveaus. Das Wirtschaftswachstum dürfte nach seiner Ansicht noch etliche Jahre anemisch bleiben, v.a. wegen der überbordenden Verschuldungssituation. Da ist eine solche Gewinnsteigerung nur schwer vorstellbar. Der nachfolgende Chart zeigt den Verlauf der Unternehmensgewinne und deren jährliche Veränderung.
Ich teile die Skepsis von Rosenberg. Andererseits ist das (ausgeleierte) Argument der mangelnden Anlagealternative immer noch nicht von der Hand zu weisen, das in Aktien treibt. Wenn die Nachfrage nach US-Treasurys so weitergeht, dürften auch US-Anleger immer stärker in diese Richtung gedrückt werden. Der feste Dollar wirkt in die gleiche Richtung, die permanente Höherbewertung von US-Aktien.
In Japan könnte es zum nächsten größeren geldpolitischen Experiment kommen, dem Helikopter-Geld. Japanische Aktien sind in der zurückliegenden Woche stark angesprungen. Mit ordentlichen Makrodaten und der Erwartung, die Entwicklung der US-Unternehmensgewinne durchlaufe nun eine Bodenbildung, markieren US-Aktien neue Rekorde. Ihre Bewertung wird dadurch nicht niedriger.
Nachtrag:
(17.7.16) Lance Roberts schreibt in seinem jüngsten Wochenbericht, dass der S&P 500 technisch wahrscheinlich gerade eine große Konsolidierung in Elliott-Welle 4 abgeschlossen hat und Welle 5 gestartet ist. Welle 5 ist die letzte Bastion der ewigen Bullen. Während vorherige Aufwärtsschübe getragen waren von sich verbesserenden Unternehmensergebnissen und wirtschaftlichem Wachstum, wird die letzte Welle einer fünf-teiligen Aufwärtsbewegung nach Elliott von purer Emotion und der Hoffnung beherrscht, dass eine schnelle fundamentale Erholung die Überbewertung bei Aktien rechtfertigt. Ein solches Umfeld endet stets desaströs und das wird dieses Mal wahrscheinlich nicht anders sein, schreibt Roberts. Das passt…
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