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Forschen für den Bau

Forschen für den Bau Foto: Thinkstock

Die Baubranche gilt gemeinhin nicht als besonders innovativ. »Konservativ« und »traditionell« sind die weit verbreiteten Zuschreibungen. Ob zu Recht oder Unrecht, darüber scheiden sich die Geister. Eine Erhebung des Bau & Immobilien Report bei führenden Unternehmen der Bau- und baunahen Wirtschaft zeigt, dass in dem Vorurteil mehr als ein Körnchen Wahrheit steckt. Es gibt aber auch Lichtblicke.

Im Jahr 2013 hat die Statistik Austria zum letzten Mal eine umfassende Erhebung zum Thema »Forschung und Entwicklung in Österreich« gemacht. Demnach lag die Forschungsquote branchenübergreifend bei 2,95 Prozent – Tendenz steigend. In der Bauwirtschaft lag die F&E-Quote bei mageren 0,1 Prozent – Tendenz fallend. Es gibt zwar kaum eine Pressemeldung oder Produktvorstellung, die ohne das Wort »innovativ« auskommt, trotzdem flossen bei Umsatzerlösen von rund 40 Milliarden Euro gerade einmal 40 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung. »Die Forschung ist in der Bauwirtschaft ein Stiefkind«, bestätigt auch Ronald Blab, Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen an der TU Wien, das nackte Zahlenmaterial. 

Es sind vor allem die bauausführenden Unternehmen, deren F&E-Quote gelinde gesagt stark verbesserungswürdig ist. In Bereichen wie der Baustoffindustrie oder bei den Baumaschinenherstellern ist die Quote deutlich besser. Am höchs­ten ist die Forschungsquote in baunahen Bereichen wie etwa bei Fensterherstellern oder der Gebäudeautomation. Das bestätigt auch eine Umfrage des Bau & Immobilien Report bei 40 nationalen und internationalen Unternehmen aus der Bau- und baunahen Wirtschaft. 17 Unternehmen weigerten sich, konkrete Zahlen zu ihren F&E-Tätigkeiten zu nennen, 23 lieferten bereitwillig Auskunft (siehe Seite 18). Ganz oben thront die Firma Loytec mit einer Forschungsquote von stolzen 18 Prozent. Das 1999 in Wien gegründete Unternehmen zählt zu den führenden europäischen Anbietern von intelligenten Netzwerkinfrastrukturprodukten und Automationslösungen für die Gebäudeautomation.

Bild: »Am Ende des Tages brauchen wir Produkte mit Alleinstellungsmerkmalen«, erklärt Jürgen Lorenz, F&E-Leiter bei Wopfinger Baustoffindustrie.

Dass sich fast die Hälfte der angefragten Unternehmen zu ihren F&E-Tätigkeiten in Schweigen hüllt, ist zum einen sicher einer gewissen Vorsicht geschuldet, schließlich geht es um vertrauliche Unternehmensinterna. Anderseits muss aber auch davon ausgegangen werden, dass gerade wenig forschungsaktive Unternehmen nicht ganz so gerne über das Thema sprechen wollen.

Das weit verbreitete Vorurteil, die Branche sei »konservativ« und »innovationsfaul«, lässt Gunther Graupner, Leitner des Kompetenzzentrums BAU für Forschung und Entwicklung, dennoch nicht gelten. »Damit tut man der Branche Unrecht. Blickt man 20 Jahre zurück, zeigt sich, dass etwa im Bereich der Energieeffizienz enorme Sprünge gemacht wurden.« Ein Vergleich mit forschungsintensiven Branchen wie der Elektro- und Pharmaindustrie ist für Graupner nicht zulässig. »Man muss auch die Langlebigkeit der Inves­titionen sehen. Wir reden in unserem Bereich von Lebenszeitinvestitionen. Das kann man nicht mit einer App vergleichen.« Speziell bei den Bauprodukten sei in den letzten Jahren viel geschehen. »Auch rund um das Thema Energieeffizienz, Energieeinsparung und alternative Energiequellen hat sich einiges getan«, so Graupner.

Prozesse und Verfahren

Nachholbedarf gibt es vor allem im Bereich der Bauprozesse und Bauverfahren. »In der Anlagen- und Autoindustrie wurde in wenigen Jahrzehnten die Produktivität verdoppelt. In der Baubranche sind in den letzten 50 Jahren keine wesentlichen Fortschritte erkennbar«, formuliert Christoph Achammer, Architekt und Ehrenvorstand der IG Lebenszyklus Bau, gewohnt pointiert. Achammer ist überzeugt, dass etwa im Wohnbau durch die Verbesserung von Prozessen eine Kostenersparnis von 30 Prozent möglich sein sollte. Auch Ronald Blab sieht im Bereich der Prozessinnovation enormes Potenzial, geht mit der Branche aber nicht ganz so hart ins Gericht wie Achammer. »Der Druck auf die Bauwirtschaft wird größer. Damit steigt auch die Bereitschaft der Unternehmen, Prozesse und Abläufe zu hinterfragen«, ist Blab überzeugt. Große Hoffnungen ruhen dabei auf BIM. »Mit Building Information Modeling läuft der Planungsprozess nicht mehr so sequenziell ab wie bisher. Alle Beteiligten werden dann an einem Tisch sitzen. Die Effektivität wird deutlich erhöht«, so Blab. Diese neue Art des Miteinanders wird an der TU Wien in eigenen Labors simuliert.

Bild: »In unserer Branche geht es um Lebenszeitinvestitionen. Das kann man nicht mit einer App vergleichen«, sagt Gunther Graupner.

Auch am Kompetenzzentrum BAU will man in Zukunft mehr in Richtung Prozesse und Verfahren forschen. »Der Trend geht eindeutig in Richtung  ›Alles aus einer Hand‹. Das geht so weit, dass die Bauindustrie den Bauherren in Zukunft auch die Finanzierung mit anbieten wird müssen«, ist Graupner überzeugt. Während die großen Player wie Porr oder Strabag dieses Know-how intern bereits aufgebaut haben, sind vor allem KMU beim Wissensaufbau auf externe Hilfe von Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen angewiesen. Aber gerade bei diesem Wissenstransfer gibt es noch jede Menge Luft nach oben.

Schwieriger Wissenstransfer

»Die Kultur des Zusammenarbeitens mit der Wissenschaft ist in der Bauwirtschaft leider kaum ausgebildet«, berichtet Blab. Auch Gunther Graupner weiß, dass die Scheu vieler Unternehmen, sich an Universitäten zu wenden, sehr groß ist. Diese Schwellenangst will die TU Wien den Unternehmen mit der Implementierung einer neuen Online-Plattform nehmen. »Dabei geht es um einen niederschwelligen Erstkontakt, bei dem man Fragestellungen platzieren kann und den jeweils richtigen Ansprechpartner findet«, erklärt Blab. Für Graupner ist das ein Schritt in die richtige Richtung. »Wenn Unternehmen über den aktuellen Stand der Forschung Bescheid wissen und die Universitäten die Bedürfnisse der Unternehmen kennen, hat das für beide Seiten Vorteile.«

Brancheninitiative Bauwirtschaft

Es gab auch in der Vergangenheit immer wieder Versuche, die Forschungsaktivitäten in der Bauwirtschaft zu erhöhen. Zu den erfolgreichsten Maßnahmen zählt die von der Bundesinnung Bau gemeinsam mit der Forschungsförderungsgesellschaft FFG ins Leben gerufene Brancheninitiative Bauwirtschaft »BRA.IN«. Ziel der von 2006 bis 2009 laufenden Initiative war es, die von der FFG angebotenen Unterstützungsmaßnahmen zu bündeln und neue Impulse für Innovation zu setzen, um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft zu steigern. Tatsächlich konnte nach Projektende eine nahezu Verdoppelung sowohl bei den geförderten FFG-Projekten als auch bei den neuen FFG-Kunden mit Bezug auf die Baubranche festgestellt werden (siehe Grafik S. 21). Dass die Baubranche durch BRA.IN positiv beeinflusst wurde, zeigen auch die aktuellen Statistikzahlen der FFG. Der Anteil an Projekten von der Baubranche gemessen an der gesamten Unternehmensförderung der FFG wurde von 4,4 Prozent im Jahr 2006 auf
8,3 % im Jahr 2015 gesteigert. 

Forschende Unternehmen 

Auch wenn die Forschungsquote im Vergleich zu anderen Branchen gering ist, gibt es doch viele Unternehmen, die sich verstärkt dem Thema widmen und auch einen beachtlichen Output hervorbringen. Bei Doka etwa forschen rund 100 Spezialisten in den Bereichen Holz-, Kunststoff-, Metall- und Oberflächentechnologie. Etwa 200.000 Arbeitsstunden werden jedes Jahr in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen investiert. Konkret wird an Produktinnovationen und -verbesserungen, Prozessoptimierungen und der Integration vor- und nachgelagerter Wertschöpfungsstufen wie der Betontechnologie gearbeitet. Außerdem suchen und fördern die Amstettner mit dem Josef Umdasch Forschungspreis Masterarbeiten mit innovativen Ansätzen zu Technik und Produktion, Bauwesen, Wirtschaftswissenschaften oder Management.

Fensterhersteller Josko investierte im Jahr 2014 4,45 Millionen Euro, das entspricht 3,56 Prozent vom Umsatz, in Forschung und Entwicklung. Ergebnis dieser Investitionen ist unter anderem das Ganzglas-System Safir Blue, dessen schlanke Rahmenkonstruktion aus Kunststoff gefertigt ist. Der Vorteil: Architektonisch anspruchsvolle Glas-Konzepte lassen sich so preiswert integrieren.

Kooperationen bei Kirchdorfer und Schindler

Die Kirchdorfer Gruppe setzt in Sachen Forschung und Entwicklung vor allem auf Kooperation. »Unsere Produktlinie ist großteils das Ergebnis unternehmensübergreifender Forschung. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung neuer Technologien und Werkstoffe«, erklärt Unternehmenssprecher Matthias Pfützner. In der Sparte »Zement« wurde im abgelaufenen Jahr vor allem in Richtung Tragschichtbinder zur Bodenstabilisierung geforscht, in der Sparte »Fertigteil« ging es um mögliche Anwendungsbereiche von ultrahochfestem Beton. Außerdem wurden in den letzten Monaten auch konkrete Forschungsergebnisse in Form von Produktinnovationen vorgestellt. Dazu zählen etwa die gemeinsam mit Rapperstorfer Automation entwickelte Maba Korbwand, bei der stabförmige Abstandhalter im Bewehrungskorb für eine präzise Distanzierung der Betonschalen sorgen und zu Einsparungen von Kunststoff und Bewehrungsstahl führen. Ebenfalls neu eingeführt wurden eine vollwertige Holzersatzschwelle aus Beton für den Bahnbau und die gemeinsam mit Mayr-Melnhof entwickelte XC-Decke aus vorgefertigten Holz-Beton-Verbundelementen. 

Bild: Gemeinsam mit Mayr-Melnhof hat Kirchdorfer eine Holz-Beton-Verbunddecke entwickelt, die das Beste aus zwei Welten in sich vereinen soll.

Aufzugshersteller Schindler ist eine Kooperation mit Apple eingegangen. »Die Ansprüche an das Produkt Aufzug oder Fahrtreppe, aber auch an das Service werden merkbar höher«, berichtet Michael Uher, Marketing-Leiter bei Schindler Österreich. Deshalb wurden Servicetechniker mit einer »digitalen Toolbox« ausgestattet, die mittels Apps direkt den Status der Aufzugsanlagen sowie benötigte Ersatzteile melden. Damit können zum einen Feldmitarbeiter effizienter arbeiten und zum anderen wird der Kundenservice nochmals deutlich verbessert.

Breiter Ansatz bei der Strabag

Breit gefächert sind die Forschungsagenden bei der Strabag,  etwa im Bereich Straßenbau, in dem mehr als ein Drittel der Konzernleistung erbracht wird. So verfolgt etwa das Projekt »SmartSite« einen ganz neuen, ganzheitlichen Ansatz für die Baustellenlogistik und -kommunikation im Straßenbau. Ziel ist, eine cloud-basierte Vernetzung zwischen allen Prozessschritten herzustellen, von der Asphaltherstellung über Transport und Einbau bis zur Verdichtung. Mischwerk, Maschinen, Planungsleitstand und Baustellenleitstand werden so miteinander vernetzt, dass sie bidirektional ihre Daten austauschen können. Durch die Erhebung der sensorbasierten Daten, welche auch die Qualität des gelieferten und eingebauten Materials erfassen, können diese in einem multimodell-basierten Bautagebuch in der Cloud dokumentiert und ausgewertet werden. Damit kann nicht nur der Baustellenfortschritt visualisiert werden, sondern auch die Terminpläne und Logistiksteuerung im Plan eingebettet werden.

Das jüngste Projekt bei der Strabag befasst sich mit neuen Ansätzen der Qualitätsüberwachung im Straßenbau,kurz Quast. Ziel des Projekts ist es, die Qualitätsüberwachung beim Belagseinbau, die bisher erst nach Fertigstellung erfolgen konnte, schon während des Bauprozesses vornehmen zu können. Ein umfassendes System an Mess-, Informations- und Kommunikationstechnik ermöglicht, dass in Echtzeit Abweichungen der Qualität festgestellt und kommuniziert werden können. Die Korrektur kann damit noch während des Einbauprozesses vorgenommen werden.

Blick über den Tellerrand

Eine sehr ordentliche F&E-Quote kann die Wopfinger Baustoffindustrie vorweisen. 15 Millionen Euro flossen im abgelaufenen Jahr in Forschung und Entwicklung, 10,14 Prozent des Gesamtumsatzes. Den Schwerpunkt legen die Wopfinger dabei auf neue Produkte, die einen »funktionellen Beitrag zu Wohlbefinden und Gesundheit leisten«, und auf Innovationen, die »das Arbeiten auf der Baustelle vereinfachen«.  »Am Ende des Tages brauchen wir Produkte mit einem Alleinstellungsmerkmal, die wir erfolgreich am Markt positionieren können, denn letztendlich leben wir vom Umsatz und nicht von der Grundlagenforschung«, erklärt F&E-Leiter Jürgen Lorenz, der in seiner Forschungstätigkeit über eine hohen Freiheitsgrad verfügt.

Bild: Erfolg. Bis zum Ende der Brancheninitiative BRA.IN 2009 ist die  Anzahl der geförderten Bauforschungsprojekte deutlich angestiegen und hat sich bis heute auf einem deutlich höherem Niveau als vor 2006 eingependelt.

»Hohe Freiheit bedeutet aber auch, immer wieder über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und sich Inspiration aus anderen Branchen zu holen«, so Lorenz. So stammt etwa die Idee für die Entwicklung zur Coolpigmenttechnologie, mit der es gelungen ist, auch sehr dunkle Farben ohne massiver Erwärmung auf der Fassade verwenden zu können, aus der Automobilbranche. Und die Überlegung, dass man Fassadenplatten statt dübeln auch kleben kann, kommt aus dem Flugzeugbau. Außerdem werden in Wopfing im größten Baustoff-Forschungspark Europas Einfluss und Auswirkungen von Baustoffen auf Raumklima und Luftqualität untersucht.n

Last modified onDonnerstag, 12 Mai 2016 15:49
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