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Handeln statt reden

Handeln  statt reden

So wie Österreichs problematische Siedlungsstruktur ein Produkt politischer Entscheidungen ist, nimmt auch ihr überfälliger Umbau die Politik in die Pflicht.
Eine Analyse von Reinhard Seiß

Zersiedlung, Bodenverbrauch, Infrastrukturkosten, verödende Zentren, Leerstand, Suburbanisierung: Allenthalben ist von den Nachteilen unserer Siedlungsentwicklung die Rede – aber eben nur die Rede. Selbst Landesräte und Bürgermeister stimmen mittlerweile in die Kritik von Experten ein und beklagen das freistehende Einfamilienhaus im Grünen, das periphere Fachmarktzentrum mit weitläufigen Parkplätzen oder das Betriebsbaugebiet an der Autobahnabfahrt fernab des öffentlichen Verkehrs. Doch reicht ihre Einsicht selten so weit, dass all das nicht nur von Fachleuten geplant und von Behörden genehmigt, sondern von ihnen selbst durch Gesetze und Verordnungen, Förderungen, Abgaben und Steuern noch begünstigt wird. Somit stehen unsere Regierenden keineswegs einem Wildwuchs ohnmächtig gegenüber, sondern sehen den Folgen jahrzehntelanger Laissez-faire-Politik untätig zu.

Ein zweiter Irrtum ist, dass Österreichs Siedlungsentwicklung lediglich internationalen Trends folge. Nein – wir verbrauchen von allen vergleichbaren EU-Staaten den meisten Boden, weisen den höchsten Motorisierungsgrad auf und haben die größte Dichte an Einzelhandelsflächen. Insofern ist es höchste Zeit, dass alle Entscheidungsträger auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene sich endlich ihrer Verantwortung für den Raum bewusst werden und vom Reden zum Handeln kommen.

Auf Bundesebene etwa würden mit der Abschaffung des Pendlerpauschale, dem es seit langem an sozialer Treffsicherheit mangelt, sowie der Steuerbegünstigung für Firmenwagen zwei wesentliche Treiber des Straßenverkehrs entfallen. Generell müsste die Subventionierung des Autos – Stichwort Kostenwahrheit – gestoppt werden, was neue Investitionen für den öffentlichen Verkehr ermöglichen und eine kompaktere Siedlungsentwicklung begünstigen würde. Die Grundsteuer, letztmalig 1973 valorisiert, könnte als zusätzliches Steuerungsinstrument gegen bedenkenlosen Flächenverbrauch dienen – und die 1.000-Quadratmeter-Parzelle für ein Einfamilienhaus ebenso empfindlich verteuern wie den überdimensionierten Parkplatz vor dem Supermarkt.

Der Ersatz der Kommunalsteuer als wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden wiederum würde schlagartig den ruinösen Wettlauf unter den Bürgermeistern um Gewerbeparks beenden. Zudem könnte der Bund durch eine Reform des Eigentumsrechts die gesetzliche Basis dafür schaffen, dass gewidmetes Bauland tatsächlich nicht mehr gehortet werden kann – und die Bodenwertsteigerung bei Umwidmungen mehrheitlich der öffentlichen Hand zufällt.

Die Länder müssten ihre Wohn­bauförderung konsequent auf Sanierung, Umnutzung und flächensparenden Neubau in zentralen Lagen konzentrieren – und dem Häuschen im Grünen jegliche Unterstützung versagen. Dasselbe gilt für die Wirtschaftsförderung: Auch hier dürfte es zu keiner Subvention flächenvergeudender, autoabhängiger Betriebsansiedlungen mehr kommen.

Zudem sollten die Kosten der Siedlungsinfrastruktur nach dem Verursacherprinzip dem Häuslbauer respektive dem Unternehmer weiterverrechnet und nicht wie bisher umverteilt werden. Auch eine Reform der Stellplatz- und Garagenverordnungen, die bis dato mit wenigen Ausnahmen nur Mindeststellplatzzahlen vorschreiben, aber kein Höchstmaß an Parkplätzen definieren, würde den Flächenfraß und die Autogerechtigkeit unserer Siedlungsentwicklung eindämmen helfen. Und nicht zuletzt müssten die Landesraumordnungsämter ihre Aufgabe als Aufsichtsbehörde für die Flächenwidmungsplanung der Gemeinden deutlich gewissenhafter erfüllen als bisher.

Die Kommunen schließlich sollten die inzwischen bestehenden rechtlichen Möglichkeiten an boden- und infrastrukturpolitischen wie auch vertragsraumplanerischen Maßnahmen viel konsequenter ausschöpfen. Bei der Parzellierung neugewidmeter Flächen könnten sie verdichteten Bauformen bereits Vorschub leisten – und durch eine städtebaulich orientierte Bebauungsplanung unseren Siedlungsgebieten jene funktionale und räumliche Qualität zurückgeben, die sie spätestens ab den 1960er-Jahren verloren haben.

Dass vieles davon keineswegs mehr illusorisch ist, zeigte die Baukultur-Enquete des Steiermärkischen Landtags 2014: Dabei bekannten sich mit SPÖ, FPÖ, KPÖ und Grünen alle bis auf eine Landtagsfraktion zur Abschaffung der Wohnbauförderung für das freistehende Einfamilienhaus. Auch wenn diese Subvention aufgrund des niedrigen Zinsniveaus im Eigenheimbau nur noch geringe Wirkung entfaltet, wäre ihr Ende ein öffentlichkeitswirksames Signal für eine neue, nachhaltige Siedlungspolitik. Und es ist eine feige Ausrede, wenn Politiker behaupten, Wirtschaft und Bevölkerung würden sich gegen derartige Reformen verwehren. Zu jeder der genannten Maßnahmen, die bisherige Fehlentwicklungen finanziell »bestraft«, lässt sich – aufkommensneutral – eine Ausgleichsmaßnahme finden, die nachhaltiges Planen und Bauen belohnt.

Die Wirtschaftskammer Österreich zählt schon längst zu den vehementesten Gegnern neuer Fachmarktzentren. Und die zahlreichen Bürgerinitiativen des Landes fordern nicht etwa mehr Autoverkehr und Suburbanisierung, sondern weniger. Wie sehr das politische Handeln inzwischen dem Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger hinterherhinkt, zeigte sich jüngst auch in der Schweiz: Im Kanton Zürich, der Boom-Region des Landes, gibt es zwar seit Jahrzehnten ein breites politisches Bekenntnis gegen die Zersiedlung, doch fehlte es stets an der nötigen Konsequenz, eine kompakte und bodensparende Entwicklung auch wirklich durchzusetzen.

Von der Mehrheit der Bevölkerung geteilte Ziele wie die Ernährungssouveränität des Landes oder die Transformation der Schweiz zu einer klimaschonenden »2000-Watt-Gesellschaft« wären bei Fortschreibung der bisherigen Siedlungspraxis nie und nimmer erreichbar. So entstand aus den Reihen der Bürgerschaft eine kantonale Volksinitiative, die forderte, für die nächsten 20 Jahre kein Bauland mehr neu zu widmen sowie alle heutigen Bauerwartungsgebiete ausnahmslos aufzuheben. 2012 stimmte die Züricher Bevölkerung für diese Forderung und erzwang damit auch bundesweit einen tiefgreifenden planungspolitischen Reformprozess.

Dr. Reinhard Seiß ist Raumplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

 

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