Titel als Türöffner
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Österreich gilt immer noch als Mekka der Titelsucht.
Wie das Beispiel Guttenberg zeigt, sind akademische Grade und Adelstitel aber auch jenseits der Grenze durchaus begehrt. Für Karrieren in Politik und Wirtschaft gelten sie als bewährter Katalysator. Parallel dazu floriert der Markt mit Abschlussarbeiten und Ernennungsurkunden – ob Doktor oder Graf, kaufen kann man alles.
Lange zauderte der deutsche Verteidigungsminister. Am Ende verlor Karl-Theodor zu Guttenberg nicht nur den erschwindelten Doktortitel, sondern gleich auch sein Amt. Zuvor noch als »beliebtester« Minister Deutschlands und potenzieller Nachfolger von Angela Merkel gehandelt, stieß er mit seinen trotzigen Rechtfertigungen das gehobene Bürgertum – immerhin eine wesentliche Wählerklientel der CDU/CSU – vor den Kopf. Für sie kam die Geringschätzung von Ehrlichkeit und Anstand dem Untergang des Abendlandes gleich. Die Mehrheit der Bevölkerung lässt der Betrug kalt, 71 Prozent der Deutschen wünschen sich neuesten Umfragen zufolge gar ein Comeback des Politikers.
In Internetforen ließen Häme und Spott aber nicht lange auf sich warten. »Den Doktortitel hätte Guttenberg einfacher bekommen können«, war da etwa zu lesen. Tatsächlich boomt der Markt für Ghostwriter. Die Werke aus Geisterhand sind inzwischen auch für Studenten durchaus erschwinglich. Etwa 3.500 Euro kostet eine Diplomarbeit, für wissenschaftlich Anspruchsvolles müssen 8.000 Euro und mehr hingeblättert werden. Qualität hat durchaus ihren Preis: Eine 300-seitige Dissertation kann bei professionellen Schreibern bis zu 25.000 Euro kosten. Die Lieferzeit beträgt, je nach Umfang und Rechercheaufwand, zwischen zwei Wochen und zwei Monaten.
Professionelle Lohnschreiber
In Deutschland hat sich eine eigene Branche von professionellen Textagenturen etabliert, die in der Anonymität des Internets ungeniert ihre Dienste offerieren. In Zeitungsinseraten und Aushängen an den Unis werben Schreibbüros noch recht unschuldig mit Lektoratstätigkeit, hinter den Kulissen ist alles möglich – von kleinen Seminararbeiten bis zu umfassenden wissenschaftlichen Abhandlungen mit empirischem Datenteil. Das Angebot ist strafrechtlich nicht zu belangen. Ein Tatbestand entsteht erst dann, wenn der Kunde die gekaufte Arbeit als seine eigene ausgibt und damit widerrechtlich einen akademischen Grad erlangt. Die Berliner Plattform ghostwriter.nu verweist auf ihrer Website ausdrücklich darauf, dass die wissenschaftlichen Texte nur »als Entwurf zu Ihrer Anregung« verfasst werden. Ob diese teilweise oder zur Gänze nicht doch in so manche Diplomarbeit oder Dissertation einfließen, wird aber wohl nicht mehr nachgeprüft.
Harald Bahner, Betreiber der Internetplattform, bietet auch Coachings und Unterstützung bei Haus- und Abschlussarbeiten jeder Art an. Lukrativer ist vermutlich das Geschäft mit der Lohnschreiberei. Der zertifizierte Unternehmensberater, selbst Absolvent eines Germanistik-, Geschichte- und Philosophiestudiums, ist seit 20 Jahren als wissenschaftlicher Ghostwriter aktiv. Seit 2007 koordiniert er eine ganze Heerschar an Schreibern, rund ein Drittel davon hat promoviert oder ist habilitiert. Über seine Kundschaft hüllt sich Bahner in Schweigen, Anfragen kommen jedoch zunehmend auch aus Österreich und der Schweiz. Ein anderer Anbieter, Thomas Nemet von Acad Write, überlegt aufgrund des wachsenden Marktes, sogar eine österreichische Filiale zu gründen. Er beschäftigt rund 250 Autoren, in den vergangenen sieben Jahren verkaufte er rund 5.000 Arbeiten. Die Kunden stehen zumeist voll im Berufsleben und schaffen die Fertigstellung der Arbeit und damit den Abschluss des Studiums aus Zeitgründen nicht.
Die Arbeitsweise eines Ghostwriters unterscheidet sich im Übrigen kaum von einer herkömmlichen Recherche. In Bibliotheken wird stapelweise Fachliteratur gewälzt, aktuelle Experten-Artikel werden im Internet abgerufen. Die dienstbaren Geister sind jedoch versierter im Sichten und Verarbeiten des Materials. Ein guter Ghostwriter schreibt grundsätzlich nicht ab, sondern formuliert neu. Nicht ausgewiesene Zitate und Versatzstücke aus fremder Feder, die Guttenberg den Plagiatsvorwurf einbrachten, sind bei den professionellen Schreibfabriken tabu. Jeder Autor schreibt in seinem oder einem verwandten Fachgebiet; spielt ein anderes Themengebiet hinein, wird ein Kollege zugezogen. Bahner legt für seine Mitarbeiter die Hand ins Feuer: Als – nach eigenen Angaben – einzige Agentur gewährt er Ratenzahlung und Geld-zurück-Garantie.
Spreu und Weizen
Ein Ghostwriter hätte auch so manchem österreichischen Prominenten gut getan. Durch die Guttenberg-Affäre sind erneut die Abschlussarbeiten österreichischer Politikerinnen und Politiker ins Rampenlicht gerückt. Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität der Diplomarbeit von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser erhielten neue Nahrung. Sie wird abermals geprüft, ebenso wie die Dissertation von EU-Kommissar Johannes Hahn. »Plagiatsjäger« Stefan Weber, der bereits 2007 bei einer oberflächlichen Sichtung verdächtige Stellen in der Arbeit des früheren Wissenschaftsministers entdeckt hatte, wurde vom Grünen Abgeordneten Peter Pilz mit einer gründlichen Analyse beauftragt. Hahn entkam einem Verfahren damals durch Vorlage eines entlastenden Gutachtens der Uni Zürich. Neueste Software ermöglicht aber inzwischen detailliertere Vergleiche inkriminierter Texte, laut Weber ergeben sich dadurch »völlig neue Perspektiven der Plagiatssuche«.
Auch wenn nicht gerade abgeschrieben wurde, ist die Qualität der Arbeiten mitunter fragwürdig. So ergeht sich Vizekanzler Josef Pröll in seiner 70-seitigen Abhandlung über das Raiffeisenlagerhaus Absdorf-Ziersdorf in recht banalen Thesen. Auch die Diplomarbeit von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner fiel mit knapp 60 Seiten Umfang und einer nur drei Fachbücher umfassenden Literaturliste doch ein wenig dürftig aus. Noch bescheidener gab es Familienstaatssekretärin Verena Remler: Mit 31 Seiten entspricht die Diplomarbeit der Juristin bestenfalls einer größeren Seminararbeit. Zum Vergleich: Wissenschaftsministerin Beatrix Karl zitierte in ihrer Dissertation zum Thema »Die sozial ungerechtfertigte Kündigung« 140 Quellen und schuf ein Werk, das 1999 sogar als Buch erschien.
Nun muss nicht jeder angehende Akademiker gleich das Rad neu erfinden, doch zeigt die unterschiedliche Herangehensweise deutlich, wem die Abschlussarbeit mehr als bloß das Mittel zum Zweck war – oder nur das ersehnte Ziel, den akademischen Grad, bringen sollte. Denn nach der wohlwollenden Absegnung durch den betreuenden Professor steht der Karriere vermeintlich nichts mehr im Wege.
Karrierekatalysator
Tatsächlich gilt ein Doktortitel oder ein anderer akademischer Grad als Eintrittskarte für Führungspositionen. Im Topsegment sind Manager ohne Hochschulabschluss inzwischen rar gesät und durchwegs älteren Semesters. Bedingt durch die Kriegswirren oder die Herkunft aus einfachen Verhältnissen konnten viele damals nicht studieren und erwarben die nötige Kompetenz im Laufe ihrer langjährigen Tätigkeit. Obwohl ihre Führungsqualitäten unabhängig von akademischen Weihen hinlänglich bewiesen sind, sehen Personalberater umgekehrt einen Doktor- oder Magistertitel als untrügliches Zeichen für die intellektuelle Eignung eines Kandidaten.
Vor allem der Doktortitel hebt Bewerber aus der Masse hervor, da ihn »nur etwa zehn Prozent der Universitätsabsolventen erreichen«, sagt Sörge Drosten, Geschäftsführer der Personalberatung Kienbaum Consultants. Besonders hilfreich sind Doktortitel nach Ansicht des Experten in konservativen Branchen wie etwa Banken. Die promovierten Unternehmenssprecher und Abteilungschefs dienen nach außen als Aushängeschilder. Lediglich in naturwissenschaftlichen Branchen werde genauer auf das Niveau und die Eigenständigkeit der Abschlussarbeit geachtet. Für eine Stelle im Forschungsbereich sind hervorragende Beurteilungen unerlässlich.
Auch für den Einstieg in die Politik kann ein Studienabschluss durchaus förderlich sein. Immerhin haben 13 der 18 österreichischen Regierungsmitglieder einen akademischen Abschluss. Etliche Spitzenpolitiker, darunter auch Bundespräsident Heinz Fischer, tragen den Doktortitel, ohne eine Dissertation verfasst zu haben – sie haben noch nach der alten Studienordnung Jus studiert. Bundeskanzler Werner Faymann studierte vier Semester Rechtswissenschaften, war aber daneben bereits Abgeordneter des Wiener Landtages und Gemeinderates und schloss sein Studium nie ab.
In Teilen der SPÖ, vor allem bei Gewerkschaftern, hielt sich lange Zeit das Vorurteil von den »abgehobenen« Akademikern, die über das Leben der kleinen Leute nicht Bescheid wüssten. Diese Meinung ist in kleineren Betrieben ebenfalls manchmal zu hören. »Studierte« gelten oftmals als Theoretiker ohne Praxisbezug. Genau diese Fähigkeit, Strategien und Ergebnisse auf eine wissenschaftliche Ebene zu heben, wandelt sich aber wiederum in größeren Unternehmen zum Vorteil.
Blaues Blut
Im anglo-amerikanischen Raum ist das Hervorheben eines akademischen Grades geradezu verpönt, auch in Deutschland belächelt man Österreicher gerne wegen ihrer »Titelmanie«. Andererseits halten unsere Lieblingsnachbarn beharrlich an Adelstiteln fest – eigentlich ein Paradoxon, denn diese werden bloß vererbt und nicht durch eine besondere Leistung erworben. In Österreich ist das Tragen von Herkunftsbezeichnungen seit 1918 verboten und hat auch im Berufsleben weitgehend an Bedeutung verloren. Vereinzelt weisen bekannte Doppelnamen auf blaublütige Familienbande hin – karrieretechnisch kann vielleicht auf ein Netzwerk an Kontakten zurückgegriffen werden, ganz ohne Qualifikation wird es aber auch unter seinesgleichen nicht gehen.
Laut Heinz Kasparovsky, Abteilungsleiter für Internationales Hochschulrecht im Wissenschaftsministerium, sind in Österreich rund 900 Titel, Grade, Berufs- und Standesbezeichnungen erfasst. Sein Buch »Titel in Österreich« ist ein Klassiker, listet er doch Skurrilitäten wie die Obersonderkindergärtnerin oder den Majorveterinär auf, die an Kaisers Zeiten gemahnen und Karl Kraus noch heute große Freude bereiten würden.
Wem Monstrositäten dieser Art zu wenig ehrerbietig erscheinen, bleibt noch die Möglichkeit, einen Adelstitel zu kaufen. In Österreich dürfen Bezeichnungen wie Graf, Herzog oder Earl zwar nicht offiziell verwendet werden, in gewissen Kreisen machen sich Visitenkarten oder Briefpapier mit dem Hinweis auf noble Herkunft aber vielleicht ganz gut. Einschlägige Webseiten offerieren Adelstitel bereits ausgestorbener Adelsgeschlechter, samt Ernennungsurkunde, Wappen und Familiengeschichte. Der »Herzog von Meranien«, ein ursprünglich von Friedrich Barbarossa persönlich verliehener Titel, ist um rund 70 Euro zu haben. Für Freunde Robin Hoods‘ gibt es zum selben Preis den Titel »Lord of Sherwood«. Ein wahres Schnäppchen ist dagegen der »Lord of Kerry«, der um rund 50 Euro auch den Mitbesitz an einem Grundstück »im romantischen Südwesten Irlands« beinhaltet.
Soll ein schmucker Titel auch den Pass und andere Dokumente zieren, muss man sich beizeiten nach adeligen Ehepartnern oder Adoptiveltern umsehen. So ließ sich Bordellbesitzer Marcus Eberhardt von seinem Stammkunden Frédéric Prinz von Anhalt und dessen Gattin Zsa Zsa Gábor adoptieren und führt seither als Prinz und Multimillionär ein
Jetsetleben. Aber auch Adoptivvater Frédéric ist kein waschechter Prinz von Anhalt, sondern ebenfalls adoptiert – sehr zum Missfallen der übrigen Adelsfamilie, die den Lebemann in ihren Reihen gar nicht goutiert. Wenigstens Querelen dieser Art blieben Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg erspart. Er stammt aus einer vermögenden fränkischen Adelsfamilie, deren Genealogie bis ins Mittelalter zurückreicht.