Süßes oder Saures
- Written by Redaktion
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Auch neu importiertes Brauchtum hat seinen Reiz. Die Gelegenheit, Angst und Schrecken zu verbreiten, ist zu Halloween besonders günstig.
Eine Vendetta von Rainer Sigl.
Mit der famosen Übernahme aller möglichen kulturimperialistischen Segnungen aus den Vereinigten Staaten hat sich – gottlob! – auch Halloween bei uns flächendeckend durchgesetzt. Und wie! Schon soeben erst mit dem Wanken beginnende Eineinhalbjährige werden als Zombies geschminkt auf Zuckerlsuche direkt aus den Krabbelgruppen in die Nachbarschaft geschickt. Bis vor kurzem hab ich mich noch dagegen gesträubt, aber inzwischen ist das Ignorieren des Ganzen schon fast aufwendiger, als mitzumachen.
Nun mach ich also mit.
Allerdings will ich den wacker um Süßes bettelnden Gschrappen auch etwas bieten, wovon sie länger etwas haben – ein saisonal angemessen gruseliges Erlebnis, von dem sie später noch mit leuchtenden Augen ihren Therapeuten erzählen können. Gut, die Irmi, meine Frau, sagt, dass ich es ein bissi übertreib, aber mei, ich sag so: Wer sich als Monster verkleidet aufmacht, von mir Süßigkeiten zu erpressen, muss sie sich erst durch Traumatisierung verdienen.
Es geht schon los, wenn die kleinen Schnuckis anläuten: Da warte ich dann schon, mit Schnauzer und irrem Blick als Thomas Brezina verkleidet, hinter der Tür und weise die Kleinen mit meinem besten wahnwitzigen Lachen in den Flur. Da geht’s noch harmlos zu: Über den Schüsseln mit Smarties hängen atmosphärische Bilder von Endstufenkaries, Unterkieferabszessen und diabetischer Polyneuropathie, um gleich ein wenig Atmosphäre zu erzeugen. Dahinter, in der Küche, wird’s dann zum ersten Mal richtig gruselig: Da steht die Irmi, verkleidet als ehemalige Sozialministerin – ja, ich sag Ihnen, ich hab mich auch geschreckt –, und erklärt den kleinen Besuchern unser Pensionssystem. Ja, gut, den ganz Kleinen ist das noch wurscht – »Was ist denn eine Pension, Papi?«, hat einer letztes Jahr gefragt, goldig –, aber die Eltern sollen ja auch ein bissi was zum Fürchten haben, nicht?
Dann geht die Führung durchs Gruselhaus weiter, ins Wohnzimmer, wo wir ein Labyrinth aus den Erderwärmungsstudien seit den 70er-Jahren aufgebaut haben und im Zentrum ein digitaler Countdown steht, bis wann menschliches Leben vermutlich noch möglich ist auf dem Planeten. Gut, da bekommen dann ein paar schon ein bissi glasige Augen und wirklich, so ein gschniegelter Papa hat sich letztens seinen immer stiller werdenden kleinen Hulk geschnappt und ist wutentbrannt rausgerannt zu seinem SUV, also bitte, die Leute sind schon komisch.
Am Weg zurück dürfen sie im Bad die Wanne voller Plastikmüll nach Stollwerk durchsuchen – ich nenne es den »Zuckerl-Pazifik« – und im Vorhaus nehme ich zum Spaß von allen alle biometrischen Daten auf und stell sie ins Internet. Haha, jaja, die Irmi hat auch gesagt, ich soll doch lieber wieder den DVD-Player mit dem »Exorzist« aufstellen, aber das war mir dann eben zu luschig.
Wie bitte? Ja, es ist ein Bombenerfolg, wirklich. Weinende Kinder mit angstgeweiteten Augen, verstörte Babys, depressiv verstimmte Eltern, im Ernst: Wenn sich das rumspricht, hab ich nächstes, spätestens übernächstes Jahr endlich wieder Ruhe.
Schad eigentlich. Naja, vielleicht geh ich dann aber selber raus, verkleidet. Als irgendwas Gruseliges, wo sich alle halb angacken vor Angst. Als Vermögenssteuer vielleicht. Oder als Citymaut.