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Auf der Flucht

In gewisser Weise erinnert die Diskussion über den Brain Drain, der \"Austrocknung\" eines Landes infolge einer konzentrierten Abwanderung der \"klugen\" Köpfe, an eine pseudo-religiöse Auseinandersetzung. Während die eine Seite fest von seiner Existenz überzeugt ist, gibt sich die Gegenseite atheistisch, leugnet sein Vorhandensein und spricht von einer - medial aufgeheizten - Massenhysterie. Das altbekannte Problem: Es fehlen die Beweise. Das spärlich vorhandene Zahlenmaterial besteht aus Schätzungen und Hochrechnungen, die auf eben jenen Schätzungen basieren. Und dennoch, wie es sich für eine Religion gehört, bewegt das Thema die Menschen - die Gläubigen wie die Ungläubigen.
Zu ersteren zählt sich Forschungsstaatssekretär Eduard Mainoni, der Kraft seines Amtes eng mit der Thematik verbunden ist: \"Einen Brain Drain gibt es sicher. Die Abwanderung von Forschern, speziell im naturwissenschaftlichen Bereich, ist für mich ein Faktum.\" Aus eigener Erfahrung kennt Peter Skalicky, Rektor der TU Wien, das Phänomen Brain Drain: \"Aufgrund schlechter Rahmenbedingungen verlieren wir immer wieder herausragende Studenten und Professoren ans Ausland.\"
überraschenderweise im Lager der Ungläubigen angesiedelt sind zahlreiche Vertreter der Wirtschaft. Harald Kaszonits von der Wirtschaftskammer sieht \"im Brain Drain momentan kein Problem für die Wirtschaft\". Unterstützung erhält Kaszonits von Firmen wie Siemens, Fronius, Böhler-Uddeholm und Berndorf, die sich vom Brain Drain nicht betroffen fühlen.

Eine Bestandsaufnahme
Derzeit leben rund 355.000 registrierte und 500.000 geschätzte österreicher im Ausland, davon etwa 180.000 in Deutschland, 25.000 in der Schweiz, 15.000 in Australien und überraschenderweise nur knapp 10.000 in den USA. Wie bereits erwähnt gibt es kein statistisches Zahlenmaterial zu im Ausland tätigen österreichischen Forschern, ebenso wenig existieren Daten zu Universitätsabsolventen, die österreich nach Beendigung ihres Studium verlassen. Seriöse Rückschlüsse lassen derzeit nur die Daten der Ascina (Austrian Scientists and Scholars in North America) zu. Man geht davon aus, dass ein Großteil der Forscher, die österreich verlassen haben, in Nordamerika ihre neue berufliche Heimat gefunden haben. In den letzten Jahren machte immer wieder die Zahl 1.500 Forschern in Nordamerika die Runde. Diese Zahl stellt aber vermutlich eine deutliche Unterschätzung dar: Alleine der Verein Ascina umfasst etwa 600 Mitglieder, wobei ein Großteil von ihnen in den gebieten Life Sciences, Mathematik und IT tätig ist. Geht man von einer deutlich besseren Verteilung auf die unterschiedlicheren Forschungsgebieten aus, ist die Zahl 1.500 nicht lange haltbar. Zudem gibt es zahlreiche Forscher, die im industriellen und damit viel schlechter vernetzten Umfeld tätig sind und wahrscheinlich nie statistisch erfasst wurden. Diese Zahlen an sich sind wenig beunruhigend, man muss sich allerdings die Frage stellen, ob der F&E-Standort österreich diese Abwanderung verkraften kann.

Die Wirtschaft
Wie bereits eingangs erwähnt, spielt der Brain Drain bei großen, weltweit etablierten Unternehmen eine eher untergeordnete Rolle. Siemens, Magna, Fronius oder Infineon verfügen über einen Bekanntheitsgrad und ein Arbeitsumfeld, das jungen Forschern interessante und herausfordernde Perspektiven bietet. Deutlich schwieriger wird es für Firmen aus der zweiten Reihe. \"Hochspezialisierte Unternehmen von Weltruf wie AVL List werden immer bestens qualifizierte Leute bekommen\", ist Walter Hanus, CEO beim Technologie-Dienstleister IVM, überzeugt. \"Jeder TU-Absolvent bewirbt sich mit einer Blindbewerbung bei der Firma Siemens, aber nicht bei uns. Wenn die Absolventen dann keinen Job bei den leuchtenden Flaggschiffen der österreichischen Wirtschaft bekommen, gehen sie oft Ausland.\" Das Problem sei aber nicht, dass die Absolventen nicht für Firmen aus der zweiten Reihe arbeiten wollen, sondern vielmehr, dass diese Firmen einfach zu wenig bekannt seien. \"Die Universitäten halten die Daten ihrer Absolventen unter Verschluss. Dadurch ist es auch für uns sehr schwierig, an sie heranzutreten.\" Hanus ist fest davon überzeugt, dass österreich auf große Probleme zusteuert, wenn das Problem Brain Drain nicht rasch angegangen wird. Dafür müssen die Rahmenbedingungen an die veränderte globale Wettbewerbssituation angepasst werden. Ein erster Schritt wurde vom Finanzministerium mit der Novellierung des Paragraph 103 des Einkommenssteuergesetzes vollzogen. Demnach zahlen ausländische Forscher in österreich künftig den gleichen Steuersatz, den sie auch im Herkunftsland entrichten mussten. Neben dem Steuergesetz gibt es aber auch noch Probleme mit dem Pensionsrecht. Jemand der im Alter von 45 nach österreich kommt bzw. zurückkommt, würde aufgrund der geringen Anzahl an Beitragsmonaten eine dementsprechende niedrige Pension erhalten. \"An diesem Problem arbeiten wir im Moment\", erklärt Mainoni und hofft auf die Möglichkeit, die im Herkunftsland verfallende Pension nach österreich transferieren zu können. Ob die Ursprungsländer bei diesem Plan mitspielen, darf bezweifelt werden.

Eine weitere wichtige Säule im Kampf um bessere Rahmenbedingungen ist die Höhe der nationalen Forschungsquote. Drei Prozent des BIP soll sie im Jahr 2010 betragen, sagt die Lissabon Strategie. 2004 lag die Forschungsquote bei 2,27 Prozent. Für 2005 waren 2,35 Prozent prognostiziert, 2006 sollen es 2,5 Prozent sein. Eine Politik der kleinen Schritte, dennoch sieht Staatssekretär Mainoni Grund zur Freude: \"Berechnungen des Instituts für Höhere Studien haben ergeben, dass durch die Forschungsoffensive 2005, bei der 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, die Forschungsquote von prognostizierten 2,35 Prozent des BIP auf 2,39 Prozent des BIP ansteigen wird. Somit ergibt sich nach dieser Berechnung für das Jahr 2006 eine Forschungsquote von über 2,5 Prozent.\" Das Institut für Höhere Studien weist aber auch darauf hin, dass zur weiteren Erhöhung der F&E-Quote ein entsprechendes Arbeitskräfteangebot zur Verfügung stehen müsse. Die oftmals kolportierte Forschungslücke von 1.000 Forschern pro Jahr sei zwar zu hoch gegriffen, dennoch sei der Arbeitsmarkt für qualifiziertes Forschungspersonal schon jetzt weitestgehend ausgetrocknet. Um den Forscherbedarf auch in Zukunft stillen zu können, müssen jetzt in der Ausbildung die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. \"Investitionen in Humankapital müssen einen längeren Horizont haben, bis es zur Pay-off-Periode kommt, in der ausgebildete Menschen auch tatsächlich forschen können\", so Bernhard Felderer vom Institut für Höhere Studien.

Die Universitäten
Die Situation an den heimischen Universitäten, allen voran den technischen Unis, erscheint aber - gelinde gesagt - äußerst trist. Nicht nur die amerikanischen Eliteuniversitäten, die immer wieder als leuchtendes Beispiel herangezogen werden, lassen die heimischen Universitäten relativ alt aussehen. Auch Zürich, München und Stockholm verfügen mittlerweile über bessere Rahmenbedingungen als Wien und Graz. \"Die TU-Wien hat immer wieder hochkarätige Bewerbungen für Professuren, die Infrastruktur ist aber derartig mangelhaft, dass viele Bewerber Engagements im Ausland vorziehen\", erklärt Rektor Skalicky. Um die weltweit renommierte Physikerin Ulrike Diebold nach Wien zu lotsen, war die TU Wien bereit, die laut Skalicky enorme Summe von einer Million Euro zu investieren. Im Gegenzug wurden von ihrer amerikanischen Stammuniversität, der Tulane University in New Orleans, 30 Millionen Euro für Forschung und Infrastruktur zugesagt. \"Da können wir einfach nicht mit\", erklärt Skalicky resignierend. Aus dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur hört man zu der prekären Situation lediglich, dass \"die Universitäten, wenn sie bessere Leute haben wollen, halt weniger Computer kaufen sollen\". Eine Aussage, die nicht nur Skalicky verärgert. Er sieht darin ein weiteres Indiz für das \"Unverständnis im Ministerium\". Viel wichtiger als die Gehälter der Professoren sei die Ausstattung, vor allem im technischen Bereich. \"Wenn jemand von einer ausländischen Uni nach Wien kommen soll, dann erwartet er sich zumindest eine gleichwertige Ausstattung. Die können wir aufgrund budgetärer Engpässe aber oft nicht bieten. Wenn es nach dem Ministerium geht, sollten wir bei immer kleiner werdenden Budgets eine immer bessere Ausstattung liefern. Tut mir leid, aber das geht einfach nicht.\" Auf der letzten Rektorenkonferenz sei festgestellt worden, dass für alle österreichischen Universitäten ein Nachholbedarf von rund 200 Millionen Euro bestünde. Unterstützung erhält Skalicky vom sozialdemokratischen Wissenschaftssprecher Josef Broukal: \"Im Jahr 1999 standen den Unis 1,22 Prozent des BIP zur Verfügung, im Budget 2006 bekommen sie nur mehr 0,98 Prozent, also um ein Fünftel weniger.\" Alleine um den bestehenden Betrieb aufrechterhalten zu können, wäre aber laut Broukal eine Erhöhung von 3,5 Prozent pro Jahr erforderlich. Neben mangelhaften Rahmenbedingungen fehlen in österreich oftmals aber auch die beruflichen Perspektiven, erklärt Christoph Badelt, Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien. Verkrustete Personalstrukturen würden dafür sorgen, dass hervorragende junge Mitarbeiter auf Jahre hinaus keine Chance auf eine Stelle an einer heimischen Universität hätten. Zwar wäre es durch die Autonomie der Universitäten möglich, neue Professuren zu schaffen, aber dafür fehle schlicht und einfach das Geld. Dem Problem der fehlenden Perspektive junger Absolventen hat sich Staatssekretär Mainoni angenommen und gemeinsam mit österreichs Paradephysiker Anton Zeilinger das AIST, Austrian Institute for Science and Technology, zu seinem Lieblingsthema erhoben. Diese \"University of Excellence\", landläufig und etwas irreführend als Elite-Universität ein Begriff, soll, so Mainoni, postgradual besonders begabten Menschen die Möglichkeit geben, nach dem Abschluss ihres Studiums, an einer Spitzenuniversität ihre Forschung weiterzuführen. Um die Auswanderung von Wissenschaftern zu verhindern und um die Forscherquote zu erhöhen, hat sich selbst die SPö - trotz der ideologischen Problematik des Elitebegriffs - dafür ausgesprochen, eine Elite-Uni in österreich zu etablieren. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die öffentlichen Universitäten nicht (weiter) ausgehungert werden. \"Die bestehenden Unis sind seit Jahren unterfinanziert. Um für Lehrende und Studierende erträgliche Verhältnisse zu schaffen, muss die Finanzierung dieser Unis absolute Priorität haben\", so Broukal.

Rückholaktion
Im Frühjahr 2004 wurden im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie die Zeichen der Zeit erkannt und groß angelegte Rückholaktionen angekündigt. Zwar mehren sich die Vorwürfe, dass bislang noch nicht wirklich viel passiert ist, erste Ansätze sind aber erkennbar. Mit \"brainpower austria\" soll österreichischen Forschern gezielt die Möglichkeit geboten werden, in die Heimat zurückzukehren. über die Internetplattform www.brainpower-austria.at werden Jobangebote und Jobnachfragen koordiniert. Interessierten Forschern werden finanzielle Unterstützung für anstehende Bewerbungsgespräche (Flug- und Nächtigungskosten) sowie organisatorische Hilfe etwa für die Wohnungssuche angeboten. Derzeit sind 171 aktive Jobsucher und 173 Jobangebote registriert. Die Vermittlung gestaltet sich aber mitunter als schwierig. \"Der Austausch findet auf einem sehr hohen Level statt\", weiß Staatssekretär Mainoni, \"nicht jeder Bewerber kommt für die angebotenen Jobs in Frage.\" Dennoch sieht er die Initiative als (kursiv)eine(kursiv) wichtige Gegenmaßnahme zum Brain Drain. Ein weiterer Punkt ist die Headquarter-Strategie: \"Wenn wir es schaffen, die Headquarter großer Konzerne nach österreich zu bringen, kommt die F&E-Abteilung zwangsläufig mit. Bei Infineon waren wir bereits erfolgreich. Der Umzug von München nach Wien war ein wichtiges Signal. Mit weiteren Konzernen sind wir im Gespräch.\" Das Paradebeispiel für eine geglückte Rückholaktion ist Josef Penninger, Forscher von Weltrang und als künftiger Nobelpreisträger gehandelt. Nach Jahren in Kanada ist er nach österreich zurückgekehrt, wo er als Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie seine Forschungsarbeit fortsetzt. Wollen wir hoffen, dass es nicht bei dem einen Aushängeschild bleibt.

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