Vielseitigkeit ist Trumpf
- Written by Mag. Bernd Affenzeller
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Beton ist allgegenwärtig. Nach Schätzungen des National Building Museums in Washington werden weltweit jedes Jahr rund fünf Milliarden Kubikmeter Beton produziert. Das macht Beton nach Wasser zur meistverwendeten Substanz der Erde. In der Fachwelt gilt Beton als der »Werkstoff des 20. Jahrhunderts«. Damit er auch im 21. Jahrhundert eine ähnlich prominente Rolle spielen kann, fließt jedes Jahr viel Geld in die Forschung. Sowohl in Produkt- als auch in Prozessinnovationen wird ordentlich investiert. Im Fokus steht dabei vor allem die Produktion von Zement und Beton, und da geht es vor allem um die Themen Energieeffizienz und Umweltschutz.
Selbst im Jahr 2009, am Höhepunkt der Krise, hat die österreichische Zementindustrie 15,77 Millionen Euro in Umweltschutzanlagen investiert. Das entspricht fast der Hälfte der gesamten Anlageninvestitionen. 2010 startete die Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie VÖZ das Forschungsprojekt »Neue Zemente«, das eine Klinkereinsparung von 12 % Prozent möglich machen soll. »Klinkerarme Zemente eignen sich für die meisten Anwendungsgebiete und weisen eine wesentlich bessere Ökobilanz auf, denn je geringer der Klinkeranteil, desto stärker reduzieren sich der CO2-Ausstoß wie auch die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen«, erklärt VÖZ-Geschäftsführer Felix Friembichler, der seitens der Produktionsanlagen kaum mehr Einsparungsmöglichkeiten sieht.
Auch die Unternehmen selbst investieren viel Geld in Forschung und Entwicklung. Die Wopfinger Baustoffindustrie hat etwa 20 Millionen Euro in eine energieeffiziente Zementmühle investiert, in der spezielle CO2-arme Ökozemente wie der Slagstar produziert werden. »Nahezu alles, was zur Herstellung von Beton benötigt wird, liefert die Natur. Deshalb wollen wir auch das Bindemittel unter größtmöglicher Schonung der natürlichen Ressourcen herstellen«, sagt Manfred Tisch, technischer Geschäftsführer der Wopfinger Baustoffindustrie. Slagstar wird nur durch Mahlung und Homogenisierung hergestellt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Zementen ist zur Herstellung kein Brennprozess erforderlich. Es fallen daher auch keine CO2- und NOx-Emissionen an.
Insgesamt investiert Wopfinger rund 10 % des Umsatzes in Forschung und Entwicklung und rangiert damit im absoluten Spitzenfeld der Branche. Beim italienischen Baustoffriesen Mapei sind es 5 %, die vor allem in »Grüne Innovationen« fließen.
Der weltweit größte Zementhersteller Lafarge steckt jährlich mehr als 170 Millionen Euro in Forschung, Produktentwicklung sowie die Verbesserung der industriellen Leistung und die Prozessoptimierung. Insgesamt sind 1300 Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. In Lyon betreibt Lafarge ein eigenes Forschungszentrum, in dem 200 Fachleute aus zehn Ländern Grundlagenforschung betreiben. Das jährliche Budget liegt bei 25 Millionen Euro. Lafarge hält heute mehr als 800 Patente, von denen die meisten aus dem Forschungszentrum in Lyon stammen.
Energiespeicher Beton
Nicht nur bei der Herstellung von Zement und Beton hat sich einiges getan. Auch auf Produktseite spielen Innovationen eine immer wichtigere Rolle. Laut einer Umfrage des Verbands Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke konnten 55 % der Mitgliedsunternehmen im Jahr 2011 ihren Umsatz dank »ausgeprägtem Innovationswillen« steigern. Dazu zählen vor allem der Ausbau des Leistungs- und Produktportfolios sowie die Schaffung neuer Geschäftsfelder. »Die besten Chancen ergeben sich im Bereich der erneuerbaren Energien und Speziallösungen wie etwa dem Fishpass-System«, erklärt VÖB-Präsident Bernd Wolschner.
Große Chancen sehen Branchenvertreter auch in der Vorfertigung, sowohl im Gewerbe- als auch im Wohnbau. »Mit vorgefertigten Teilen garantieren wir gleich bleibende Qualität, kurze Bauzeiten und einen Baufortschritt, der unabhängig von Wind und Wetter ist«, erklärt Franz Oberndorfer, geschäftsführender Gesellschafter des Beton-Fertigherstellers Oberndorfer. Ganz ähnlich klingt Bernhard Rabenreither, Geschäftsführer der Maba Fertigteilindustrie, der vor allem öffentliche Auftraggeber, für die Bauzeit und Kosten vorrangig sind, als Zielgruppe anvisiert: »Mit vorgefertigten Betonteilen können wir Zeit- und Kosteneffizienz garantieren.« Neben der wirtschaftlichen Errichtung hat sich Beton aber auch in energetischer Hinsicht einen Namen gemacht. Als Energiespeicher sorgt Beton für die Heizung und Kühlung ganzer Gebäude. Seit Mitte der 90er-Jahre sind Betonkernaktivierungssysteme im Einsatz, in den letzten Jahren sind sie auch massentauglich geworden. Dabei werden in den Betonteilen Rohrleitungen verlegt, durch die in der Regel Wasser als Kühl- oder Wärmemittel fließt. Der Beton speichert die Wärme und gibt sie gleichmäßig an die Umgebung ab. Man spricht vom sogenannten Kachelofeneffekt. Neben der Behaglichkeit zeichnet sich dieses System auch durch eine hohe Wirtschaftlichkeit aus. Den höheren Investitionskosten stehen deutlich niedrigere Betriebskosten gegen-über. Aufgrund der hervorragenden thermischen Eigenschaften von Beton muss die Wassertemperaturen im Heizfall nicht mehr als 28°C und im Kühlfall nicht weniger als 18°C betragen. Laut einer aktuellen in Deutschland durchgeführten Studie verbrauchen typische verglaste, mit einer Vollklimaanlage ausgerüsteten Büroaltbauten zehn- bis zwanzigmal so viel Energie wie ein modernes Bürogebäude, das über eine Betonkernaktivierung verfügt.
Vor den Vorhang
Eine Renaissance feiert der Werkstoff Beton auch im grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Während Betonteile über Jahrzehnte fast verschämt hinter allerlei Firlefanz versteckt wurden, ist der Sichtbeton aus der aktuellen Architektur nicht wegzudenken. Nicht nur Kirchdorfer hat seine neue Unternehmenszentrale selbstbewusst mit einer ausdrucksvollen Sichtbetonfassade errichtet, auch Hotels wie das Arcotel Kaiserwasser in Wien oder das Hotel Domplatz in Linz setzen auf Sichtbeton. Und selbst Sakralbauten wie die Kirche in Oberrohrbach oder die Kapelle im spanischen Valleaceron haben heute kein Problem mehr mit Sichtbeton. Diese Entwicklung ist sowohl »Folge des Wandels der Akzeptanz von Beton als auch gleichzeitig Träger dieses Wandels«, wie Frank Huber, Geschäftsführer der Zement+Beton Handels- und Werbeges.m.b.H, und Michael Grobbauer vom Institut für Hochbau und Bauphysik an der TU Graz, in einem Aufsatz zum Thema »Sichtbeton« festgestellt haben. Denn jedes qualitätsvolle Sichtbetonbauwerk trage einen wesentlichen Teil zur Akzeptanzverbesserung und zum Bedeutungswandel von Betonbauwerken bei.
> Anwendungsgebiete:
- Ultrahochleistungsbeton: Noch ist der Ultrahochleistungsbeton UHCP ein Nischenprodukt. 400 Kilogramm Stahlfasern auf einem Kubikmeter Beton machen UHCP so hart, dass die Brückenwände deutlich dünner ausfallen können und somit Baumaterial gespart wird. Eine erste Praxisanwendung ist eine von der Strabag errichtete Wildbrücke in Völkermarkt. Dabei wird das mittlere Brückenfeld mit einem schlanken Bogenpaar aus UHCP über 70 Meter überspannt.
- Fishpass: Gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur hat Maba Fertigteilindustrie den sogenannten Fishpass entwickelt, der Fischen die Überwindung von Hindernissen wie etwa Kraftwerken ermöglicht. Der erste Fishpass wurde 2009 in Wöllersdorf an der Piesting installiert und ist seither erfolgreich im Einsatz.
- Selbstverdichtender Beton: Im Forschungsinstitut der österreichischen Zementindustrie VÖZfi wurde ein selbstverdichtender Beton entwickelt, der für mehr Sicherheit im Tunnel sorgen soll. Dafür wurde eine spezielle Betonrezeptur mit Weißpigmenten entwickelt, die zu einer helleren Oberfläche und damit besseren Sicht für die Autofahrer führt. Außerdem wurde durch die Beimischung von Polypropylen-Fasern eine höhere Brandbeständigkeit erreicht.
- Fertigteilbrücke: An der TU Wien wurde ein Klappbrückenverfahren mit Betonfertigteilen entwickelt, das eine deutliche Kosteneinsparung im Brückenbau ermöglichen soll. Dabei wird eine tonnenschwere Brücke aufgespannt wie ein Regenschirm. Die einzelnen vorgefertigten Teile werden senkrecht montiert und zu einem hohen, schlanken Turm aus Beton zusammengefügt, der dann mithilfe eines Krans auseinandergeklappt wird. Diese Konstruktion muss dann nur noch ausbetoniert werden. Die größte Herausforderung bei dieser Konstruktion war die Entwicklung von verbindenden Gelenken, die das Ausklappen unbeschadet überstehen. Dafür wurden Gelenke aus Stahl und Beton gebaut, die im Prüflabor des Instituts mithilfe von Stahlseilen so lange belastet wurden, bis sie zerbrachen. Eine Pilotbrücke wurde auf dem Betriebsgelände von Industriepartner und Betonfertigteilspezialisten Oberndorfer ausgestellt.
- Leichtbeton: Ein enormes Zukunftspotenzial im Hoch- und Tiefbau wird dem Leichtbeton attestiert. Im Vergleich zu Normalbeton punktet Leichtbeton neben dem Gewicht vor allem mit einer besseren Wärmedämmung, leichteren Konstruktionen und einem geringeren Transportgewicht. Im Wohnbau kann bei gleicher Belastung des Untergrunds ab fünf Geschoßen eine Etage mehr errichtet werden.