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Was unsere Augen verraten

Mobile Eye-Tracking dokumentiert die Blickverläufe in einem Supermarkt. Mobile Eye-Tracking dokumentiert die Blickverläufe in einem Supermarkt.

Hightech hält in der Marktforschung Einzug: Weil Kundenbefragungen unzuverlässig sind, lassen Hersteller ihre Produkte mittels Eye-Tracking und Hirnstrommessungen abtesten.

Konsumenten sind unberechenbar. Sie kaufen Waschmittel beim Diskonter, Gemüse am Markt, Brot im Bioladen oder alles umgekehrt. Die Entscheidungen sind weder rational noch vorhersehbar. Dennoch versucht die Marktforschung das scheinbar Unmögliche, neuerdings mit modernster Technik.

Früher spürten Meinungsforscher mit langen Fragebögen dem Kaufverhalten nach. Studenten klopften auf der Straße Passanten nach ihren Präferenzen für Energydrinks oder Zahnpasta ab, Callcenter-Mitarbeiter quälten Testpersonen am Telefon mit detaillierten Einstufungen zu diversen Mobilnetzanbietern. Trifft sehr zu, trifft eher zu, trifft wenig zu oder gar nicht – die Einschätzung fällt nicht immer leicht. Aus Höflichkeit, und mit zunehmender Befragungsdauer wohl auch aus Ungeduld, antworten die Probanden nicht ehrlich, manchmal sogar beliebig.

Ich seh dir in die Augen, Kleines

Das haben auch große Konsumgüterhersteller erkannt. Procter & Gamble, Unilever und Kimberley-Clark setzen ihre Probanden inzwischen vor speziell adaptierte Bildschirme oder schicken sie mit einer Hightech-Brille durch ein Geschäft, um ihr Verhalten zu beobachten. Eye-Tracking heißt die wissenschaftliche Methode, die hier zur Anwendung kommt. Eine winzige Infrarotkamera zeichnet die Blickbewegungen der Testperson auf, während sie eine bestimmte Aufgabe durchführt.

Der Satz »Ich seh dir in die Augen, Kleines« aus dem Filmklassiker »Casablanca« bekommt so eine völlig neue Bedeutung. Mit der individuell auf Iris und Pupille eingestellten Kamera wird genau erfasst, wo sie hinsieht, in welcher Reihenfolge und wie lange. Sogenannte »Heat Maps« visualisieren die beachteten Bereiche farblich akzentuiert – stark frequentierte Zonen leuchten rot und gelb, weniger beachtete grün.

Gerade in einem Supermarkt, in dem unzählige visuelle und akustische Reize auf die Kunden einströmen, setzen die Konzerne alles daran, damit ihre Produkte inmitten dieser Flut wahrgenommen werden. Als kritische Zeitspanne zwischen dem Blick auf das Regal und der Entscheidung für ein Produkt gelten die ersten zehn Sekunden.

Bei der Gestaltung der Verpackungen, der Namenswahl und der Platzierung im Regal will man nichts mehr dem Zufall überlassen. Unilever ersetzte aufgrund der Messergebnisse das kurvige Design der Axe-Duschgels durch geradlinige Behälter und verzeichnete nach eigenen Angaben signifikante Zuwächse im Einzelhandel. Auch bei Procter & Gamble werden 80 % der Prototypen nur noch virtuell erstellt. Die Designkosten eines Produktes konnten stark reduziert werden.

Visuelle Stimuli

Der Betrachtungsverlauf liefert wertvolle Hinweise, welche visuellen Stimuli Wirkung zeigen und welche nicht. Der Blickverlauf und die Fixierung einzelner Punkte sagen aber noch nichts über etwaige Sympathien aus. Das Beratungsunternehmen Usecon koppelt die Messung der Augenbewegungen deshalb immer mit einer konkreten Aufgabenstellung und einer Befragung der Versuchspersonen. Denn die Wirksamkeit von Online-Bannern, TV-Spots oder Inseraten hängt immer auch vom Vorwissen und der subjektiven Einstellung der Probanden ab.

»Wenn ich die subjektive Meinung zur Automarke Porsche erhebe, werden die Antworten der Testpersonen sehr unterschiedlich ausfallen. Da spielen Einkommen und Bildung eine Rolle, aber auch frühere Erfahrungen: Vielleicht fährt der Vater einen Porsche oder jemand hatte einen Unfall damit«, erklärt Peter Strassl, Senior Interaction Designer bei Usecon. Auch ob eine Webseite übersichtlich gestaltet ist, lässt sich anhand der Blickverläufe nur bedingt feststellen: Webaffine Personen werden sich schneller im Menü zurechtfinden. Und wer lange auf einem Punkt verweilt, kann ihn interessant finden oder aber die gewünschte Information vergeblich suchen. »Es gibt Banner, die so invasiv sind, dass sie User verärgern. Unsere Kunden bekommen deshalb auch ein Video, auf dem sie den Gesichtsausdruck der Testperson beobachten können«, sagt Strassl.

Reaktion in Millisekunden

Wie viele Wahrnehmungen und Entscheidungen im Unterbewusstsein in Sekundenbruchteilen ablaufen können, wird durch die 2011 gedrehte Dokumentation »Tested to the Limit« deutlich. Fußballstar Cristiano Ronaldo ließ sich dafür mit einer Eye-Tracking-Brille und Messsonden an den Beinen verkabeln und matchte sich in Zweikämpfen mit einem Gegenspieler. Dass der Ausnahmesportler in puncto Reaktionsschnelligkeit herausragend ist, war schon vorher klar.

Wie schnell, überraschte jedoch auch die Wissenschafter: Sie maßen eine Reaktionszeit von 200 Millisekunden. »Er sieht nie auf den Ball, sondern nur auf die Füße der Gegner und beurteilt unbewusst alle Möglichkeiten und Bewegungen«, analysierte Studienleiterin Zoe Wimshurst von der Universität Chichester in England. Und zwar in Rekordtempo: Ronaldo reagiert auf jede kleinste Andeutung intuitiv, noch bevor diese Information eigentlich im Gehirn angekommen sein kann. Viele Wahrnehmungen erfolgen außerdem am Rande des Sichtfeldes. Wirklich scharf sieht man nur im zentralen Sichtfeld, im peripheren Bereich sind Schärfe und Farbwahrnehmung eingeschränkt.

»95 % der Werbung wird nicht gesehen«, sagt Sebastian Berger, Vortragender am Lehrstuhl für Marketing der Universität Wien, der die Webseiten mehrerer Supermarktketten einer Prüfung unterzog. Einhelliges Ergebnis: Die Navigationsleisten oben und am linken Rand sowie das Firmenlogo wurden weitgehend ignoriert, während Hinweise auf Rabattaktionen als starke Blickfänger fungierten. Nur Bilder zogen schneller und länger die Aufmerksamkeit auf sich. Gestalterische Elemente wie eine Almenlandschaft, mit der etwa Lidl die Webseite unterlegte, blieben dagegen völlig unbeachtet.

Noch tiefere Einblicke ins menschliche Gehirn ermöglicht der von Berger entwickelte »Mindspotter«, eine Online-Messmethode, die sich auf assoziative Verknüpfungen stützt und vom Marktforschungsinstitut Gallup eingesetzt wird. Die Probanden ordnen dabei so schnell wie möglich Inhalte den zu testenden Stimuli – Werbung, Marken, Webseiten etc. – zu.

Anhand der Reaktionszeiten lässt sich ableiten, welcher Gedächtnisinhalt mit einem Marketingstimulus neuronal verbunden ist. Anhand der Reaktionszeiten lässt
sich ableiten, welcher Gedächtnisinhalt mit einem Marketingstimulus neuronal verbunden ist. Wer bei Coca-Cola an USA, süß, Getränk und jung denkt, tut dies unbewusst.

Der Test lässt keine Zeit zum Überlegen, weshalb die Ergebnisse als recht zuverlässig gelten. Gallup-Geschäftsführer Georg Wiedenhofer sieht dennoch Grenzen der Methode: »Das Online-Verfahren kann nicht nachfragen.«

Bis ins Gehirn

Auch die Karmasin Motivforschung ergänzt die gemeinsam mit dem Flugsicherheitsspezialisten Viewpoint adaptierte Aufmerksamkeitsmessung »Brain Attention Rating« (BAR) durch Tiefeninterviews. »Brain Attention Rating kann ermitteln, ob die wesentlichen kommunikativen Elemente eines Werbemittels über die Wahrnehmungsschranke ins Gehirn gelangen und mit welcher Bedeutung und welchen Gefühlen sie verbunden werden. Erst wenn beide Aspekte zufriedenstellend verlaufen, kann von einer hohen Kommunikationsleistung gesprochen werden, die Ausgangspunkt für Verhaltens- oder Einstellungsbeeinflussung ist«, erklärt Geschäftsführerin Sophie Karmasin.

Um die Verständlichkeit und Auffälligkeit eines Werbemittels zu optimieren, sind vor allem gestalterische Aspekte entscheidend – die Größe von Schriften und Logos, Textlängen und Kontraste –, aber auch die emotionale Einordnung durch die Zielgruppe. So erfolgt nach der Blickverlaufsaufzeichnung ein persönliches Einzelgespräch mit den Probanden. Eine originelle Aufmachung zieht zwar die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, ist der Text aber rätselhaft oder schwer verständlich, wenden sich die Blicke rasch wieder ab. »Kaufverhalten entsteht erst, wenn Information ins Gehirn gelangt und diese mit einer positiven Bedeutung verbunden wird«, sagt Karmasin.

Noch unbestechlicher wird die Messung der Blickbewegungen in Kombination mit Elektroenzephalografie (EEG). Dabei wird während des Aufmerksamkeitstests die spektrale Leistung des Schläfen- und Stirnlappens erfasst. Aus erhöhter Aktivität in bestimmten Hirnregionen kann nach Ansicht von Neurologen auf eine Speicherung im Gedächtnis geschlossen werden. Somit wird nicht nur nachvollziehbar, was Menschen wahrnehmen, sondern auch zeitgleich, wie sie das Gesehene verarbeiten, ohne dass es ihnen bewusst ist. »Führende Marktforschungsinstitute wie GfK, Nielsen und Ipsos arbeiten mit unserem Gerät«, sagt Stefanie Gehrke, Market Communication Manager bei SensoMotoric Instruments. Spezielle 3D-Aufsätze für die Brille ermöglichen es, Studien auch in virtuellen Umgebungen durchzuführen. Imaginäre Shop- und Regallayouts und Produktdesigns werden dafür in einen dreidimensionalen Raum projiziert. Der »gläserne« Konsument ist somit längst Wirklichkeit – und vielfach umstritten.

Auf mehr Akzeptanz stoßen Eye-Tracking-Systeme, die für die Verkehrssicherheit zum Einsatz kommen. So können die Augen eines Piloten oder Autolenkers in regelmäßigen Abständen abgetastet werden – bei Ermüdung ertönt ein Warnsignal und mahnt zu einer Pause oder einem Wechsel am Steuer. Auch wer sich beim Fahren gerne mit dem Handy oder Navi beschäftigt, lebt tendenziell gefährlich. »Mittels Eye Tracking kann man sehr gut nachweisen, wie die Wahrnehmung in unübersichtlichen Kurven ist oder wie stark Multimediasysteme oder Telefonieren am Steuer die Aufmerksamkeit beeinträchtigen«, sagt Usecon-Experte Peter
Strassl.

Das Projekt »Licht am Tag« wurde letztlich aufgrund einer Eye-Tracking-Studie gestoppt: Die Autofahrer zeigten sich bei guten Sichtverhältnissen von entgegenkommenden Fahrzeugen geblendet und dadurch abgelenkt.

Last modified onMontag, 13 Januar 2014 14:28
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