Auffangnetz für Pleitegeier
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Die Insolvenzrechtsnovelle bringt neue Chance für Sanierung. Die Doppelgleisigkeit von Konkurs und Ausgleich wird durch ein einheitliches Verfahren abgeschafft. Die Fortführung des Unternehmens soll damit erleichtert werden, die Stigmatisierung gestrauchelter Unternehmer endlich fallen.
Von Angela Heissenberger.
Es war eine schwere Geburt. Mit sechsmonatiger Verspätung konnten sich die Koalitionspartner schließlich doch auf ein einheitliches Insolvenzverfahren einigen. Unternehmen, die durch die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zuletzt in Bedrängnis geraten sind, wird dadurch eine neue Option geboten. Die Sanierung eines Betriebes soll erleichtert werden. Um Konkursverschleppungen künftig zu vermeiden, bietet das modifizierte Gesetz Anreize zur frühzeitigen Einleitung des Verfahrens. »Sanieren statt ruinieren« lautet das Motto.
Ein großer Wurf wurde es nicht, übrig blieb »ein Kompromiss, der Rechtssicherheit schafft«, so die Rechtsanwältin und Insolvenz-Expertin Susanne Fruhstorfer von der Kanzlei enwc. Die Regierung wappnet sich damit für die Nachwehen der Wirtschaftskrise: Der Kreditschutzverband von 1870 erwartet für heuer einen Anstieg der Insolvenzen um 12 Prozent gegenüber 2009.
Hemmschwelle senken
Bisher hatten zahlungsunfähige Unternehmer die Wahl zwischen Pest und Cholera. Bei einem Ausgleich mussten sie 40 Prozent der offenen Forderungen abgelten, was für die meisten Schuldner zu hoch war – im Vorjahr gab es unter 6.500 Insolvenzen nur 42 Ausgleichsverfahren. Für den Zwangsausgleich reichten 20 Prozent, dafür übernahm ein Masseverwalter die Kontrolle über die Firma. Der Konkurs wurde deshalb so lange wie möglich hinausgeschoben – mit dem Effekt, dass die Verbindlichkeiten vor dem endgültigen Kollaps explodierten.
»Drei Viertel der Anträge kommen zu spät«, sagt Fruhstorfer, »die meisten Unternehmer warten bis zum Schluss und dann ist nicht mehr genug da.« Die Hemmschwelle, das Verfahren selbst in Gang zu setzen und nicht zu warten, bis Gläubiger einen Konkursantrag stellen, soll durch das neue Gesetz gesenkt werden. Ob es gelingt, wird die Rechtspraxis zeigen.
Die nötigen Weichen wurden jedenfalls gestellt. Für den Kostenvorschuss des Insolvenzantrags (bis zu 4.000 Euro) werden ab nun nicht nur Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, sondern auch Mehrheitsgesellschafter verpflichtet. Durch diese Maßnahme soll die große Zahl an Konkursverfahren, die mangels Masse abgewiesen werden, reduziert werden. Diese ist seit Jahren ähnlich hoch wie die Zahl der eröffneten Insolvenzen. Eine Nichteröffnung des Verfahrens mangels kostendeckenden Vermögens hat keine strafrechtlichen Folgen, führt aber zum Entzug der Gewerbeberechtigung.
Ein Gesetz für alle
Wesentlichste Änderung der Novelle mit dem sperrigen Namen »Insolvenzrechtsänderungsgesetz« ist die Abschaffung der Doppelgleisigkeit von Konkurs und Ausgleich. Die Insolvenz eines Unternehmens wird künftig nur noch in einem Gesetz, der Insolvenzordnung, geregelt. Diese folgt der bisherigen Konkursordnung, die frühere Ausgleichsordnung wird zur Gänze aufgehoben.
Folgende drei Varianten stehen zur Wahl:
> Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung: Legt der Unternehmer vor Eröffnung des Verfahrens einen »qualifizierten Sanierungsplan« vor und garantiert eine Schuldenquote von 30 Prozent, kann das Unternehmen wie bisher bei einem Ausgleich (dafür war eine Quote von 40 Prozent erforderlich) weitergeführt werden.
> Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung: Diese Variante löst den bisherigen Zwangsausgleich ab. Erforderlich ist nach wie vor eine Mindestquote von 20 Prozent, die Aufsicht übernimmt ein Masseverwalter.
> Konkursverfahren: Dieser Fall tritt ein, wenn Gläubiger den Antrag stellen, kein Sanierungsplan beigelegt wird oder eine Fortführung des Unternehmens nicht gewünscht bzw. möglich ist. Eine Sanierung während des Verfahrens ist aber dennoch nicht ausgeschlossen. Scheitert hingegen eine Sanierung nach einer der beiden erstgenannten Varianten, wird ohne zeitliche Verzögerung in das Konkursverfahren gewechselt.
Mit der übersichtlicheren Verfahrensstruktur soll die Abwicklung vereinfacht und beschleunigt werden. Verzögerungen durch Anschlusskonkurse fallen weg.
Neu sind auch die Bezeichnungen: Das Stigma eines »Konkurses« soll auch begrifflich aus den Köpfen verbannt werden. Statt dessen ist nur noch von Sanierungsverfahren, Insolvenzverfahren etc. die Rede. Ist der Sanierungsplan vollständig erfüllt, kann der Vermerk aus der Insolvenzdatei und dem Firmenbuch gelöscht werden. Der Schuldner kann unbelastet einen Neubeginn wagen.
Eine gute Vorbereitung des Verfahrens ist für die erfolgreiche Rettung des Unternehmens entscheidend. Der für die Eigenverwaltung geforderte Sanierungsplan enthält ein genaues Vermögensverzeichnis, einen Status der Aktiva und Passiva sowie einen Finanzplan für die folgenden 90 Tage nach Verfahrenseröffnung. Außerdem sind Angaben über die Aufbringung der Mittel, die Anzahl der Beschäftigten und sonstige Reorganisations- und Finanzierungsmaßnahmen erforderlich. Im Wesentlichen entsprechen die Bestimmungen aber der bisherigen Ausgleichsordnung.
Leichter und schneller
Die Rahmenbedingungen des Sanierungsverfahrens werden zum Teil erheblich erleichtert. Mussten bisher 75 Prozent der Gläubiger dem Antrag zustimmen, reicht nun die einfache (Kapital-)Mehrheit. Das heißt: Jene anwesenden Gläubiger, die mehr als die Hälfte der Gesamtsumme der Forderungen repräsentieren, müssen zustimmen.
Auch der üblichen Praxis, in Konkurs befindlichen Unternehmern die laufenden Verträge umgehend zu kündigen, wird ein Riegel vorgeschoben. Das Kündigungsrecht und das Rücktrittsrecht wegen Zahlungsverzögerungen wird für maximal sechs Monate ausgesetzt, wenn dadurch die Fortführung des Unternehmens gefährdet sein könnte. Bisher hatten insbesondere Vermieter, Leasinggesellschaften und Energieversorger – abgesichert durch entsprechende Klauseln in den Verträgen – die weitere Geschäftstätigkeit und damit die Sanierung des Betriebes meist verhindert. Bei Kleingewerbetreibenden fallen zudem unbedingt notwendige Betriebsmittel nicht in die Konkursmasse. Der Massagetisch eines Masseurs beispielsweise muss weiter zur Verfügung stehen.
Neu ist eine Frist von fünf Tagen, innerhalb derer ein Insolvenzverwalter entscheiden muss, ob bestimmte Sachleistungen noch erbracht werden. Damit ist sichergestellt, dass Geschäftspartner rasch Klarheit über offene Verträge erhalten, also etwa ob der Schuldner die Bautätigkeiten noch fertigstellt. Nach Meinung von Experten könnte dieser Zeitraum für die Begutachtung komplexer Verträge allerdings zu kurz bemessen sein
Eine weitere Fristverlängerung betrifft die Absonderungssperre von 90 Tagen, die auf sechs Monate ausgedehnt wird. Demnach ist die Auflösung von Verträgen mit insolventen Unternehmen für sechs Monate ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich. Diese Sperre entfällt nur dann, wenn dem Gläubiger selbst ein »schwerer persönlicher oder wirtschaftlicher Nachteil«, also etwa ebenfalls Zahlungsunfähigkeit droht. In der Praxis könnte jedoch diese Regelung zum Bumerang für das strauchelnde Unternehmen werden: Das Risiko, den Vertrag im Fall einer Insolvenz ein halbes Jahr nicht lösen zu können, ist groß. Auftraggeber werden daher anderen Firmen den Vorzug geben, sobald Gerüchte über Zahlungsschwierigkeiten eines Unternehmens die Runde machen. Auch die Frist für die Fortführung eines Unternehmens – bisher ein Jahr – wurde verlängert. Der Masseverwalter kann die Fortführung auf maximal drei Jahre ausdehnen, wenn dies dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger entspricht. Diese Möglichkeit besteht auch für Unternehmen, deren Verfahren bereits vor Inkrafttreten der Novelle anhängig war.
Interessenskonflikt
Eine andere neue Regelung sorgt wiederum bei den Gläubigerverbänden für Unmut: Unbezahlte Restforderungen dürfen nicht mehr zur Gänze wieder aufleben, wenn die vereinbarten Quoten nicht bezahlt werden. Damit wird »rechtlich klargestellt, dass die bisherige Praxis nicht mehr zulässig ist«, so Wirtschaftsanwältin Susanne Fruhstorfer.
Den Banken hingegen wurde ein Anfechtungsrecht bei misslungenen Sanierungskrediten eingeräumt, wenn ein Nachteil »objektiv vorhersehbar«, das Sanierungskonzept also offensichtlich untauglich war. An diesem Passus war der Beschluss des ersten Entwurfs im Herbst 2009 gescheitert. Fruhstorfer sieht darin »keine Bevorzugung der Banken, sondern eine Klarstellung der tatsächlichen Rechtsprechung«. Für Johannes Nejedlik, Geschäftsführer des Kreditschutzverbandes von 1870, bedeutet dieses Entgegenkommen jedoch eine klare Benachteiligung der Gläubiger: »Es ist schon immer wieder erstaunlich, wie leichtfertig der Gesetzgeber über die Interessen der unbesicherten Gläubiger – neben der öffentlichen Hand vor allem kleine und mittlere Unternehmen – drüberfahren darf.«
Unter diesem Aspekt ist das gesamte Gesetz eine heikle Gratwanderung zwischen den unterschiedlichen Interessen von insolventen Unternehmern und Gläubigern. Einerseits ist die Rettung sanierbarer Betriebe im Sinne der Volkswirtschaft, andererseits verzichten die Gläubiger auf mindestens 70 Prozent ihrer Forderungen. Diese Diskrepanz zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des Kündigungsrechts für Mietverträge: Der Unternehmer kann die Räume weiter nutzen, seine Erwerbsgrundlage für die Fortführung des Betriebes bleibt erhalten. Für den Vermieter verschlechtert sich die Situation jedoch drastisch, vor allem wenn die Sanierung doch scheitert. Dann gehen die über viele Monate angehäuften Mietrückstände verloren, dem Vermieter bleibt bestenfalls eine Quote.
Weiße Weste
Wer sich die Unannehmlichkeiten eines Insolvenzverfahrens ersparen möchte, sollte rechtzeitig die Notbremse ziehen. Eine frühe Möglichkeit dazu ist der außergerichtliche, sogenannte »stille« Ausgleich. Dabei verzichten die Gläubiger freiwillig auf einen Teil ihrer Forderungen. Wird die vereinbarte Zahlungsquote fristgerecht erfüllt, erlischt die Restschuld. Allerdings muss die Einigung noch vor oder spätestens 60 Tage nach Vorliegen der Insolvenz erfolgen.
Ein stiller Ausgleich wird rein privatrechtlich ohne Mitwirkung des Gerichts geschlossen, dadurch fallen auch keine zusätzlichen Verwaltungskosten an. Der Fall scheint nicht in der Insolvenzdatei auf, die Diskretion bleibt gewahrt. Zudem muss nicht allen Gläubigern die gleiche Quote geboten werden, sofern diese der Ungleichbehandlung zustimmen. Dem Neustart mit weißer Weste steht dann nichts mehr entgegen.