Menu
A+ A A-

Der ewige Zankapfel

»Linux ist langweilig geworden.« Nein, der Sager stammt nicht aus der PR-Abteilung eines proprietären Softwareherstellers. Vor ein paar Tagen erst hat sich Werner Knoblich, Europachef des amerikanischen Distributors Red Hat, auf der IT-Webseite silicon.de entsprechend geäußert. Langeweile kommt für Knoblich freilich nur deshalb auf, weil »Linux im Enterprise angekommen ist«. Auch die ewigen Foren-Grabenkämpfe zwischen Befürwortern und Gegnern haben sich schon mehr als abgenützt und sind zumeist nicht einmal mehr unterhaltsam. »Flamewars über Betriebssysteme sind ein Flashback. Das ist doch seit Jahren Geschichte«, sagt Microsoft-Manager Thomas Lutz. Dass Redmond-Boss Steve Ballmer seinerzeit Linux als kommunistisches Krebsgeschwür verunglimpfte, ist tatsächlich lange her. Dass der Amerikaner Ballmer und seine bisweilen extrovertierten Auftritte in Europa ein kulturelles Missverständnis auslösen, ebenso. Der Konzern hat mittlerweile so etwas wie eine Kehrtwende vollzogen. Jetzt ist Pragmatismus angesagt.

»Wir sehen, dass der Markt auch OSS mittlerweile sachlich einordnet«, so Lutz. Ganz fad ist Open Source und das Spannungsfeld zu Microsoft deswegen auch nicht geworden. Ballmer wetterte erst kürzlich wieder gegen Patentverletzungen im Linux-Kernel, eine Behauptung, die freilich erneut nicht mit Fakten untermauert wurde. Wenn Microsoft seine Interessen vertritt, ist immer auch Politik im Spiel. Die jüngsten Vorgänge um die ISO-Zertifizierung des hauseigenen Office-Formates OOXML lösten mediales Echo aus und legten das altehrwürdige Standardisierungsgremium beinahe lahm. Gepokert wird auf höchster Ebene. Laut Medienberichten teilte Bill Gates vor zwei Jahren dem dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen seinen Unmut über den Fortgang der Patentierbarkeit von Software in Europa mit und drohte durch die Blume mit dem Abzug von Entwicklern. Ein Jahr davor setzte es Schelte für die malaysische Regierung. Diese hatte einen Masterplan angekündigt, der die Behörden verpflichtet, auf Open Source zu setzen. Wenn Bill Gates reist, wird er von Politikern hofiert wie ein Staatsgast, im kleinen österreich genauso wie im Riesenreich China. Aber Gates ist nicht der Gründer irgendeiner Softwarefirma und ziemlich reich, er ist auch eine lebende Legende - und indirekt Herr über die IT-Infrastruktur des Globus. Das muss nicht immer so bleiben. Auch wenn die Marktdominanz der Redmonder ungebrochen ist, hat Open Source als potenzieller Konkurrent ein Bein in der Tür.

OSS ist tatsächlich »im Enterprise angekommen«. Laut der letzten einschlägigen EU-Studie (siehe Kas­ten) nutzen bereits knapp drei Viertel aller europäischen Industriezweige offene Software, ein beträchtlicher Prozentsatz evaluiert einen Einsatz ernsthaft.

Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Studie billigt OSS beträchtliches Potenzial zu. Europa wird, etwas überraschend, sogar als führende Region der Welt ausgemacht, wenn es um vernetzte Open-Source-Entwicklung geht. Der verstärk­te Einsatz offener Software soll wahre Wunderdinge bewirken. Einsparungen im Bereich Forschung und Entwicklung stehen Steigerungen im Bruttosozialprodukt gegenüber. Mehr oder weniger unverhohlen wird der Einsatz von OSS auch gepriesen, um die proprietäre amerikanische Marktdominanz wenn schon nicht zu brechen, so doch wenigs­tens abzuschwächen. Die Einschätzung durch die rosarote Brille findet nicht nur ungeteilte Zustimmung. »Die Studie hat einen methodischen Haken. Unter der gleichen Annahme von positiven Wachstumseffekten würde proprietäre Software wahrscheinlich ähnlich gut abschneiden«, sagt der Volkswirtschaftler Gottfried Haber. Der Klagenfurter Professor und Mehrfachakademiker hat als Leiter des Wiener METIS-Institutes auch die umfangreichste Studie zum heimischen Softwaremarkt erstellt. »In Deutschland oder Skandinavien passiert am Sektor Open Source mehr als in österreich«, so Haber. Der Wissenschaftler billigt proprietärer Software generell einen höheren Wertschöpfungsanteil zu als OSS, wobei dieser Mehrbeitrag zum BIP hierzulande überproportional höher sei als anderswo. An Kategorien wie »besser« liegt das freilich nicht. Etablierte Standardprodukte üben über die nachgelagerten Dienstleis­ter einen größeren Sog- und Netzwerkeffekt aus, wie er bei Open Source nur in Teilbereichen wie etwa dem Webserver Apache spürbar ist. Die »Disziplinierung eines Monopolisten« hält Haber übrigens für »wünschenswert« und ortet sowohl bei proprietärer wie freier Software ein Marktversagen.

Für einfache Schwarz-Weißzeichnungen ist der Professor nicht zu haben. Gerade bei Software hätten die Volkswirtschaftler die »Wahl zwischen Pest und Cholera«. Einerseits steigt mit umfassender Verbreitung eines Standardproduktes der Nutzen, den der Markt stiften kann. Die Kehrseite ist ein ineffizienter Markt mit zu wenigen potenten Teilnehmern. »Ein Monopol will niemand. Aber wer will in der Praxis schon 100 unterschiedliche Betriebssys­teme?«, so Habers Resümee. Dass es mit dem Netzwerkeffekt rund um Open Source in österreich nicht zum Besten bestellt ist, sagen auch Stimmen aus dem Markt.

Nachzügler österreich. Novell-Chef Peter Latzenhofer diagnostiziert beispielsweise, dass er kein Rechenzentrum kenne, das nicht irgendwo Linux einsetze. Mit dem Marktumfeld ist er, trotz eigener jährlicher Linux-Steigerungsraten von 100 Prozent, nicht zufrieden. »In österreich schläft der Fachhandel und der Systembereich. Wie eh und je verkaufen die Berater nur Microsoft-Lösungen«, so Latzenhofer. Das liege auch daran, dass Fachleute fehlen. »Wenn der Zug erst einmal fährt, werden alle wie Lemminge aufspringen«, prophezeit der Novell-Boss. Die Partnerschaft mit Microsoft beurteilt Latzenhofer als Türöffner, der neue Möglichkeiten schafft. Als Beispiel nennt er BMW, wo Novell 2.000 Server auf Basis von XEN virtualisiert, oder das österreichische Siemens-Rechenzentrum, das mehr als 100 Server auf die Suse-Enterprise-Lösung migriert.

Dass österreich nicht die Speerspitze des OSS-Business ist, meint auch Klaus Veselko: »Open Source setzt sich in der Praxis noch nicht wirklich durch«, so der Vorstand des Verbandes der österreichischen Softwareindustrie (VöSI). Wirklich schlimm sei das nicht. »Die Vorreiter müssen sich noch die Hörner abstoßen. österreich hinkt hier auch nicht weiter hinterher als bei anderen Themen«, so Veselko lapidar. Ein Wettstreit zwischen Gut und Böse oder Billig und Teuer ist OSS, abseits von obskuren Forenbeiträgen der jeweiligen Verfechter und Gegner, schon länger nicht mehr. Eher ein Wettstreit zwischen verschiedenen Geschäftsmodellen und deren nüchtern kalkuliertem Nutzen. »Open Source ist mir zwar persönlich wichtig, die kommerzielle Bedeutung ist für unsere Kunden aber derzeit sehr gering«, sagt Richard Dippelreither, Vorstand für Software und Services beim Mittelstandsplatzhirsch Data Systems Austria. Man stehe für Kontinuität und werde den Kunden nichts aufdrängen, sondern wie seit 60 Jahren Firmengeschichte deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Dippelreither ortet aber auch ein gestiegenes Interesse an Anbindungen an offene Datenbanken wie MySQL. Gerüstet ist die Data Systems für alle Fälle. Das hauseigene Entwicklungs-Framework ist schon heute nicht nur auf Microsofts .NET, sondern auch auf Mono abgestimmt und damit über Betriebssystemgrenzen hinweg portabel. Dippelreither hegt, wie viele andere technikaffine Kollegen, durchaus gewisse Sympathien für Open Source.

Peter Kotauczek, Beko-Gründer und VöSI-Präsident, nennt das die »Divergenz zwischen Kopf und Seele«. Aber was letztendlich zählt, sind nackte Zahlen und ein gesunder Pragmatismus. Der irrationale Hype ist vorbei. Insofern sind Linux & Co tatsächlich im Markt angekommen. Und fast schon langweilig geworden.

back to top