»Wollen, dass die Zivilgesellschaft aufwacht«
- Written by Martin Szelgrad
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Über 200 Projekte, 1.000 Investoren und mehr als eine Viertelmillion Euro. Die Plattform Respekt.net möchte die Zivilgesellschaft in Österreich nachhaltig ändern.
Korrupte Politiker, Parteienwirtschaft über undurchsichtige Firmengeflechte, die populistische Ausgrenzung von Minderheiten – fast könnte man meinen, dass die herrschende Parteienlandschaft Österreichs zeitweise der einer sprichwörtlichen Bananenrepublik gleicht. Ein Untersuchungsausschuss gilt derzeit als Prüfstein für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit in der Politik. Es ist eine Inszenierung, der angesichts der Blockadementalität der herrschenden Parteien das Scheitern droht. Doch sollten Themen wie moralischer Anstand und soziales Engagement, so meinen viele, nicht der politischen Kaste überlassen werden. Positive Gegenbewegungen in der Bevölkerung dazu sind zu spüren.
Die Ärmel hochkrempeln und selbst anpacken ist das Motto bei Respekt.net. Vor eineinhalb Jahren gegründet, machte sich ein Team um Vereinsgründer Martin Winkler und Maria Baumgartner auf, kreative Ideen zur Verbesserung der Gesellschaft zu unterstützen. In der Tradition von Crowdfunding-Plattformen wie kickstarter.com oder betterplace.org werden Projekte durch die Community gefördert, unterstützt und so überhaupt erst ermöglicht. »Es gibt aufgrund der Geschichte Österreichs hierzulande kein ausgeprägtes Gedankengut in der Zivilgesellschaft, sich zu engagieren«, setzt Maria Baumgartner bewusst auf eine Nische, die nun nachhaltig erweitert werden soll. So wurde Ende 2011 das Projekt »Meine Abgeordneten« über das Onlineportal Respekt.net ins Leben gerufen und in einer ersten Finanzierungsrunde von gut 300 privaten Investoren mit mehr als 30.000 Euro unterstützt. In dem Projekt werden Nationalratsabgeordnete mit beruflichen Eckdaten, ihren parlamentarischen Aktivitäten und Nebeneinkünften transparent für Medien und Bürger dargestellt. »Das öffentliche Interesse an den Rechercheergebnissen ist sehr groß«, bestätigt Baumgartner. Künftig soll auch das Abstimmungsverhalten der einzelnen Politiker aufgezeigt werden. Auch wenn dieses derzeit noch nicht in den Parlamentsprotokollen erfasst wird. »Dazu müssen wir uns noch etwas überlegen«, heißt es schlichtweg bei Respekt.net. Weitere ähnliche Ideen schwirren dort ebenfalls bereits herum, etwa eine Datenbank mit Infos zur Verwendung von Steuergeldern. Das Projekt »Mein OE« wiederum setzt auf das aktuell laufende Demokratievolksbegehren. Dessen zentrale Forderung: ein direktes Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung bei politischen Entscheidungen.
»Alleine das Interesse an Meine Abgeordneten zeigt, dass eine derartige Plattform in Österreich mehr als überfällig war«, ist Baumgartner überzeugt. Mit Hilfe der IT können nun gesellschaftspolitische Initiatoren mit Spendern, Sponsoren und Investoren kurzgeschlossen werden. Ab einem Betrag von zehn Euro ist man bei der Umsetzung dabei. »Als Plattform für die Zivilgesellschaft und NGOs wollen wir ein Umfeld schaffen, in dem Projekte schnell und einfach Unterstützung finden«, bekräftigt sie. Eigene Projekt-Scouts unterstützen auch bei der inhaltlichen Aufbereitung und Formulierung der Beschreibungen auf der Plattform und prüfen auf Durchführbarkeit.
Einer Untersuchung des Marktforschers Meinungsraum zufolge sind 98 % der heimischen Bevölkerung überzeugt, dass die wichtigsten politischen Themen derzeit nicht zufriedenstellend angegangen werden. An erster Stelle der ungelösten Probleme wird das Thema Migration gesehen, gefolgt von Korruption. Dahinter folgen Gewalt und Bildungsthemen. Viele Menschen sind bereits in den unterschiedlichsten Vereinen organisiert und auch bereit, sich weiter zu engagieren – mit einer Voraussetzung: Es muss einfach gehen, heißt es. »Die meisten haben ein Zeitproblem, sind aber bereit, für einen guten Zweck 50 bis 100 Euro jährlich auszugeben.« Auch andere Formen der Unterstützung, wie das Spenden von Zeit und Know-how, sind bei den Projekten gefragt – Rechtsberatung beispielsweise, das aktivistische Mitwirken oder Mitarbeit bei der PR-Arbeit. Wird ein Projekt tatsächlich finanziert, behält sich die Respekt.net-Betriebsgesellschaft eine Abwicklungsgebühr von 9,84 Prozent ein. So soll auf lange Sicht der Betrieb der Projektbörse autonom gewährleistet werden.
>> Mehr als eine Viertelmillion <<
Bis dato wurden über 200 Projekte in den unterschiedlichsten Größen betreut. Gut 80 davon sind bereits voll finanziert. Insgesamt wurden seit September 2010 mehr als 250.000 Euro investiert – von über 1.000 verschiedenen Personen. Das bislang größte Respekt.net-Projekt ermöglicht zwei ehemaligen unschuldigen Guantanamo-Häftlingen ein Neustart in Bosnien. Die beiden waren sieben Jahre in Gefangenschaft, deren Stigmatisierung setzte sich danach auch in Freiheit fort. Um wirtschaftlich Fuß fassen zu können, wurden 22.150 Euro für die Gründung eines Copyshops gesammelt. Der Verein unterstützt auch vor Ort mit einem fundierten Businessplan und einer regelmäßigen Betriebsprüfung. »Wie wir vor kurzem erfahren haben, wollen die beiden ihren Shop ›Respekt‹ nennen«, lächelt Baumgartner. Der Staat Österreich hatte trotz ursprünglicher Zusagen zu keinem Zeitpunkt Guantanamo-Insassen aufgenommen. Das Projekt bot Österreichern die Chance, trotzdem zu helfen. Eine weitere unterstützte Initiative ist das »Oma/Opa-Projekt«, eine Initiative für die Vermittlung von Lernhilfe für Volksschulkinder mit Migrationshintergrund. Freiwillige lernen mit Kindern mit Sprachdefiziten – es ist ein Projekt, das ebenfalls gut ankommt. Senioren finden auf diese Weise wieder eine sinnvolle Beschäftigung, Kinder können ihre Deutschkenntnisse in einem pädagogisch geschützten Rahmen erweitern.
>> Unternehmenslösung <<
Und auch Firmen können als Unterstützer auftreten. Für Unternehmen wird eine
Extranet-Lösung geboten, in der Mitarbeiter zur Wahl eines beispielsweise thematisch geeigneten Projekts aufgerufen werden. Das Projekt mit den meisten Stimmen wird in Folge unterstützt. Es ist ein Engagement, mit dem sich viele im Unternehmen identifizieren können. Gerade im Umfeld zu Corporate-Social-Responsibility-Strategien von Unternehmen hofft der Verein nun auf zunehmende Kundenzahlen aus der Wirtschaft – ließe sich damit der Charity-Tradition vieler Firmen doch weitere gesellschaftspolitische Relevanz verleihen. Letztlich sind es aber nicht Firmen oder Promis, die bei den Projekten im Mittelpunkt stehen, betont die Respekt.net-Gründerin, »sondern eine mündige Zivilgesellschaft, unsere Community. Diese Projekte sind von Menschen für Menschen gemacht.«