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Zwischenrufe aus Übersee

Wie ein Europäer den Alltag an der US-amerikanischen Ostküste erlebt.

Keine Magier, nur Suchende

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Janet Yellen war in den vergangenen Jahren die mächtigste Frau der US-Wirtschaft. Die Chefin der amerikanischen Notenbank (FED) scheidet im Februar 2018 aus ihrem Amt und gibt sich bescheiden.

Sind Notenbanker sich selbst überschätzende Scharlatane oder Magier, die die Welt vor einer wirtschaftlichen Katastrophe gerettet haben? Das Verdikt ist nicht endgültig gesprochen, und folgt man Janet Yellen, der scheidenden FED-Chefin, dann sind sie weder noch, sondern eher Suchende, die trotz des angehäuften Wissens und des lebenslangen Lernens bestenfalls erahnen können, wie Wirtschaft wirklich funktioniert.

»Das Wichtigste ist, sich nie zu sicher zu sein und nie zu glauben, man hätte ein Monopol auf die Wahrheit«, gesteht Yellen bei einem Vortrag am 21. November an der Stern School of Business an der New York University. Befragt wurde sie im bis auf den letzten Platz gefüllten Auditorium von Mervyn King, dem ehemaligen Governor der Bank of England und Wirtschaftsprofessor, der unter anderem in Harvard und an der London School of Economics unterrichtet hat. Ein Gespräch von Notenbanker zu Notenbanker sozusagen, das die bescheidene Seite Janet Yellens offenbarte. Sie hat den Weg aus dem rauen Brooklyn an die Machthebel der Weltwirtschaft geschafft, dabei aber nicht ihre Erdung verloren.

Den Studenten empfiehlt sie, beim Durchlesen der Protokolle der FED-Sitzungen nach der Anmerkung »Gelächter« zu suchen. So werde nämlich aufgezeichnet, wenn gerade einer der Governors der Notenbank einen Witz erfolgreich zu Ende gebracht habe. Die Sitzungen der Währungswächter finden in historischem Ambiente statt und das verleihe »die Illusion, dass tatsächlich Weltbewegendes besprochen werde«, sagt Yellen. Aber mitunter sei erstaunlich trivial, was da die Kapazunder so von sich geben, obwohl sie wissen, dass alles aufgezeichnet wird und nach einer Abkühlzeit von fünf Jahren ans Licht der Öffentlichkeit gelangt.

Yellen hat in Brown studiert und wollte eigentlich Mathematikerin werden, ehe sie erkannte, dass Wirtschaftswissenschaften zur kühlen, analytischen Methodik auch das Soziale, Menschliche kombinieren – also der Frage nachgehen, was ein gelungenes Leben in einer entwickelten Gesellschaft ausmacht. Rein rechnerisch ist das nicht zu beantworten, es bleibt ein Mysterium, das seine Faszination nie verliert. Yellen ist mit dem Wirtschaftswissenschafter George Akerlof verheiratet und der gemeinsame Sohn ist – erraten – auch in diesem Feld tätig. »Er war dafür bestimmt«, berichtet Yellen, »und weil es in unserem Haushalt ein paar nicht wirtschaftsrelevante Themen gibt, allerdings nicht viele.«
Die Leidenschaft hat sich in ihrem Fall ausgezahlt, sie war Professorin in Berkeley und Harvard, Wirtschaftsberaterin unter Clinton und dann in der Notenbank, die sie 2014 zu ihrer Chefin machte. Das Erfolgsrezept: »Hart arbeiten und immer gut vorbereitet sein.«

Besser jedenfalls als die männlichen Kollegen, denn Frauen haben in der Wissenschaft einen enormen Nachteil gegenüber ihren männlichen Kollegen: Sie sind viel schlechter in Netzwerke integriert, während ihre Kollegen nach getaner Arbeit gemeinsam auf ein Bier gehen und diskutieren. »Frauen sind daher viel weniger oft bei gemeinsamen Arbeiten mit dabei, werden seltener Co-Autorinnen«, meint Yellen. »Dass nur rund 30 % der Wirtschaftsstudierenden Frauen sind, ist immer noch ein Armutzeugnis.« Dabei wäre die weibliche Perspektive so wichtig; sie könnte einen enormen Beitrag leisten, um die vielen Rätsel zu lösen. Das brennendste aktuell etwa: »Wie kann es sein, dass die Inflation so niedrig ist, obwohl wir fast Vollbeschäftigung haben?« Yellen hat jetzt, da sie aus dem Amt ausscheidet, auch kein Problem, mit den der FED zugeschriebenen Allmachtsfantasien aufzuräumen. »Wir wissen nicht, warum das so ist«, gesteht sie. Die Hüter der Weltwirtschaft sind auch nur Suchende. Keine Magier. Wie beruhigend.

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