Das vergangene Jahr war wahrlich kein »annus mirabilis« für Europa. Das britische Votum zum Brexit, ungelöste Probleme wie die Flüchtlingsfrage und ein amerikanischer Präsident, der sich als Best Buddy von Wladimir Putin und Nigel Farage outet. Kann es denn noch schlimmer werden?
Die Antwort lautet: ja. Geert Wilders könnte niederländischer Premier werden, Le Pen französische Präsidentin und die AfD stimmenstärkste Kraft im deutschen Bundestag. Doch dieses »Perfect Storm«-Szenario wollen wir vorerst nicht annehmen, da es in seiner Gesamtheit wohl wenig wahrscheinlich ist. Dennoch: Es gibt 2017 etliche Meilensteine, die für die Entwicklung Europas in den kommenden fünf bis zehn Jahren entscheidend sein werden:
>> Nationale Wahlen als europäischer Faktor <<
Es stehen Wahlen in wichtigen Staaten an: Niederlande, Frankreich, Deutschland und wahrscheinlich Italien. Österreich ist ebenfalls noch ein Kandidat.
Die Wahlen in den Niederlanden werden wohl noch einen Geert Wilders als großen Wahlgewinner mit sich bringen, was die europakritischen Kräfte in Europa wieder jubeln lässt. In Frankreich wird sich sehr viel um Marine Le Pen und ihren stilisierten »Kampf um die Nation« drehen. Wohlgemerkt tritt sie mit Fillon und Macron gegen zwei Kandidaten an, die implizit oder explizit pro-europäisch denken und handeln – und einen umfassenden Umbau Frankreichs ankündigen. In Deutschland schickt sich mit der AfD erstmals eine anti-europäische, rechtspopulistische Partei an, potenziell bis zu 20 oder gar mehr Prozent zu erzielen. Dies wäre eine Zäsur für das Nachkriegsdeutschland und sorgt schon jetzt dafür, dass sowohl SPD als auch CDU in ihrer Rhetorik und Positionierung deutlich nach rechts rücken, um Protestwähler noch abzufangen.
>> Deutsch-französischer Motor muss wieder auf Touren kommen <<
Die Wahlen in beiden Ländern machen es hoffentlich möglich: Es wird höchste Zeit, dass die wichtige Achse Deutschland – Frankreich wieder zum Leben erweckt wird. Sarkozy war Merkel hoffnungslos unterlegen und Hollande rückblickend betrachtet mehr ein Unfall der Geschichte denn ein wirkungsmächtiger Gestalter. Für ganz Europa ist es aber existentiell wichtig, dass im Elysée-Palast jemand werkt, der auf Augenhöhe mit seinem deutschen Gegenpart agiert und gegebenenfalls dort Aktionen setzt, wo Merkel bis dato zu zögerlich (oder falsch) handelt.
>> Brexit als harte Scheidung <<
Dieser Schulterschluss zwischen den beiden Ländern ist auch wichtig für eine starke Position in den Verhandlungen mit der britischen Regierung um die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Es steht außer Frage, dass die Union den Briten den Ausstieg so hart und schmerzvoll wie möglich gestalten muss. Nicht aus Revanche-Gelüsten, sondern um einen Dominoeffekt in anderen Staaten zu verhindern, da in weitere Folge die Existenzberechtigung der Union als solche infrage gestellt ist.
>> Über allem schwebt: Trump <<
Mit dem Ausscheiden der Briten verlässt auch ein wichtiger europäischer Akteur für das transatlantische Bündnis die Union. Wobei: Mit der Wahl Trumps ist dieses Bündnis und damit die Logik der Nachkriegsordnung endgültig passé. Europa liegt weit außerhalb der persönlichen »Landkarte seiner Interessen«. So gesehen zwingt Präsident Trump Europa Entscheidungen auf, die es möglicherweise schon längst hätte selbst treffen sollen, aber dazu bis dato nicht in der Lage war. Es ist ein wenig so, wie wenn der Vater seinen eigentlich schon erwachsenen Sohn aus dem elterlichen Haus wirft und ihm nachruft: »Werde erwachsen, sorge für dich selbst!« Somit ist Europa gezwungen, seine eigene militärische Sicherheit zu gewährleisten und seinen »Hinterhof«, sprich: den Nahen Osten und Osteuropa, aktiv zu stabilisieren. Europa wird sich eigenständig um eine Position gegenüber Putins Russland kümmern müssen und sich daran machen, sein eigenes Geld zu verdienen.Was bedeutet: im globalen Wettbewerb eigenständige Interessen zu formulieren und zu verfolgen. Mit anderen Worten: Trump mag möglicherweise jene »Bedrohung von außen« sein, die es oft benötigt, um nach innen die Reihen zu schließen. n
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