Die EZB hebt die „Strafzinsen“ für bei ihr geparkte Gelder von 0,4% auf 0,5% an. Darüber hinaus legt sie ihr Anleihenkaufprogramm wieder auf und verlängert die Laufzeit von „LTRO-III“-Krediten von zwei auf drei Jahre (siehe hier!).
Das hört sich alles wenig spektakulär an. Aber es ist das nicht zu überhörende Signal, dass die EZB einen nachhaltigen wirtschaftlichen Abschwung erwartet. Und da fällt ihr nichts anderes ein als die alten Rezepte wieder zu beleben. Schlimmer noch – jetzt wird der zeitliche Horizont, bis zu dem sie inkraft bleiben sollen, in etwa bis zum St.-Nimmerleins-Tag ausgedehnt.
Die großen Zentralbanken, allen voran die Fed, reagieren seit Mitte der 1980er Jahre auf jede Krise an den Finanzmärkten oder in der Wirtschaft mit Zinssenkungen, „vergessen“ aber, sie danach wieder hoch zu setzen. Das belohnt die Schuldner, insbesondere diejenigen, die wenig rentable Investitionen mit Krediten finanzieren. In einem funktionierenden Wirtschaftszyklus müssten diese eigentlich pleite gehen – die schöpferische Zerstörung à la Schumpeter.
Also explodierte die Verschuldung weltweit, in zunehmendem Maße wurden Kredite für unproduktive Zwecke eingesetzt, es wurden vorhandene Assets wie etwa Immobilien und Aktien gekauft. Auch wurde mehr und mehr der (private und staatliche) Konsum schuldenfinanziert, sowie die Spekulation. Je weiter der Verschuldungsgrad steigt, je tiefer müssen die Zinsen fallen, damit das ganze Schuldengebäude nicht implodiert.
Die Politik nahm den Trend dankbar auf. Statt etwa in Bildung und Ausbildung zu investieren, wurden immer mehr Wahlgeschenke, auch Sozialstaat genannt, auf Pump finanziert. Und die Wirtschaft als ganzes ist mittlerweile mehr damit beschäftigt, sich unter dem Deckmantel „Shareholder Value“ finanziell zu optimieren, als damit, massiv in Forschung und Entwicklung zu investieren.
Billiges Geld lässt die Spekulation als risikolos erscheinen, zudem hat sich spätestens seit „LTCM“ (1998) herumgesprochen, dass Finanzinstitute gerettet werden, wenn sie erst einmal eine System-relevante Größe erreicht haben („TBTF“ – too big to fail). Die Spekulation führt zu Assetpreis-Blasen an den Finanzmärkten. Wenn sie platzen, kommen über den hohen Verschuldungsgrad sehr schnell Real- und Finanzwirtschaft in Gefahr. In der Logik der Zentralbanken bedeutet das, dass dann die Geldschleusen noch weiter aufgerissen werden müssen.
Noch mehr billiges Geld führt zu noch mehr Schulden. Der Grenznutzen dieser Politik nimmt aber ab, d.h. die Maßnahmen müssen überproportional zunehmen. Letzten Endes ist hier eine exponentielle Entwicklung angelegt, die unhaltbar ist. Hinzu kommt, dass ein hoher Verschuldungsgrad ab einer bestimmten Schwelle kontraproktiv für das Wachstum ist (siehe z.B. hier!).
Immer mehr Unternehmen sind durch die Politik des billigen Geldes zu Zombies mutiert. Ohne nennenswerte Investitionen in neue Ideen/Produkte/Technologien halten sie sich mit Finanzkosmetik über Wasser. Da sie nicht vom Markt verschwinden, machen sie gesunden Unternehmen das Leben schwer. Die Misallokation von Kapital belastet Produktivität und Wachstum. Auch das Bankensystem kommt immer mehr unter Druck, die Gewinne sinken, die Bereitschaft und die Fähigkeit, Kredite an Unternehmen auszureichen, nehmen immer weiter ab. Dies wiederum wirkt sich unmittelbar dämpfend auf das Wachstum aus.
Frau Lagarde wird Draghi im November auf dem Chef-Sessel der EZB folgen. Sie stand bisher dem IWF vor, der seit längerem „innovative“ Ideen entwickelt, wie es mit der Geldpolitik weitergehen könnte. Da werden mal Vermögensabgaben vorgeschlagen, mal wird über die Besteuerung von Bargeldtransaktionen nachgedacht oder gleich das Verbot von Bargeld überlegt (siehe z.B. hier!).
Die japanische Zentralbank hat 2012 begonnen, nahezu alle neu aufgelegten japanischen Staatsanleihen zu kaufen, betreibt also direkte Staatsfinanzierung. Außerdem kauft sie seitdem Aktien, in der Regel über ETFs. Sieht man die japanische Wirtschaft durchstarten? Die Bank of Japan gibt in vielerlei Hinsicht die Blaupause für die Geldpolitik der großen Zentralbanken. Lagarde dürfte solchen Überlegungen gegenüber offen sein. Unterdessen hat sich auch US-Präsident Trump zu Wort gemeldet und fordert von der Fed, die Leitzinsen in den USA auf Null, wenn nicht gleich in den negativen Bereich zu senken.
Aber vielleicht klappt es ja doch noch mit der Inflation, dem systemkonformen Weg zur Entschuldung? Die EZB erwartet erst in 2021 wieder Preissteigerungen, die sich auf ihr Inflationsziel von 2% zubewegen. Hingegen ist die Rate der US-Kerninflation im August auf 2,4% gestiegen, so hoch wie seit elf Jahren nicht. Ein Datenpunkt macht noch keinen Trend…
Oder gelingt es, mit neuem nachhaltigen Wachstum aus der Schuldenmisere herauswachsen? Welche technologische Innovation hätte das Zeug dazu? Die Geschichte lehrt uns, dass Innovation auch unter ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weitergeht, manchmal sogar gerade dadurch beschleunigt wird.
Klar ist meiner Meinung nach: Die Zentralbanken haben angesichts des hohen Verschuldungsgrades, bzw. der niedrigen Zinsen, nur mehr sehr begrenzte Möglichkeiten, das Wachstum zu stimulieren. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass es hohe, nicht-bilanzierte Verpflichtungen gibt (etwa Pensionen oder sonstige Sozialleistungen). Gleichzeitig geht die Schere in der Verteilung von Einkommen und Wohlstand immer weiter auf, was zur sozialen Polarisierung führt.
Die soziale Polarisierung bekommt einerseits dadurch Futter, dass das schwache Wirtschaftswachstum verbunden mit der exorbitanten Verschuldung die Lebenssituation der unteren Einkommensschichten tangiert. Je geringer das jährlich erarbeitete Mehrprodukt der Gesellschaft ausfällt, je mehr verschärft sich der Verteilungskampf, dem wirtschaftlich schwächeren Teil der Bevölkerung wird ein immer geringerer Anteil daran zugestanden. Andererseits erodieren Wert und Ertrag von Sparguthaben mit der Politik des billigen Geldes real immer mehr. Und drittens landen die von den Zentralbanken für den Ankauf von Anleihen (…neu aufgelegtes EZB-Programm) gezahlten Beträge letztlich bei der wohlhabenden Oberschicht, was die ungleiche Vermögensverteilung unterstützt. (Über deren geringe Konsumquote fallen die damit verbundenen Nachfrage- und Wachstumseffekte entsprechend spärlich aus.)
Damit treffen schwache Wachstumsaussichten, zunehmende soziale Polarisierung und Unvermögen der Zentralbanken aufeinander. Auf der politischen Ebene führt die Polarisierung tendenziell zu Patt-Situationen, wenn nicht zu offen antidemokratischen Strömungen.
Ray Dalio, Bridgewater Associates, vergleicht die aktuelle Situation mit der der 1930er Jahre. Er bezieht den aktuellen äußeren Konflikt zwischen den USA und China ein, was damals der sich abzeichnende Weltkrieg mit den Achsenmächten Deutschland, Italien und Japan war.
Die aktuelle Lage deutet auch darauf hin, dass wir in einer Umbruchphase innerhalb der langen Wirtschaftszyklen von Kondratieff befinden. Die Merkmale der letzten Phase dieses Zyklus, dem „Winter“, passen: Der allgemeine Wohlstand sinkt, Wirtschaftsaktivitäten erlahmen, die Zinsen sind niedrig, die Preisentwicklung ist verhalten, es kommt zur Radikalisierung mit vermehrten politischen und militärischen Konflikten.
Was für Implikationen ergeben sich aus einer solchen Einschätzung? John Mauldin hat sich mit diesem Thema in seinen aktuellen „Thoughts from the Frontline“ befasst.
Ich werde darauf zurückkommen.