Nun haben die Befürworter eines Brexit die Mehrheit im gestrigen Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU errungen. Die Finanzmärkte wurden auf dem falschen Fuß erwischt – sie hatten seit einigen Tagen massiv darauf gewettet, dass das Land in der EU bleibt. Selbst die gewöhnlich gut informierten Akteure an den Forex-Märkten haben den Euro gegen Dollar sukzessive höher bewertet, das britische Pfund hatte deutliche Stärke aufgebaut.
Diese massive Schieflage wird nun rückabgewickelt, europäische Aktien sind stark unter Druck. Ebenso Euro und britisches Pfund, das heute Nacht zeitweilig auf ein 31-Jahres-Tief gegen Dollar fiel. Staatsanleihen sind stark gesucht, Gold ebenso.
So schief haben die Finanzmärkte vor wichtigen Ereignissen schon lange nicht mehr gelegen. Und das hat einen guten, nein, einen schlechten Grund. Die permanente Geldflut der Notenbanken hat die großen Akteure selbstzufrieden und sorglos werden lassen, genau wie Drogenabhängige, die mit dem nächsten „Schuss“ glücklich dahindämmern. Der „Disconnect“ an den Finanzmärkten zwischen Realität und Kursen kann kaum größer werden – die Notenbanken werden es schon richten, so stets die Erwartung. Die EZB hat erst vor einigen Tagen vom deutschen BVG einen Freibrief bekommen – und hat einen Tag später beschlossen, dass Griechen-Bonds nun wieder reguläre Sicherheiten sind zur Refinanzierung der Banken. Perverser geht es kaum.
Jetzt rennen die Berufspolitiker in Brüssel umeinander und schreien, England müsse bestraft werden. Den Briten müsse man in den Austrittsverhandlungen die rote Karte zeigen – Schluss mit Zugeständnissen. (Ich lach’ mich kapott…)
Wie ist jetzt der Gang der Dinge? Es werden Verhandlungen stattfinden, um die bestehenden Verträge rückabzuwickeln. Vorgesehen ist dafür eine Übergangszeit von (mindestens) zwei Jahren. Wer weiß, was in zwei Jahren ist – vielleicht beschließt dann ein neues britisches Parlament angesichts der Gefahr, dass sich Schottland und Nord-Irland von „Groß“-Britannien lossagen, das Gegenteil vom Ergebnis der heutigen Nacht. Merke: Die Mißachtung von Volksabstimmungen hat in Europa schon eine gewisse Tradition.
Selbst wenn das Brexit-Votum Bestand hat, bleibt es hinsichtlich der „Bestrafung“ beim Politiker-Geschwätz. Es ist ja kein großes Geheimnis, dass die deutsche Politik unter Merkels Führung in Europa die Interessen der deutschen exportorientierten Industrie und der einheimischen Banken vertritt. Und deren Interesse ist es mit Sicherheit nicht, hohe Handelshemmnisse in Richtung „Große Hallig“ aufzubauen. Natürlich hätte man nichts gegen solche in der umgekehrten Richtung, aber das wird nicht so einfach gehen. Also bleiben die Wirtschaftsbeziehungen im wesentlichen so, wie sie sind.
Wenn es die künftige britische Regierung gescheit einfädelt, könnte die britische Wirtschaft nach einer Schwächephase sogar gestärkt aus der Geschichte hervorgehen. Die Briten haben in den zurückliegenden Jahren Spezialisten in vielen Bereichen aus Polen, Estland und Lettland angezogen. Sie können ihren Arbeitsmarkt nun besser nach ihren lokalen Gegenheiten ausrichten. Mit der Flüchtlingsproblematik haben sie nichts mehr am Hut. Wenn einige Multis ihren europäischen Brückenkopf aus England wegverlegen, könnte die einheimische Wirtschaft dieses Vakuum füllen.
Wirtschaftlich bleiben die Auswirkungen also begrenzt. Ein Wirtschaftszweig wird mit Sicherheit besonders profitieren, die großen Rechtsanwaltskanzleien, die auf internationales Recht spezialisiert sind. Und vielleicht die Trauma-Psychologen in England, deren Kundschaft im Laufe der nächsten Jahre geschockt zur Kenntnis nehmen muss, dass auch der Brexit das schöne, alte britische Empire nicht zurückbringt.
Politisch sieht das ganz anders aus. Es sind in erster Linie politische Gründe, die zum Brexit geführt haben. Die zunehmend undemokratischere, bürokratische Veranstaltung in Brüssel zeigt jeden Tag mehr ihre Unfähigkeit, etwas Produktives für die Bürger Europas zu bewirken. Die Massen trauen dem politischen Establishment nicht mehr – das ist richtig. Sie vertrauen stattdessen Idioten – das ist falsch. In dieser Beziehung gibt es starke Parallelen zu dem, was im US-Präsidentschaftswahkampf abgeht. Insofern hat der Brexit einen übergreifenden Aspekt und deckt sich mit zahlreichen nationalistischen und separatistischen Strömungen in Europa.
Der Brexit ist Ausdruck der Krise der EU. Dass die Brüsseler Zentralregierung und die dahinter stehenden Regierungen europäischer Länder daraus die richtigen Schlüsse ziehen, ist unwahrscheinlich. Die einen sagen jetzt, man muss die Vereinheitlichungsbestrebungen verstärken, die anderen sagen, man muss dabei eine Pause machen. Am Ende wird so weiter gemacht wie bisher. Und eines Tages wird dieses morsche Gebilde auseinanderbrechen. Ob es an Altersschwäche dahindämmert oder durch Zentrifugalkräfte auseinanderfliegt, wird sich noch zeigen.
Das EU-Gebilde ist nicht reformierbar. Im politischen Trilemma zwischen Demokratie, nationaler Souveränität und Hyperglobalisierung hat sich die EU für nationale Souveränität und Hyperglobalisierung entschieden. Diese goldene Zwangsjacke führt letztlich aber dazu, dass die nationale Souveränität nur noch als hohle Form bestehen bleibt, weil alles dem Waren- und Geldverkehr zwischen den Mitgliedern unterworfen wird. Gleichzeitig haben die EU-Staaten längst die in den europäischen Verträgen festgelegte Schuldenschwelle gerissen. Das hat ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schuldner- und Kreditgeber-Ländern etabliert, das gleichberechtigte Handelsbeziehungen nicht zulässt und die nationale Souveränität der Schuldner untergräbt.
In einer solchen Konstellation bleiben Demokratie und Selbstbestimmungsrecht der Nationen auf der Strecke. Dies legte die Basis für den Brexit und begünstigt weitere nationalistische und separatistische Bestrebungen. Das ist nicht wünschenswert, weil die Gefahr besteht, dass es auf europäischen Boden erneut zu Konflikten kommt (lächerlicherweise bekam die EU vor einigen Jahren den Friedennobelpreis). Deutschland dürfte sich da besonderen Anfeindungen ausgesetzt sehen – schließlich ist es dieses Land, was den EU-Kurs maßgeblich bestimmt (und bisher besonders davon profitiert).
Was die Finanzmärkte angeht, so dürfte sich da alsbald herumsprechen, dass sich mit dem Brexit –so er denn letztlich überhaupt kommt- wirtschaftlich so gut wie nichts ändern wird. Wahrscheinlich, dass dann weitergemacht wird als wäre nichts gewesen, die Finanzmärkte fallen in ihre Selbstgefälligkeit in Bezug auf populistische Bewegungen in Europa und in den USA zurück. Vielleicht wird der Brexit aber auch zum Weckruf, der diese Attitüde erschüttert und die daraus folgende Stimmungseintrübung der großen Akteure angesichts der schwachen Verfassung der Weltwirtschaft relativ schnell beim Bürger in Form von Verlust von Jobs und Ersparnissen ankommen lässt. Noch halte ich die erste Reaktion für wahrscheinlicher.
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