Der S&P 500 reagierte auf die schlechten US-Arbeitsmarktdaten für Mai am 3. Juni zunächst mit einer heftigen Abwärtsreaktion, dann wurden die Tagestiefs aber rasch wieder gekauft. In den Folgetagen schaffte es der Index, bis 2119 zu steigen, 12 Punkte unter dem Allzeithoch auf Schlusskursbasis. Dann ging es nicht mehr weiter, der Index trat den Rückzug an und beendet die zurückliegende Woche mit einem Stand von 2096.
Vermutlich hatte die Erwartung für neue Kursphantasie gesorgt, dass es wegen der schlechten Arbeitsmarktdaten vor der Sommerpause zu keiner Leitzinserhöhung kommen wird (siehe hier!). Das reichte aber nicht für einen Ausbruch über das bisherige Allzeithoch. Es kam zu Gewinnmitnahmen, als Vorwand musste u.a. der Brexit herhalten – es wird befüchtet, dass die ohnehin schwache Weltwirtschaft einen davon ausgehenden Schock nicht verkraftet.
Vielfach wurde beschwichtigend argumentiert, die schwachen Arbeitsmarktdaten seien ein Ausreißer. Mag sein, allerdings wurde auch die Zahl der neuen Stellen im Vormonat deutlich nach unten revidiert. Man kann angesichts des aktuell ins siebte Jahr gehenen Konjunkturzyklus mit ziemlicher Gewissheit sagen, dass sich die US-Wirtschaft eher am Ende, als am Anfang des Zyklus befindet. Der folgende Chart versucht, die Geschäftszyklen im Finanz- und im nicht-Finanzbereich zu modellieren. Danach zeigt sich, dass das Hoch in der Finanzindustrie Anfang 2013 überschritten war, im nicht-Finanzbereich lag der Punkt zwei Jahre später.
Wenn ein Konjunkturzyklus zu Ende geht, ist das nicht per se ein Beinbruch und auch nicht das Ende der Welt, so wie wir sie kennen. Aber angesichts der anhaltenden Geldflut, bzw. der Niedrigzinsen der zurückliegenden Jahre gibt es kaum Raum für eine antizyklische Geldpolitik und auch nur begrenzten Aktionsspielraum auf staatlicher Seite. Das macht das besondere Risiko der aktuellen Situation aus. Eine Versteilerung der Renditestruktur ist da nicht zu erwarten, eher eine Abflachung. Die Spreads zwischen der 30-jährigen, bzw. der zehn-jährigen und jeweils der drei-monatigen Rendite (blaue, bzw. türkise Linie) hatten Mitte 2015 ihr Hoch ausgebildet, in engem zeitlichen Zusammenhang zum ATH des S&P 500. Der Spread zwischen den beiden langen Renditen (gelbe Linie) ist seitdem kaum verändert, die beiden anderen Spreads schienen seit Mitte Februar eine volatile Seitwärtsorientierung auszubilden.
Die Arbeitsmarktdaten für Mai sind ein weiterer Hinweis darauf, dass das Wirtschaftswachstum aktuell gerade noch für ein Dahingleiten reicht. Viel darf nicht passieren, sinkt es, droht eine Kettenreaktion, ausgelöst v.a. von faulen Krediten. Der Spread der Hi-yield-Renditen zur zehnjährigen TNote-Rendite hat zwar zuletzt abgenommen, befindet sich jedoch mit 5,9% weiterhin klar über dem Warnpegel bei etwa fünf Prozent und nicht weit unter der Alarmzone bei 6,5 bis 7,0%. Das ist ein klares Zeichen, dafür, dass die Situation im Kreditbereich weiter angespannt ist.
Arbeitsmarktdaten sind stets ein nachlaufender Indikator. Unternehmen werden eher später als früher Arbeitskräfte entlassen, schließlich sind sie eingearbeitet. Arbeitskräfte finden und sie dann zu trainieren, war teuer, Entlassungen sind es auch. Entlässt man vorschnell, muss man erneut Geld ausgeben, bis man die Lücke wieder geschlossen hat. Das führt dazu, dass der Aufbau neuer Stellen auch in der konjunkturellen Spätphase noch weitergeht und demzufolge bewegt sich auch die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung dann noch auf niedrigem Niveau.
Diese Situation führt früher oder später zu höheren Löhnen – eine Entwicklung, die wir gerade sehen. Das wiederum dämpft die Schaffung neuer Stellen. In einer solchen Situation kommt es darauf an, wie sich die Effekte aus höheren Löhnen und aus einer langsamer steigenden Zahl neu eingestellter Werktätigen ausbalancieren. Dies gilt umso mehr dann, wenn das Wirtschaftswachstum, wie aktuell, schwach ist.
Der folgende Chart zeigt die Entwicklung der Kapazitätsauslastung und die Lohnkosten der US-Industrie im Jahresvergleich. Seit Mitte 2015 nimmt die Kapazitätsauslastung ab, der Lohnkosten-Indikator (hier als Produkt aus Wochenlöhnen und Arbeitsplätzen) nimmt zu. Aus der Vergangenheit lässt sich ableiten, dass auf eine Abnahme der Kapazitätsauslastung (=steigende Kosten wegen Stillstand) stets recht bald eine Rezession folgte. Die Lohnkosten erreichten in der Regel weniger als ein Jahr vor Rezessionsbeginn ein lokales Maximum. Eine konjunkturelle Belebung (nach Ende einer Rezession) ist gekennzeichnet durch zunehmende Kapazitätauslastung und steigenden Lohnkosten-Indikator, eine konjukturelle Spätphase ist erreicht, wenn die Kapazitätsauslastung abnimmt und die Lohnkosten stabil hoch sind. Diese Situation ist aktuell eindeutig gegeben, zudem zählt der laufende Zyklus mit zu den längsten seit 50 Jahren.
John Maynard Keynes hat einmal gesagt: „Der Markt kann länger irrational sein als man solvent bleiben kann.“ Will sagen, klare Anzeichen für eine konjunkturelle Spätphase sind noch keine Garantie dafür, dass die Finanzmärkte darauf rational reagieren. Das würde insbesondere für Aktienkurse bedeuten, dass Zykliker besonders deutlich verlieren, wohingegen defensive Werte aus den Sektoren Basiskonsumgüter, Versorger, Telekommunikation und Gesundheitswesen relative Stabilität zeigen. Insgesamt dürfte eine rationale Reaktion auch bedeuten, dass kleinere Aktien mit relativer Schwäche laufen. Denn große Werte sind aufgrund ihrer Liquidität für große Anleger besser zu managen, ein Rückzug aus Aktien insgesamt geschieht bei großen Werten mit geringerer Volatilität und meist auch mit geringeren Verlusten. Damit ist eine abnehmende Marktbreite ein ernst zu nehmendes Indiz für eine zunehmend defensive Haltung großer Anleger.
Solche Indizien lassen sich bisher noch nicht ausmachen – zumindest nicht in dem Ausmaß, das man sie als für die längerfristige Entwicklung signifikant ansehen muss.
Trotzdem Vorsicht: Stellt man die Kursentwicklung eines ETFs auf amerikanische „SmallCaps“ einem auf „LargeCaps“ gegenüber, so zeigt sich, dass wir zwischen Anfang Juli 2015 (also nach dem ATH im S&P 500) und April eine Phase mit deutlicher relativer Stärke von „LargeCaps“ hatten. Seitdem entwickeln sind „SmallCaps“ wieder besser. Momentan spricht noch nichts dafür, dass diese Phase zu Ende geht. Sollte dies jedoch bald der Fall sein, wäre das ein Signal, dass die gering kapitalisierten Werte es nicht geschaft haben, übergeordnet auch nur annähernd zu alter Stärke zurückzufinden, denn dazu müssten sie wieder in den Bereich des letzten Hochs der roten Kurve im zweiten Quartal 2015 zurückfinden. Das wiederum würde wahrscheinlich den nächsten Schub in hoch kapitalisierte Aktien auslösen. Auch das muss nicht zwingend gleichbedeutend sein mit einem breit angelegten Kurssturz etwa im S&P 500, würde aber die Tendenz in große, defensive Aktien weiter verstärken und damit die strukturelle Schwäche bei Aktien ausweiten. Je geringer die Marktbreite ist, d.h. je weniger Aktien bei einer Kursbewegung in einem Index beteiligt sind, umso anfälliger wird er sich präsentieren und umso volatiler dürfte er sich entwickeln. Damit würde ein Investment in Aktien immer riskanter und „Risk-off“ wäre immer mehr angesagt.
Zum Schluss ein Blick auf den Verlauf des S&P 500. Der Index hat die Hochs aus Anfang November und Anfang Dezember in der zurückliegenden Woche toppen können – das ist mäßig bullisch zu werten. Kurzfristig kommt es darauf an, dass die vom ATH her kommende leicht abwärts verlaufende Linie bei aktuell 2076 respektiert wird. Auch ein Rückzug bis 2040 oder auch noch bis in den Bereich 2010 bliebe im Rahmen. Darunter aber steigt die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Tests der braun markierten Unterseite des Aufwärtskanals aus 2009. Die Auswertung des VIX, Angst-Messer an Wall Street, lässt erwarten, dass kurzfristig noch schwächere Kurse folgen.
Der S&P 500 hat vorerst kein neues ATH erreicht. Kurzfristig dürften weitere Gewinnmitnahmen dominieren. Entscheidend ist, dass sich die Marktbreite nicht so bald wieder verengt. Geschieht dies dürfte eine deutlich defensivere Ausrichtung anzuraten sein.
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