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Nach FOMC: Liquidität und Wachstum im Fokus

Die Fed hat die Leitzinsen unverändert gelassen und das mit dem schwachen globalen Wirtschaftswachstum, der Volatilität an den Finanzmärkten und der niedrigen Inflation begründet. Ausdrücklich wird auch auf China Bezug genommen. Zugleich hat sie ihre Erwartung hinsichtlich BIP-Wachstum im laufenden Jahr gegenüber ihrer Juni-Projektion um 0,2% auf 2,1% hochgeschraubt, für 2016 allerdings um 0,2% auf 2,3% zurückgenommen.

Angesichts der Tatsache, dass die Wachstumsprojektionen der Fed in den zurückliegenden Jahren durchweg zu hoch lagen, verheißt das alles andere, nur kein solides Wachstum. Zudem wurden die Inflationserwartungen gegenüber der Juni-Projektion revidiert. Die PCE-Inflation soll in 2015 nun lediglich auf 0,3% bis 0,5% kommen (Juni: 0,6% bis 0,8%). In 2016 wird sie bei 1,5% bis 1,8% gesehen. Die stärker beachtete PCE-Inflation ohne Lebensmittel und Energie soll 2015 auf 1,3% bis 1,4% kommen (unverändert gegen Juni, aktuell 1,24%). Für 2016 wird mit 1,5% bis 1,8% gerechnet, 0,1% weniger als im Juni erwartet. Die Arbeitslosenquote soll etwas stärker sinken als im Juni erwartet. 2016 soll sie nun 4,7% bis 4,9% erreichen.

Auf der Grundlage dieses Gesamtbilds sieht die Mehrheit der Beobachter die Nicht-Zinsentscheidung als gerechtfertigt an. Selbst für Dezember liegt die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung nach Fed Funds Futures gerechnet nun bei deutlich unter 50%. Zuvor lag sie klar darüber.

 

Überraschend äußerte das scheidende FOMC-Mitglied Kocherlakota, noch in 2015 hauptsächlich wegen des schwachen Inflationsausblicks negative Leitzinsen sehen zu wollen. Fed-Chefin Yellen sagte dazu, negative Zinsen seien nicht ernsthaft in Betracht gezogen worden, sie schloss sie aber auch nicht grundsätzlich aus. Langfristig, ab 2018, wird der Leitzins von den FOMC-Mitgliedern mehrheitlich bei 3,5% gesehen, im Juni glaubte man noch an 3,75%. Für 2015 liegt die Erwartung nun bei 0,375% nach 0,625% im Juni. Also gibt es in diesem Jahr wohl keinen Zinsschritt…

Die Aktienmärkte waren vor Bekanntgabe des FOMC-Ergebnisses deutlich angestiegen und schlossen dann leicht im Minus, der S&P 500 knapp oberhalb seiner Tradingrange 1987/1910. Am Folgetag kam Verkaufsdruck auf, der S&P 500 verlor 1,6%. Euro/Dollar gab fast die gesamten Vortagesgewinne wieder ab, die Ölpreise stürzten ab. Gold konnte noch etwas weiter zulegen. Die Rendite der zehnjährigen US-TNotes war am Tag vor der FOMC-Entscheidung mit 2,30% so hoch gestiegen wie seit dem 23. Juli nicht, per gestrigem Schlusskurs liegt sie mit 2,13% über sieben Prozent tiefer.

Von den üblichen Verdächtigen an den Finanzmärkten hatte kaum jemand erwartet, dass die Fed die Zinsen jetzt anhebt. Die Reaktion an den Finanzmärkten könnte man daher als „sell the news“ einordnen. Der große Verfallstag gestern mag das Bild verzerrt haben, aber ich interpretiere die Reaktion so: Die Fed hat (mit weich gespülten Worten [1]) gesagt, „Jungs (und Mädels), es sieht nicht gut aus mit unserer schönen Wirtschaft!“ Das ist zwar an sich nichts Neues, auch wenn die Volkswirte großer Banken oftmals nach außen in Zweckoptimismus machen, schließlich sitzen sie auf Tonnen von Aktien, die noch raus müssen. Aber jetzt ist es quasi „offiziell“ und man kann das Urteil einer solchen „Autorität“ überall in der Zeitung lesen. Da wird lieber erstmal schnell verkauft.

Und erneut nach China geblickt: Der Rückgang des chinesischen Wachstums, manche sehen es auf vier Prozent sinken, drückt über verschiedene Wege auf die ohnehin nicht gerade vor Wachstum sprühende Weltwirtschaft. Sinkende Importe trifft die Rohstoff- und Autoexporteure, Brasilien, Chile, Südafrika und Russland sind bereits schwer angeschlagen. Auch andere Schwellenländer sind in Mitleidenschaft gezogen worden – durch Kapitalabflüsse und knappere globale Liquidität.

Die OECD nimmt die Wirtschaftsschwäche in wichtigen Schwellenländern zum Anlass, die globale Wachstumsprognose für 2015 auf 3,6% herabzusetzen, nach 3,8% im Juni. Für 2016 wird ein Plus von noch 3,0% erwartet. Dabei gibt es gravierende Unsicherheiten, heißt es. Hinter dem eingetrübten Ausblick steht ein stagnierender Welthandel und sich verschlechternde Bedingungen an den Finanzmärkten.

„Schlechtere Bedingungen an den Finanzmärkten“ – damit ist das Thema „Liquidität“ gemeint (ich hatte es hier aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet). Die Notenbanken haben seit der Jahrtausendwende mehr als zehn Bill. Dollar in die Finanzmärkte gepumpt. Die ölexportierenden Länder haben jahrzehntelang ihre Überschüsse aus dem Ölgeschäft in den Kapitalmärkten der industrialisierten Länder investiert. Die Schwellenländer haben zur Ankurbelung ihrer Exporte beständig ihre Währungen durch Kauf von Währungen der Abnehmerländer geschwächt. Laut BIS haben sie seit der Finanzkrise Fremdwährungskredite in Höhe von 3 Bill. Dollar aufgenommen, insgesamt liegen die US-Fremdwährungskredite bei rund neun Bill. Dollar.

So lange diese Carry-Trade-Kredite ausgeweitet wurden, sank der Außenwert des Dollar. Endet dieser Prozess, so beginnt sich die Bewegung umzukehren. Der Dollar-Index hat im Spätsommer 2011 eine Bodenbildung abgeschlossen. Aber erst Mitte 2014 beschleunigte sich die Aufwärtsbewegung.

 

 

Mit dem stärker werdenden Dollar verteuern sich Dollar-Kredite, was dazu führt, dass sich die Kreditnehmer zunehmend und teilweise panisch von solchen Finanzierungen verabschieden. Im Gegenzug zum festeren Dollar werden die Währungen der Länder, in denen diese Carry-Trade-Kredite aufgelöst werden, schwächer. Das tangiert ihre Exportsituation. China wirkt diesem Prozess entgegen, indem das Land US-Währungsreserven verkauft (siehe hier). Diese bestehen zum großen Teil aus US-Treasurys. Ihr Verkauf drückt die US-Renditen nach oben und verteuert tendenziell die Finanzierungssituation in den USA.

 

Die EZB hat durch ihre QE-Politik dazu beigetragen, dass der Euro in gewissem Umfang als Carry-Trade-Währung in die Fußstapfen des Dollar getreten ist. Das hat –aus Sicht der Eurozonen-Wirtschaft äußerst willkommen- den Euro geschwächt und zusammen mit dem erstarkenden Dollar das Währungsverhältnis Euro/Dollar im März auf 1,05 gedrückt, herunter zur Untergrenze eines bis 1985 zurück reichenden Aufwärtskanals. Seitdem zeigt es eine festere Tendenz, was auf die Auflösung von Euro-Carry-Trade-Krediten hindeuten dürfte. Am 23. August, zum Zeitpunkt des seinerzeitigen Zusammenbruchs der Aktienkurse weltweit, wurden intraday 1,17 erreicht, aktuell notiert das Währungspaar bei 1,13.

 

Werden Kredite aufgelöst, verliert die Schulden-orientierte Wirtschaft an Schmiermitteln. Die Schwellenländer sind durch Kapitalflucht besonders betroffen. Auch der Abbau von Währungsreserven z.B. in China bedeutet nichts anderes, als dass Kredite zurückgezahlt werden. Die aufgrund des Ölpreisabsturzes geringeren Einnahmen der ölexportierenden Länder führen dazu, dass die Kapitalflüsse aus diesen Ländern in die Finanzmärkte Europas und der USA abebben. All das lässt die globale Liquidität abnehmen.

 

Wenn eine solche Entwicklung bedrohlich wird, wirken die Zentralbanken seit Jahrzehnten mit einer Ausweitung der Geldmenge entgegen, sei es durch immer tiefere Zinsen, durch sinkende Eigenkapitalanforderungen der Banken und allerlei andere Erleichterungen bis hin zum direkten Ankauf von Wertpapieren, insbesondere von Schuldscheinen (QE).

 

Ob den Zentralbanken das wieder gelingt, ist nicht ausgemacht. Wenn die Zinsen schon nahe Null sind, ist der „Erleichterungs-Spielraum“ eng. Die Erträge von Krediten liegen nur noch wenig darüber, die Margen sind gering. Genau deshalb wurde ja verstärkt Extra-Profit in und mit Carry-Trade-Krediten gesucht. Zudem können bei den vergleichsweise geringen Margen schon geringe Verluste bei den heute erreichten Schulden-Hebeln schnell zu einem Fiasko führen – aus einer Schieflage wird im Handumdrehen ein Bankrott.

 

Der Welthandel hat sich im Quartalsvergleich im ersten und zweiten Vierteljahr 2015 rückläufig entwickelt (im Chart nicht dargestellt – siehe auch hier). Das gab es seit der Finanzkrise 2008/2009 nicht mehr. Das Wachstum des Welthandels ist im allgemeinen etwas stärker als das Wachstum des globalen BIP. In den 1990er Jahren entwickelte sich der Welthandel besonders rasant, als die “Globalisierung” durchschlug.

 

 

Seit der Finanzkrise aber entwickelt sich der Welthandel kaum noch stärker als das Welt-BIP. Ursachen sind die Wachstumsschwäche in Europa und jetzt auch in China, sowie etwa das Aufkommen des Frackings v.a. in den USA. Eine längere Phase einer schleppenden Wirtschaftsentwicklung in den industrialisierten Ländern (auch die USA können an die Wachstumsraten vor der Finanzkrise und auch vor der Jahrtausenwende nicht anknüfen) drückt das Welthandelsvolumen und die Nachfrage nach Rohstoffen. Das erschwert es den Ländern mit geringen Einkommen, die in der Regel die hauptsächlichen Rohstofflieferanten sind, reicher zu werden. Das wiederum tangiert die Absatzchancen der industrialisierten Ländern und wirkt auf die Entwicklung des Welt-BIP zurück. In dieser Situation muss man auch die Bemühungen zu Freihandelsabkommen sehen, die darauf abzielen, Handelsbeschränkungen einzureißen und den multinationalen (US-)Unternehmen den Weg in die Weltwirtschaft weiter zu ebnen.

 

Die niedrigen Rohstoffpreise sind einerseits dem festen Dollar geschuldet, der CRB-Rohstoff-Index liegt aktuell knapp unter seinem Tief aus 2009. Andererseits wirkt sich hier das abflachende Wachstum der Weltwirtschaft und insbesondere das in China aus. Welchen Anteil das Land am weltweiten Rohstoffverbrauch hat, zeigt der folgende Chart:

 

 

Rohstoffe sind seit den 1990er Jahren selbst zu Finanzmarktassets geworden. Die Geldflut der Zentralbanken hat Überproduktion und Lagerhaltung von Rohstoffen in großem Stil begünstigt. Lange Zeit wurden Rohstoffe zu immer weiter sinkenden Preisen abgenommen und eingelagert. Erst wenn sich Angebot und tatsächlicher Verbrauch angeglichen haben, dürfte ein Boden bei den Rohstoffpreisen erreicht sein. Hierfür gibt es bisher nur einige wenig belastbare Anzeichen.

 

Abschließend zu China zwei weitere Charts, die mehr oder weniger für sich selbst sprechen:

 

Die chinesische Industrieproduktion ist seit Jahren konsistent rückläufig.

 

 

Die private Verschuldung in Relation zum BIP geht genau in die andere Richtung, sie hat sich seit 2009 fast verdoppelt und liegt nun auf einem Niveau, wo historisch in anderen Volkswirtschaften eine schwere Wirtschaftskrise ausbrach (Chartquelle).

 

 

Beide Zeitreihen zusammen weisen auf eine sehr zugespitzte Situation hin. Mag sein, dass die Allmacht der chinesischen Führungsclique die faulen Kredite des Bankensystems (weiter) unter den Teppich kehren und den offenen Ausbruch einer Krise vermeiden kann. Wenn das möglich sein sollte, dann dürfte das gerade in einer Situation, in der die Weltwirtschaft alles andere als überschäumt, nicht ohne heftige Bremsspuren im eigenen Land abgehen.

 

Die Fed hat ganz offiziell von Wachstumsschäche und von den Schwellenländern, insbesondere von China ausgehenden Belastungen gesprochen: Für die Finanzmärkte wird es jetzt ein Ritt auf der Rasierklinge. Was kommt zuerst? Der geordnete Abverkauf von in der Aktienrallye seit 2009 angehäuften Bestände zu möglichst hohen Kursen oder der Notverkauf in Panik, ausgelöst etwa durch ein „Kreditereignis“. Möglicherweise kommt zuerst ein Test der jüngsten Tiefs oder zumindest der Untergrenzen der aktuellen Handelsspannen (beim S&P 500 1910, bzw. 1870 als Reaktionstief).


 

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