Vier renommierte Volkswirte haben kürzlich das Thema “Verschuldung” aufgefrischt. In ihrem Aufsatz “Deleveraging? What Deleveraging?” schreiben sie, entgegen der allgemeinen Annahme hat die Welt immer noch nicht angefangen, Schulden abzubauen. Die globale Schuldenquote steigt weiter an und erreicht neue Höhen. Zudem sei die Kombination von Wachstum und Inflation unter den Erwartungen bei gleichzeitig zunehmendem Schuldenstand gefährlich („giftig“).
Die globale Schulden-Akkumulation wurde bis 2008 von den entwickelten Ländern angeführt. Danach übernahmen die Emerging Markets diese Rolle. Die Situation in China halten die Autoren für besonders brisant. Das Land steht zwischen hohen und weiter zunehmenden Schulden und sinkendem Wachstum. Zusammen mit Indien, der Türkei, Brasilien, Chile, Argentinien, Indonesien, Russland und Süd-Afrika ist China Mitglied der Ländergruppe der “fragile eight”, die zum Zentrum der nächsten globalen Überschuldungs-Krise werden könnte.
Die Geldpolitik der Zentralbanken der Emerging Markets könnte ineffektiv werden, so wie es in den USA, in Europa und in Japan geschehen ist, befürchten die Autoren. Schwächere Wachstumsbedingungen in diesen Ländern verstärken das schwache Wirtschaftsumfeld in den entwickelten Ländern eher als dass sie es abmildern. Der Abschwung der Rohstoffpreise in diesem Jahr ist konsistent mit dem Beginn einer solchen Phase. Die vorhergesehene wirtschaftliche Kontraktion in den Emerging Markets verschärft sich mit dem deutlichen Anstieg der Schulden in der vorangegangen Expansion. Hier besteht ein direkter Zusammenhang.
In den USA hat sich der private Sektor in der Tat ein wenig entschuldet – von fast 41 Bill. Dollar in 2008 auch jetzt gut 38 Bill. Dollar. Die Staatsverschuldung ist allerdings in dieser Zeit um mehr als 50% auf über 20 Bill. Dollar angestiegen. Aktuell kommen private und Staats-Schulden zusammen auf 62 Bill. Dollar, eine Steigerung um 6,6%. Das Verhältnis Schulden zu BIP ist ein wenig gesunken. Dabei ist zu bedenken, dass die BIP-Entwicklung mit der Anreizpolitik nach 2008 künstlich aufgeblasen wurde.
Die Inflation hat in der Nachkrisenzeit Ende 2011 ein lokales Maximum erreicht, seitdem lässt die Teuerung in den entwickelten Volkswirtschaften wie auch in den Emerging Markets nach. Dies verwundert zunächst, heißt es doch im volkswirtschaftlichen Mainstream gewöhnlich, dass eine höhere Verschuldung einer Volkswirtschaft deren Preise treibt. Dass dies kein zwangsläufiger Mechanismus ist, ist spätestens seit den 1990er Jahren in Japan klar.
Ein Blick auf die Wachstumsraten klärt auf: Global betrachtet hatte der Wachstumszyklus des nominalen BIP 2003/2004 bei etwa 6,1% sein Maximum erreicht (Kurve „Nominal GDP (HP Filter)“). Heute liegt der Wert unterhalb von 4,5%.
Die Gegenüberstellung von Verschuldungsgrad und Wachstumspotenzial zeigt einen klaren zeitlichen Zusammenhang – für die Weltwirtschaft als Ganzes scheint zu gelten, dass Schuldenquoten von über 160% des BIP für das Wachstum kontraproduktiv sind.
Die Inflationsraten dürften in der absehbaren Zukunft weiter niedrig bleiben, insbesondere so lange der Schuldenstand bei geringem Wachstum hoch bleibt. Die Gefahr eines (unkontrollierten) Deleveraging lähmt die wirtschaftlichen Expansionskräfte und das gegünstigt eher disinflationäre Entwicklungen.
Die Autoren unterscheiden folgende Krisenszenarien:
Im Japan zwischen den frühen 1990er Jahren und 2008 kam es zum Krisenszenario 2, in den entwickelten Volkswirtschaften kam es nach 2008 zum Krisenszenario 3, der schlimmsten Form. Beiden Szenarien ist gemein, dass die Wachstumsrate nachhaltig niedriger liegt als vor dem Ausbruch der Krise. Das macht den zur Krisenbewältigung von ohnehin schon hohem Niveau aus weiter aufgeblasenen Schuldenstand noch schwerer tragbar.
So weit die Autoren. Ihre Vorschläge zur Bewältigung der verfahrenen Situation unterscheiden sich nicht von denen anderer und wirken gleichermassen hilflos. Auch sie mahnen, dass ein zu schneller und noch dazu im Weltmassstab gleichzeitiger Schuldenabbau die latente Krise wieder zu voller Entfaltung treiben würde.
Die Autoren stellen auch heraus, dass die Politik in der Eurozone bisher wenig effektiv war. Die prozyklische Austerität und eine gleichzeitige Kreditklemme machen den Deleveraging-Prozess viel teurer als etwa in den USA. Dadurch wurde auch die mögliche Wachstumrate beschnitten und exzessiver disinflationärer Druck erzeugt. Nun müsse die Politik die Situation entschlossen angehen und die Fehler der Vergangenheit vermeiden, heißt es, was immer das auch heißen soll.
[Der Bericht "Deleveraging? What Deleveraging?" wurde von Luigi Buttiglione, Philip R. Lane, Lucrezia Reichlin und Vincent Reinhart verfasst. Er ist als „Geneva Reports on the World Economy 16, September 2014“ erschienen.]
Der von den Autoren dargestellte Zusammenhang lässt sich auch an dem folgenden Chart zeigen. Das dahinter stehende einfache Modell setzt am Beispiel der USA die Wachstumsraten von Gesamtverschuldung und nominalem BIP in Beziehung und extrahiert daraus einen Schuldenzyklus. Eine von der Schuldenseite nicht länger tragbare Situation wird im oberen Chart mit „Cycle-Trough“ markiert. Eine solche hatten wir zuletzt 2008/2009. Eine aus kurzfristiger Sicht problematische Situation wird durch einen Ausschlag der roten Signalkurve nach oben angezeigt. Dementsprechend liegt seit dem zweiten Quartal 2010 in den USA keine Schulden-induzierte „Trouble“-Situation vor, in der Tendenz spricht jedoch viel dafür, dass wir uns auf eine solche zubewegen.
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