Die BIS (BIZ) sieht in ihrem aktuellen Jahresbericht das Wachstum der Weltwirtschaft nach wie vor unter dem Vorkrisendurchschnitt. Die Wiederherstellung eines nachhaltigen weltweiten Wirtschaftswachstums stelle eine große Herausforderung dar, die Investitionstätigkeit sei weiterhin gering, das Produktivitätswachstum schwach.
Im vergangenen Jahr hat sich das globale Wachstum zwar gefestigt, heißt es in Kapitel III unter der Überschrift „Wachstum und Inflation: Triebkräfte und Aussichten“. Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften, die von den außergewöhnlich akkommodierenden Finanzierungsbedingungen profitierten, hätten am meisten zur Beschleunigung beigetragen. In den aufstrebenden Volkswirtschaften hat sich das Produktionswachstum im zweiten Halbjahr 2013 stabilisiert, was nicht zuletzt auf einen Anstieg der Exporte in die fortgeschrittenen Volkswirtschaften zurückging.
Das Wachstum der Weltwirtschaft liegt weiterhin unter dem Vorkrisendurchschnitt (Grafik III.1).
Die Jahreswachstumsrate des weltweiten BIP erhöhte sich von 2% in Q1/2013 auf 3% im ersten Quartal 2014 (Grafik III.1 links). Im Zeitraum 1996–2006 hatte der Wert noch 3,9% betragen. Der Großteil des letztjährigen Anstiegs entfiel auf die fortgeschrittenen Volkswirtschaften, das Wachstum in den aufstrebenden Volkswirtschaften blieb auf einem für diese relativ niedrigen, aber immer noch höheren Niveau als in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Die relative Verschiebung der Wachstumsdynamik zeigt sich an umfragebasierten Indikatoren besonders deutlich. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe stieg in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften 2013 stetig an, in den aufstrebenden Volkswirtschaften blieb er flach auf einem Niveau, das mäßige Expansion signalisiert (Grafik III.1 Mitte). Das Wachstum des Welthandels beschleunigte sich im vergangenen Jahr allmählich, blieb aber unter dem Niveau vor der Krise (Grafik III.1 rechts).
Die Gründe für diese uneinheitliche Entwicklung sind vielschichtig. Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften kämpfen immer noch mit den Folgen einer Bilanzrezession. Schwere Finanz- oder Bankenkrisen gehen in der Regel mit schweren Rezessionen einher, von denen sich die Wirtschaft im Vergleich zu einer normalen, konjunkturbedingten Rezession viel langsamer erholt. Private Haushalte, Banken und, in geringerem Ausmaß, Nichtfinanzunternehmen sanieren ihre Bilanzen und bauen ihre übermäßige Verschuldung ab. Dieser Prozess ist in den USA am weitesten fortgeschritten, andere Länder, insbesondere ein Großteil der Eurozone, hinken deutlich nach. Viele aufstrebende Volkswirtschaften befinden sich zudem in der Spätphase eines Aufschwungs in einem typischerweise 15 bis 20 Jahre anhaltenden Finanzzyklus, sodass künftig auch hier mit einem schwächeren Wachstum zu rechnen sein dürfte, heißt es.
Es ist unrealistisch, davon auszugehen, dass der Produktionspfad in den Krisenländern erneut das Vorkrisenniveau erreichen wird. Dazu müsste die Wachstumsrate mehrere Jahre lang über dem Vorkrisendurchschnitt liegen. Historische Daten belegen, dass dies nach einer Bilanzrezession selten der Fall ist, schreibt die BIS.
In den USA liegt die Produktionslücke (Differenz zwischen dem Vorkrisentrend und dem neuen Trend) etwa 12,5% unter dem durch eine Fortsetzung des Vorkrisentrends implizierten Niveau, in England sind es 18,5%, in Spanien 29%. Dauerhafte Produktionseinbußen nach Bilanzrezessionen lagen in der Vergangenheit in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Bereich von 7,5% bis 10%. Bei einer konjunkturbedingten Rezession entsteht in der Regel zunächst eine Lücke von rund 2%, die im späteren Verlauf wieder ausgeglichen wird.
Aber selbst die Aussichten für die Wiederherstellung des Trendwachstums sind nicht sehr gut. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften war das Produktionswachstum schon lange vor Ausbruch der Finanzkrise rückläufig, das Arbeitskräftepotenzial nimmt aufgrund des demographischen Wandels in mehreren Ländern ab. Darüber hinaus ist die Staatsverschuldung so hoch wie nie zuvor, was das Wachstum zusätzlich belastet.
Die Erholung des weltweiten Wachstums ging bislang nicht mit einem kontinuierlichen Inflationsanstieg einher (Grafik III.5 links).
Seit Mitte 2013 liegt der Anstieg der Verbraucherpreise in mehreren Ländern unter oder nahe dem Zielwert. In der Eurozone lag der Anstieg der Verbraucherpreise im April 2014 hingegen bei 0,7%, während er sich in den USA auf 2% erhöhte, zuvor lag er auch dort mehrere Monate unter dem Zielwert. In Japan erhöhten sich sowohl die Kerninflation als auch der Anstieg der Verbraucherpreise nach der Ankündigung des Inflationsziels von 2% Anfang 2013 beträchtlich. Auch in den aufstrebenden Volkswirtschaften insgesamt verharrte der Anstieg der Verbraucherpreise unter dem Durchschnitt (gepunktete Linie), während die Inflation in Brasilien, Indonesien, Russland und in der Türkei anhaltend hoch blieb.
Die jüngste Entwicklungstendenz der weltweiten Inflation dürfte auf die stabilen Rohstoffpreise (Grafik III.5 rechts) und die stabile Kerninflation (Grafik III.5 Mitte) zurückzuführen sein.
Die relative Stabilität der Inflation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Vergleich zu den Veränderungen der Produktion ist auffällig. Die Teuerungsrate blieb trotz Konjunkturaufhellung in jüngster Zeit niedrig, sie war auch unmittelbar nach der Krise trotz der tiefen Rezession weniger stark zurückgegangen als zu erwarten gewesen wäre. Offenbar verliert die Kapazitätsauslastung an Bedeutung in ihrem Einfluss auf Preisbewegungen.
Der Hauptgrund hierfür wird darin gesehen, dass auf die Ausrichtung der Zentralbanken auf niedrige und stabile Inflation vertraut wird. Unternehmen und Arbeitskräfte reagieren dann auf vorübergehende Inflationsüberraschungen kaum, Preise und Löhne werden weniger häufig angepasst. Auch kurzfristige Wechselkursbewegungen haben dann einen geringen Einfluss, Import- und Verbraucherpreise reagieren gedämpft. Fest verankerte langfristige Inflationserwartungen gehen in einem solchen Szenario in der Regel mit einem niedrigeren zyklischen Inflationsdruck einher, schreibt die BIS.
Neben der größeren Glaubwürdigkeit der Zentralbanken sei die deutlich stärkere Verflechtung der Weltwirtschaft ein bedeutender Faktor bei der zunehmenden Entkopplung der Inflation von der Entwicklung im Inland, schreibt die BIS weiter. Die Fortschritte in den Bereichen Kommunikationstechnologie und Logistik haben den Aufbau komplexer weltweiter Produktionsketten erleichtert. International tätige Unternehmen haben einen Teil ihrer Produktion in aufstrebende Volkswirtschaften mit großem Arbeitskräfteangebot verlagert. Durch Abbau von Handelsschranken und Reduktion der Transportkosten lassen sich die in einem Land produzierten Waren immer leichter durch in anderen Ländern produzierte ersetzen. Die Preise von im Inland hergestellten handelbaren Produkten können damit nicht allzu stark von den Preisen ähnlicher, im Ausland hergestellter Güter abweichen. Das gilt auch für die inländischen Löhne, zu hohe Unterschiede würden eine Verlagerung der Produktion begünstigen. Damit dürften Preisänderungen heute in besonderem Maße von der Knappheit oder Unterauslastung der Ressourcen weltweit abhängen.
Durch Wachstum und Verbesserung des Lebensstandards in den aufstrebenden Volkswirtschaften sind nicht nur die Preise von Industrierohstoffen, sondern auch die von Nahrungsmitteln gestiegen. Aber obwohl die Nachfrage in den aufstrebenden Volkswirtschaften zuletzt Aufwärtsdruck auf die Rohstoffpreise ausübte, waren die Auswirkungen der Globalisierung auf die fortgeschrittenen Volkswirtschaften bisher weitgehend disinflationärer Natur. Die rapide Industrialisierung großer aufstrebender Volkswirtschaften mit einem enormen Angebot an billigen Arbeitskräften hat die Produktionskapazitäten gesteigert, die Preise von Handelswaren blieben niedrig.
Die Rolle Chinas wurde in den letzten 15 Jahren immer wichtiger (Grafik III.7 links).
Der Anteil der durch den Preisauftrieb bei den chinesischen Exportgütern bedingten Schwankungen der Inflationsrate der fortgeschrittenen Volkswirtschaften hat sich im Zeitraum 1999–2013 gegenüber dem Zeitraum 1986–1998 auf über 30% verdoppelt. Gleichzeitig blieben die Preise chinesischer Exportgüter trotz steigender Löhne und Lohnstückkosten niedrig und liegen auch heute nicht nennenswert über ihrem Niveau von 2005 (Grafik III.7 rechts).
Es ist nicht sicher, schreibt die BIS, wie sich der größere Einfluss globaler Faktoren künftig auf die inländische Inflation gestalten wird. Das hängt entscheidend von den länderspezifischen Unterschieden in Bezug auf die Höhe der Löhne und der Lohnstückkosten ab. In China sind die Löhne in der verarbeitenden Industrie stetig gestiegen, während sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität in den letzten Jahren offenbar etwas abgeschwächt hat. Wenn Lohnerhöhungen nicht durch ähnlich hohe Produktivitätssteigerungen kompensiert werden, führt das letztlich zu Aufwärtsdruck auf die Exportpreise. Andererseits besteht immer noch Spielraum für eine stärkere Integration von Ländern mit niedrigem Einkommen und einem großen Angebot an billigen Arbeitskräften in die Weltwirtschaft, so dass der disinflationäte Einfluss der Globalisierung eher noch anhalten dürfte.
Seit 2009 steigen die Investitionen und das Wachstum der Arbeitsproduktivität weniger stark als in früheren Erholungsphasen. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften liegen die Bruttoanlageinvestitionen überwiegend noch unter dem Vorkrisenniveau (Grafik III.9 links).
Die Investitionslücke ist in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, in denen es zu großen Immobilienbooms kam, zwar auch auf den Bausektor zurückzuführen. Allerdings liegen die Ausgaben für Ausrüstungsgüter ebenfalls unter dem Vorkrisendurchschnitt.
Der Abwärtstrend hier hat verschiedene Ursachen. Erstens waren die Investitionen gemessen am BIP schon lange vor Ausbruch der Krise rückläufig. Zweitens hat sich die Produktionsstruktur von kapitalintensiven Sektoren der verarbeitenden Industrie zu weniger kapitalintensiven Dienstleistungssektoren verschoben (eine typische Entwicklung in entwickelten Phasen des langen Kondratieff-Zyklus). Drittens dürfte die Verlangsamung des Produktionswachstums etwa durch ungünstige demographische Entwicklung, verminderte Dynamik technischer Innovationen oder Veränderungen der langfristigen Muster der Verbrauchernachfrage bedingt sein. Der damit einhergehende Rückgang der Investitionen in Relation zum BIP wäre dann eher Folge als treibender Faktor. (Zur demographischen Entwicklung siehe auch hier!).
Möglicherweise dürfte die Investitionsschwäche aber auch überzeichnet sein, schreibt die BIS. In den letzten Jahrzehnten sind die relativen Preise von Investitionsgütern tendenziell gesunken, wodurch die Unternehmen nominal immer weniger ausgeben mussten, um ihren Kapitalstock auf demselben Niveau zu halten. Real betrachtet schwankten die Investitionsausgaben in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften um einen leicht steigenden Trend. Zudem könnten die Investitionen in immaterielle Wirtschaftsgüter (Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Weiterbildung usw.), die in dienstleistungsorientierten Volkswirtschaften immer wichtiger werden, in den offiziellen Statistiken unterschätzt werden.
Die Investitionstätigkeit ist auf globaler Ebene nicht schwach. Der anhaltende Rückgang der Investitionen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wurde durch höhere Investitionen in den aufstrebenden Volkswirtschaften kompensiert (Grafik III.9 Mitte). Dieser Anstieg ist teilweise auf die hohen Investitionen in China zurück zuführen, deren Anteil am BIP von nahezu 45% vermutlich nicht nachhaltig ist (Grafik III.9 rechts). Doch auch wenn China ausgeklammert wird, tendieren die Investitionen in den aufstrebenden Volkswirtschaften – insbesondere in Asien – aufwärts.
Die Finanzierung stellt bei der Investitionstätigkeit kein Hindernis dar, schreibt die BIS. Die zyklische Investitionsschwäche erkläre sich weitgehend durch die langsame Erholung der Gesamtnachfrage, wie es für Bilanzrezessionen typisch ist. Die Akteure sanieren ihre Bilanzen, also bleiben ihre Ausgaben unter dem Vorkrisenniveau. Das drückt auf das Einkommen anderer Wirtschaftsakteure und verlängert die Bereinigungsphase. Zwar könnte die notwendige Konsolidierung der Staatsfinanzen das Wachstum kurzfristig weiter beeinträchtigen. Mit der sich fortsetzenden Erholung sollten aber die Investitionen wieder zunehmen. Tatsächlich sind sie in den letzten Quartalen in einer Reihe von Ländern, einschließlich Deutschlands, der USA und England, leicht angestiegen. Sie sollten sich mit der Erholung des Produktionswachstums unter dem Vorkrisendurchschnitt einpendeln.
Die Fehlallokation von Ressourcen dürfte sich im Zuge der Finanzkrise weiter verstärkt haben, heißt es weiter. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass niedrige Zinsen und die Nachsicht gegenüber faktisch insolventen Schuldnern in den Krisenländern Ressourcen in ineffizienten Unternehmen binden. Einzelne Unternehmensdaten haben beispielsweise gezeigt, dass in England rund ein Drittel des seit 2007 verzeichneten Produktivitätsrückgangs auf eine langsamere Reallokation der Ressourcen zwischen den Unternehmen zurückzuführen ist. Auf Länder, die ihre Bilanzen zu langsam sanieren, könnten teilweise ähnliche Entwicklungen zukommen, wie sie in Japan nach der Finanzkrise Anfang der 1990er Jahre zu beobachten waren.
Ohne eine Erholung des Produktivitätswachstums sind die Aussichten für das Produktionswachstum trübe. Der demographische Wandel fungiert in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften als Wachstumsbremse. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sinkt in der Eurozone stetig, in Japan geht er sogar noch schneller zurück. In den USA und in England erreichte er just vor Ausbruch der Finanzkrise seinen Höchststand (Grafik III.10 rechts).
Zur Steigerung des Produktivitätswachstums müssen die verschiedenen strukturellen Hemmnisse für Innovationen und Investitionen wie Verzerrungen im Steuersystem, Bürokratie und übermäßige Regulierung der Güter- und Arbeitsmärkte abgebaut werden, damit die Volkswirtschaften bei der Allokation von Kapital und Arbeit flexibler werden, insbesondere in der Eurozone und in Japan. Außerdem muss die Haushaltskonsolidierung unbedingt fortgesetzt werden, damit die hohe Staatsverschuldung nicht zu einem dauerhaften Bremsfaktor für das Trendwachstum wird.
Nachhaltiges langfristiges Wachstum erfordert anstelle von auf Belebung der Gesamtnachfrage abzielende Maßnahmen solche, die strukturell direkt bei den Ursachen der niedrigen Produktivität ansetzen. Über neue Schulden finanzierte Impulse hingegen dürften weniger effektiv sein als erhofft und Fragen nach der langfristigen Tragfähigkeit aufwerfen, schließt die BIS.
Die BIS ordnet die aktuelle Wachstumsschwäche eher noch als Folge der Bilanzrezession v.a. in den entwickelten Ländern ein. Demographische und andere langfristige strukturelle Faktoren werden lediglich als hinzukommende Faktoren angesehen.
In “Wachstumsillusionen | Teil 1” wird u.a. eine Abhandlung von Robert Gordon besprochen, der sechs “Gegenwinde” ausmacht, die das künftige Wachstum bremsen. Neben der Demographie werden das unzureichende Bildungssystem, die immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich, die Globalisierung, die Ressourcenknappheit und die bisher nicht bilanzierten Kosten der Umweltzerstörung, sowie die Verschuldung der Industriestaaten genannt.
In “Wachstumsillusionen | Teil 3” wird anhand möglichst harter Zahlen, Masseeinheiten, Auskunft zum Wachstum gegeben und das Fazit gezogen: Wir müssen zu einer Art Gleichgewichtswirtschaft oder zu verträglichen 0,1% p.a. Wachstum wie in der Bronzezeit zurückkehren, wenn das Anthropozän nicht das Ende sein soll.
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