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Demographie und Schulden

Bis vor einigen Jahren nahm man es als gegeben hin, dass das reale BIP der USA um 3 bis 4% jährlich zunimmt. Das Land galt als Wachstumslokomotive und „Konsument der letzten Instanz“. Andere entwickelte Länder hatten zwar schon seit geraumer Zeit niedrigere Zuwachsraten, aber man erwartete auch bei ihnen wie selbstverständlich mehr oder weniger deutliches, nachhaltiges Wachstum.

Günstige Trends bei Entwicklung und Zusammensetzung der Bevölkerungen in den einzelnen Ländern halfen, das Wachstum in den zurückliegenden 60 Jahren auf dem besagten Niveau zu halten. Jetzt aber klafft eine Lücke zwischen den aus der Vergangenheit gewohnten Zuwachsraten und dem, was tatsächlich noch erzielt wird.

 

Die USA sind in Bezug auf die Eurozone immer noch weit voraus, die EU-Kommission prognostiziert ein Potenzialwachstum in den nächsten zehn Jahren in der Eurozone von 1,1% p.a., in den USA soll es jedoch bei 2,5% liegen. Die pro-Kopf-Wachstumsrate der Eurozone beträgt mit 0,9% gerade einmal die Hälfte derjenigen in den USA.

 

Die demographischen Trends unterstützen die überkommenen Wachstumserwartungen heute nicht mehr. Arnott und Chaves haben die Beziehungen zwischen Altersgruppen und Wachstum des realen Pro-Kopf-BIP kombiniert mit der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur (siehe auch hier!). Sie haben so die Situation in den G8-Staaten und in den BRIC’s untersucht und kommen hinsichtlich der Entwicklung der realen pro-Kopf-Wirtschaftsleistung zu folgendem, im Chart dargestellten Ergebnis. Dabei haben sie alle anderen Faktoren konstant gesetzt, insbesondere Produktivitätssteigerungen gehen in das Bild nicht ein. Die Ergebnisse reflektieren somit, welchen Rücken- oder Gegenwind demographische Faktoren bieten. Die Wachstumsraten sind keine absoluten Werte, auch bei einem negativen demographischen Effekt kann die Wachstumsrate bei Vorliegen günstiger Faktoren per Saldo positiv ausfallen.

 

 

Japan zeigt dabei die klarsten Effekte. Das japanische Wirtschaftswunder der 1960er bis 1980er Jahre wurde stark von demographischen Faktoren gestützt. Mit sinkender Geburtenrate wurde der Rücken- zu Gegenwind und seit etwa 2000 hat die Demographie keinen abnehmenden positiven Einfluss auf die Wirtschaftsleistung mehr, sondern einen zunehmenden negativen. Eine Bodenbildung wird um das Jahr 2045 erwartet.

 

Die anderen entwickelten Länder haben innerhalb der ersten fünf Jahre des neuen Jahrtausends den Punkt erreicht, ab dem demographische Faktoren zunehmenden Gegenwind produzieren. Mit einer Bodenbildung wird um das Jahr 2030 gerechnet, wobei Deutschland und Italien am stärksten betroffen sind. Die USA sind nur etwa halb so stark tangiert. Die Emerging-Market-Länder Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) erreichen die Nulllinie zwischen 2010 und 2025 und benötigen dann auch etwa 30 bis 40 Jahre, um sich im negativen Bereich zu stabilisieren.

 

Die Gefahr liegt nicht in einem langsameren Wachstum. Die Gefahr liegt in der Erwartungslücke, die schwächeres Wachstum als nicht akzeptabel erscheinen lässt. Wenn dies zu einer Wirtschaftspolitik führt, die versucht, sich den langfristigen demographischen Trends mit temporärem Schulden-finanzierten Wachstum entgegenzustemmen, besteht das Risiko, dass sich die Implikationen der Bevölkerungsentwicklung verstärken. Je höher der Schuldenstand ist, je höher muss auch das Wachstum sein, das ihn finanziert. Wenn der langfristigen Entwicklung des Wachstums aber „eherne“ Grenzen gesetzt sind, kommt bei dem schon erreichten Schuldenniveau rasch der Punkt, an dem ein Schuldendesaster droht.

 

Wie problematisch die Lage heute und in Zukunft ist, zeigt der folgende Chart. Schon eine moderate nachhaltige Zinserhöhung kann ganze Staaten kippen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Inflation weiter niedrig bleibt und so keine reale Entlastung beim Wert des Schuldenbergs bringt.

 

 

Europa, aber auch die USA laufen Gefahr, in ein tiefes Loch zu fallen. Sich daraus wieder heraus zu arbeiten, würde sehr schwierig werden. Ein Teil der Probleme geht auf langfristig wirkende demographische Faktoren zurück, die sich vergleichsweise gut vorhersagen lassen. Im Grunde führen nur deutliche Produktivitätssteigerungen aus der Misere hinaus. Eine Politik, die sich lediglich darum dreht, Probleme in Liquidität zu ertränken, greift zu kurz.

Bertrand Russell hat einmal gesagt, das politische Establishment ist ein Beruf, der von moralischen Pygmäen und mentalen Zwergen beherrscht wird. Es neigt nicht gerade dazu, unangenehmen Wahrheiten ins Auge zu sehen, sie zu verkünden und dann auch noch danach zu handeln. Daher besteht die Gefahr, dass die gegenwärtige wirtschaftspolitische Richtung des privaten oder öffentlichen Schulden-finanzierten Verbrauchs beibehalten wird, bis das Ganze unter seiner eigenen Last zusammenbricht. Noch ein Zitat? Von Mark Twain stammt der Satz, Politiker und Windeln müssen häufig gewechselt werden, und zwar aus demselben Grund. Das ist gut gemeint, aber ob es hilft?

 

Niels C. Jensen zieht aus der dargestellten Situation drei Konsequenzen für Anleger:

 

  • Pro-BIP-Wachstum und Anlage-Ergebnisse sind nach einer Untersuchung der Credit Suisse langfristig negativ korreliert. Daher könnte es sich als kostspieliger Fehler erweisen, wenn man europäische Aktien vernachlässigt, nur weil Wachstum und Wohlstand hier in den nächsten Jahren stagnieren werden.
  • Wenn es darum geht, eine Schuldenkrise zu bewältigen, sind “Währungs-Nachfrager” im Nachteil. Denn sie müssen versuchen, ihr Defizit außerhalb ihres Landes zu finanzieren. Gelingt ihnen das nicht, besteht ein Pleiterisiko. Länder, die in eigener Währung verschuldet sind, können hingegen unbegrenzt Schuldscheine ausgeben und damit eine offene Pleite bis in alle Ewigkeit vermeiden. Der Unterschied ist umso wichtiger, je höher die Verschuldung ist.
  • Wenn die Zinsen steigen, nimmt der Schuldendienst bei dem erreichten hohen Schuldenstand einen immer größeren Raum ein. Daher dürften Regierungen und Zentralbanken alles daran setzen, die Zinsen unter Kontrolle zu halten. Investoren werden versuchen, für das eingegangene Risiko direkt oder indirekt bezahlt zu werden. Wenn sie die Zinsen als stark manipuliert wahrnehmen, werden sie ihre Aufmerksamkeit den Währungsrelationen zuwenden, um den nötigen Ausgleich zu bekommen. Konsequenterweise wäre zu erwarten, dass die Währungsmärkte die hauptsächliche Anpassung leisten, wenn klar wird, wer im tiefen Schuldenloch sitzt und wer nicht.

 

Anmerkung:
Unter der Überschrift “Demographische Probleme mit Verspätung” befasst sich Dr. Martin Hüfner, assénagon, mit der demographischen Situation in Deutschland und speziell mit der Sozialversicherung. Durch unerwartete Zuwanderung hat sich deren Lage erst einmal entschärft, schreibt er, bezeichnet es aber als Ponzi-Finanzierung, darauf zu bauen, dass das so bleibt: “Die Sozialversicherung wird ihre Beiträge erhöhen müssen oder braucht Steuerzuschüsse.”

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