"Wir wissen, wie man baut"
- Written by Mag. Bernd Affenzeller
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Im ausführlichen Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Günter Steinbauer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wiener Linien, die Gründe für die Verschiebung von Bauprojekten, warum die Wiener Linien trotz des abschreckenden Beispiels Krankenhaus Nord hauptsächlich in Einzelgewerken vergeben und warum das Bestbieterprinzip Bauprojekte teurer, aber nicht besser macht. Außerdem kündigt er noch für dieses Jahr die ersten BIM-Projekte der Wiener Linien an und richtet einen Appell an die Bauwirtschaft in Sachen Claim Management.
Report: Aufgrund der aktuellen konjunkturellen Lage sind die Bauunternehmen gut ausgelastet. Nach den ÖBB haben auch die Wiener Linien die Auftragsvergabe eines wichtigen Projekts, des neuen U-Bahn-Linienkreuzes U2xU5, verschoben. Sie wurden mit den Worten »inakzeptable Angebote der Baufirmen« zitiert. Wie haben Sie die Ausschreibungsphase und Angebotslegung erlebt? Wo konkret setzt Ihre Kritik an?
Steinbauer: Wir bauen seit gut 40 Jahren U-Bahnen in Wien. Aufgrund dessen haben wir gute Erfahrungswerte, in welchen Bandbreiten sich die Kosten bewegen können. Die von den Bauunternehmen im Rahmen der Ausschreibungen vorgelegten Angebote haben nicht nur diese Bandbreiten ausgereizt, sondern waren für uns auch teilweise inhaltlich nicht schlüssig. Die Höhe der Baustellengemeinkosten etwa war absolut nicht nachvollziehbar. Uns ist natürlich klar, dass die derzeit generell gute Baukonjunktur in Österreich zu vollen Auftragsbüchern, weniger Wettbewerb und hohen Preisen führt. Da die Wiener Linien mit den ihr zur Verfügung stehenden Steuergeldern stets höchst verantwortungsvoll umgehen, kam das »Bauen um jeden Preis« schlichtweg nicht in Frage.
Report: Eines der großen Themen der Bauwirtschaft ist aktuell Building Information Modeling. ÖBB und Asfinag haben erste Pilotprojekte am Laufen. Welche Rolle spielt BIM bei Ihren Ausschreibungen? Erwarten Sie von Auftragnehmern, dass sie heute schon BIM-fit sind oder ist das eher Zukunftsmusik?
Steinbauer: Obwohl die Methode BIM nicht neu ist und das Datenformat IFC bereits seit mehr als 20 Jahren entwickelt wird, hat BIM in den vergangenen Jahren rasant an Bedeutung gewonnen und immer mehr Szenarien können umgesetzt werden. Bei den Wiener Linien haben wir beispielsweise 2017 drei U-Bahn-Stationen (Gumpendorfer Straße, Taubstummengasse und Aderklaaer Straße; Anm.d.Red.) mittels Laservermessung aufnehmen und Bestandsmodelle erstellen lassen. Die IFC-Dateien konnten wir dann standardisiert in unsere Asset Management Systeme übernehmen. Für die Schnittstelle von Planung und Bau zum Betreiben ist dies ein echter Meilenstein in der standardisierten Datenverarbeitung und für durchgängige Prozessketten unabdingbar.
Im Zuge der Bauarbeiten rund um das Linienkreuz U2xU5 sollen die ersten umfangreichen BIM-Projekte starten. Wir erwarten uns dadurch eine deutlich besser koordinierte Vorgangweise gegenüber herkömmlich durchgeführten Projekten und damit schlussendlich eine höhere Qualität, Nutzbarkeit und Effizienz von Bauwerken.
Report: Sehen Sie sich als öffentlicher Auftraggeber in der Verantwortung, das Thema BIM voranzutreiben oder erwarten Sie verstärkte Impulse aus der Bauwirtschaft?
Steinbauer: Wir sehen uns hier definitiv in der Verantwortung. Als ausschreibendes Unternehmen werden auf Basis unserer Anforderungen analoge und digitale Leistungen erbracht. Um unseren Anspruch auf einheitliche Prozesse, Standards und Werkzeuge über den gesamten Lebenszyklus eines Projekts zu erfüllen, müssen wir diese Anforderungen vorgeben und unseren Ausschreibungen zugrundelegen. Natürlich ist eine branchenweite, einheitliche Grundlage eine wesentliche Arbeitserleichterung für alle Beteiligten. Deshalb beteiligen wir uns auch intensiv in diversen Ausschüssen bei Austrian Standards, der österreichischen Bautechnik Vereinigung, der Plattform 4.0 und buildingSMART Austria.
Report: Das Krankenhaus Nord hat gezeigt, dass öffentliche Auftraggeber nicht immer über genügend Know-how verfügen, um als kompetenter Bauherr aufzutreten. Wie gehen die Wiener Linien bei ihren Bauprojekten vor? Setzen Sie auf Totalunternehmer, Generalunternehmer oder schreiben Sie Einzelgewerke aus?
Steinbauer: Die Wiener Linien haben sich in den vergangenen 40 Jahren, auch aufgrund der Eisenbahnspezifika, einem starken »Bauherrenmodell« mit dem notwendigem Know-how verschrieben, das sich in der Vergangenheit bestens bewährt hat: Projektmanagementaufgaben, die örtliche Bauaufsicht und klassische Bauherrenaufgaben bleiben in den Händen erfahrener Wiener-Linien-MitarbeiterInnen. Die Planungs- und Prüfingenieurleistungen werden extern vergeben und von Ingenieurkonsulenten der jeweiligen Fachbereiche erbracht.
Die Bauleistungen werden ebenfalls an externe Fachfirmen vergeben. Dabei schreiben wir meist in Einzelgewerken aus. In einigen Fällen werden aus strategischen Überlegungen heraus Leistungen gebündelt an (Teil-)Generalunternehmer vergeben, um die Schnittstellen zu reduzieren. Wir fassen Leistungen sinnvoll in Paketen zusammen, denn bei einer Vergabe an einen Generalunternehmer preist dieser auch Kosten für die Koordinierung der Subunternehmer, Risiken etc. in sein Angebot ein. Zusammengefasst hat für uns das »Bauherrenmodell« aufgrund des kontinuierlichen Wiener U-Bahn-Baus Vorteile, bei einzelnen Bauprojekten hat sicherlich der Generalunternehmer seine Vorteile.
Report: Mit dem Bau der U5 stehen auch die Wiener Linien am Beginn eines Megaprojekts. Wie wollen Sie sicherstellen, dass dabei alles glatt läuft?
Steinbauer: Die U5 ist nicht die erste U-Bahn, die die Wiener Linien bauen. Eigentlich können wir sogar behaupten, dass wir seit Beginn des U-Bahn-Baus Ende der 60er-Jahre durchgebaut haben. Das letzte große Teilstück, die U1-Verlängerung nach Oberlaa, wurde im Herbst 2017 offiziell eröffnet. Dementsprechend viel Erfahrung haben wir auch mit der Abwicklung von solchen Großprojekten. Mit dem oben beschriebenen Bauherrenmodell haben wir bereits unzählige Bauprojekte äußerst erfolgreich unter Einhaltung von Kosten- und Terminvorgaben abgewickelt. Darüber hinaus gilt ein durchgängiges Vieraugenprinzip zur ständigen Qualitätskontrolle.
Report: Laut einer aktuellen Umfrage des Bau & Immobilien Report sehen Auftragnehmer den Grund für die häufigen Nachforderungen und nicht vertragskonforme Projektübergabe in der schlechten Planung seitens des Auftraggebers und einem zu hohen Zeitdruck. Wie häufig sehen sich die Wiener Linien mit Nachforderungen oder Baumängeln konfrontiert und wie gehen Sie damit um?
Steinbauer: Entsprechend unserer langjährigen Erfahrung und Referenzen – wir vergeben die Planerleistungen nur nach dem Bestbieterprinzip – werden die so wichtigen Planungszeiträume immer ausreichend bemessen. Nur so können wir eine qualitativ hochwertige Ausschreibung und in letzter Konsequenz ein ebenso erfolgreiches Projektergebnis vorlegen. Sowohl aus laufenden als auch aus abgeschlossenen Projekten fließen die Erfahrungen in die Beschreibung der neu auszuschreibenden Leistungen ein, wodurch wenig Spielraum für Mehrkostenforderungen bleibt.
Nichtdestotrotz können bei Großprojekten, die über einen längeren Zeitraum realisiert werden, immer Änderungen eintreten. Beispielsweise, wenn sich die Normen- und Gesetzeslage ändert. In solchen Fällen sind Zusatzaufträge, die über Mehrkostenforderungen abgewickelt werden, aus unserer Sicht durchaus ein legitimes Mittel.
Baumängel werden durch die intensive Präsenz der Bauaufsicht, geleistet von Wiener-Linien-MitarbeiterInnen vor Ort, und einer laufenden Qualitätskontrolle der erbrachten Leistungen vermieden.
Report: Was würden Sie sich hinsichtlich Nachforderungen von Auftragnehmern wünschen bzw. erwarten?
Steinbauer: Wir würden uns bei Nachforderungen schlichtweg etwas mehr Augenmaß und Qualität bei der Aufstellung der Mehrkostenforderungen der Auftragnehmer wünschen. Leider gibt es auch »Claims«, bei welchen nur bedingt mit Augenmaß gehandelt wird oder die Forderung für uns unschlüssig ist. Konsequenz von übertriebenen Forderungen können jahrelange juristische Auseinandersetzungen sein. Zusammengefasst wünsche ich mir eine faire und kooperative Projektabwicklung für den gesamten Planungs- und Bauprozess.
Report: Seit März 2016 ist das verpflichtende Bestbieterprinzip für öffentliche Aufträge ab einem geschätzten Auftragswert von einer Millionen Euro in Kraft. Wie fällt Ihr zwischenzeitliches Fazit aus? Inwiefern hat sich das Vergabeverfahren dadurch verändert?
Steinbauer: Verbindliche Eignungskriterien haben wir schon vor dem Bestbieterprinzip vorgegeben. Für Dienstleistungsaufträge, wie etwa Planer- oder Prüfingenieurleistungen, wird das Bestbieterprinzip erfolgreich eingesetzt. Das verpflichtende Bestbieterprinzip für Bauleistungen sehen wir jedoch mit gemischten Gefühlen.
Report: Warum?
Steinbauer: Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erklären: Für die Rohbau-Ausschreibungen des U-Bahn-Baus müssen bereits die für den Bau notwendigen Grundstücksrechte sowie auch die Vorgaben der Stadt Wien wie etwa die Verkehrsführung abgeklärt sein. Diese strikten Randbedingungen müssen wir folglich in den Ausschreibungen vorgeben. Die Einhaltung des Eisenbahngesetzes sowie diverser Richtlinien und Normen definieren zudem den Qualitätsstandard des herzustellenden Bauwerks. Aus diesem Grund schreiben die Wiener Linien überwiegend mittels konstruktiver Leistungsbeschreibung aus und legen alle Anforderungen im Leistungsverzeichnis fest, wie die Abmessungen des Bauwerks, das Baumaterial und teilweise auch die Baumethode.
Somit werden bei der von uns gewählten konstruktiven Leistungsbeschreibung schon vorweg verbindliche Anforderungen hinsichtlich wirtschaftlicher und technischer Kriterien, Arbeitnehmerinnen-, Umwelt- oder Brandschutz in der Ausschreibung als jedenfalls herzustellende Qualität vorgegeben. Die Vorgabe von darüberhinausgehenden, sachgerechten Qualitätskriterien ist für uns als öffentlicher Auftraggeber herausfordernd! Wir sind verpflichtet, wirtschaftlich und sparsam mit Steuergeld umzugehen und entsprechend zu planen, auszuschreiben und zu bauen.
Report: Wie sehen Ihre konkreten Erfahrungen aus?
Steinbauer: Nach unseren bisherigen Erfahrungen wird das Vergabefahren im Vergleich zum Billigstbieterprinzip aufwendiger, angreifbarer und komplexer für alle Beteiligten. Die Qualität des Endprodukts wird dadurch nicht besser, die Baukosten jedoch höher. In anderen Unternehmensbereichen, wie etwa bei der Beschaffung von neuen Fahrzeugen, wo funktional ausgeschrieben wird, ist das Bestbieterprinzip definitiv ein sinnvolles Instrument und wird von uns auch erfolgreich eingesetzt.
Report: Wie oft ist es bereits zu Umreihungen gekommen und nicht der Billigste hat den Zuschlag erhalten?
Steinbauer: Aufgrund der bereits sehr hohen Anforderungen, die von den Bestbietern immer in vollem Umfang erbracht werden müssen, sind Umreihungen bei Bauleistungen die absolute Ausnahme.
Die Wiener Linien als Bauherr
Bauinvestitionen 2018:
ca. 250 Millionen Euro
Bauprojekte 2018:
ca. 200 abgeschlossene Projekte
Geplante Bauprojekte 2019:
ca. 180 Millionen Euro
Die aktuell wichtigsten Projekte
Linienkreuz U2/U5: Die Verlängerung der U2 und der Um- und Neubau der U5 sind gemeinsam das wichtigste Zukunftsprojekt für die Wiener Öffis. Nach großen Stadtentwicklungsprojekten wie der U2-Verlängerung in die Seestadt Aspern oder der U1-Verlängerung nach Oberlaa erfolgt nun ein wichtiger Lückenschluss im innerstädtischen U-Bahn-Netz. Aktuell finden Hausertüchtigungen entlang der gesamten Strecke und seit Oktober 2018 Arbeiten am Matzleinsdorfer Platz statt.
NEU4 (U4-Modernisierung): Mit 4. Februar 2019 starteten Generalsanierung und Vorarbeiten für die neue U2-Station Pilgramgasse, die voraussichtlich bis 31. Jänner 2020 dauern wird. Im Juli und August 2019 finden Erneuerungsarbeiten zwischen Längenfeldgasse und Karlsplatz statt, die Renovierung der Station Roßauer Lände wird mit Ende Juni 2019 beendet sein.
Verlängerung der Linie D: Um das Stadtentwicklungsgebiet rund um den neuen Hauptbahnhof noch besser zu erschließen, wird die Linie D bis zur Absberggasse um 1,1 Kilometer und zwei Haltestellen verlängert. Entlang des Helmut-Zilk-Parks wird sie auf einem Grüngleis unterwegs sein und die BewohnerInnen des Sonnwendviertels an die U1 anbinden. Die Fertigstellung ist für Herbst 2019 geplant.
Remisen 2.0: Durch den Ersatz der noch im Einsatz befindlichen Hochflurstraßenbahnen durch Niederflurstraßenbahnen werden Ertüchtigungen der Straßenbahnremisen nötig. Sie werden für die 100-prozentige Niederflurbestückung bis spätestens 2026 fit gemacht.