"Diesen Trend versteh ich nicht"
- Written by Mag. Bernd Affenzeller
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Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Sika-Geschäftsführer Samuel Plüss über aktuelle Forschungsschwerpunkte, die Integration von Bitbau Dörr und die Digitalisierungsstrategie von Sika. Außerdem erklärt er, warum er den aktuellen Trend, dass sich trotz steigender Nachfrage Preise und Margen seitwärts bewegen, nicht versteht und warum er in der Fahrzeugindustrie einen großen Zukunftsmarkt sieht.
Report: Die Bauwirtschaft in Österreich boomt. Inwieweit spüren Sie den Aufschwung in den eigenen Geschäftsbüchern?
Samuel Plüss: In zahlreichen Bereichen und Regionen läuft die Bauwirtschaft dieses Jahr wirklich gut. Diesen positiven Aufwärtstrend spüren wir vor allem bei den Bauwerksabdichtungen, den Kunstharzbeschichtungen, den Betonzusatzmitteln, aber auch im Baustofffachhandel. Gemäß Euroconstruct übernimmt dieses Jahr der Industrie- und Bürobau die Führungsrolle in der Baukonjunktur und löst damit den Wohnbau als stärksten Treiber während vieler Jahre ab. Von diesem veränderten Aufschwung wird Sika Österreich dank seines umfassenden Produktportfolios heute und hoffentlich auch in den nächsten Jahren stark profitieren.
Report: Dem Vernehmen nach hat auch Sika in den letzten Jahren mit einem erhöhten Margendruck zu kämpfen gehabt. Mit welchen Maßnahmen und Argumenten kann es gelingen, Preise und Margen zu erhöhen?
Plüss: Trotz guter Nachfrage und zum Teil fehlender Fachkräfte auf den Baustellen bewegen sich einige Preise und somit auch die Margen seitwärts. Das ist ein neuer wirtschaftlicher Trend, den ich persönlich noch nicht genau verstehe. Ein exorbitanter Preisanstieg gewisser Rohstoffe in der ersten Hälfte dieses Jahres, aber auch die Verteuerung der Logistik und des allgemeinen Lebensunterhaltes sind auch für Sika eine große Herausforderung.
Report: Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?
Plüss: Mit neuen und innovativen Systemen und Produkten, mit der Steigerung von Effizienz und Effektivität in Einkauf, Produktion, Logistik, Kundenservice und Backoffice mittels neuer Technologien, mit einfachen und kundenorientierten Abläufen und natürlich mit hochmotivierten und gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden wir dem Preis- und Margendruck standhalten.
Report: In welchen Bereichen und Produktsegmenten sehen Sie aktuell das größte Wachstumspotenzial?
Plüss: Bei den Bauprodukten sehen wir ganz klar noch Wachstumspotenzial bei Abdichtungen von Dächern und erdberührten Bauwerksabdichtungen aufgrund von klimatischen Veränderungen und häufigen kurzen, aber starken Regenfällen, die viele Konstruktionen gefährden können. Hier findet auch bei der Planung ein Umdenken statt. Weiters ist die Instandsetzung von Betonkonstruktionen und Renovierung im Allgemeinen für den Hochbau, aber auch für Infrastrukturobjekte ein Bereich mit großem Wachstumspotenzial.
Die Arbeitssicherheit ist auch ein wichtiges Thema, somit gewinnen die emissionsarmen Kleb- und Dichtstoffe an Bedeutung, genauso wie die Produkte, die nachhaltig und effizienzsteigernd sind. Auch bei Kunstharzbeschichtungen speziell in Bereichen wie Reinräumen, Krankenhäusern, Schulen oder Kindergärten sehen wir viel Wachstumspotenzial.
Einen Zukunftsmarkt sehen wir auch in der Fahrzeugindustrie, die derzeit einen radikalen Wandel durchläuft. Vor dem Hintergrund der zum Teil hohen Luftverschmutzung in Städten und der angestrebten CO2-Ziele planen zahlreiche Länder Zulassungsstopps für Benzin- und Dieselautos. Wir verfügen über Technologien, um die Autohersteller auf dem Weg in die Elektromobilität zu unterstützen. Mit Produkten wie beispielsweise Strukturklebstoffen und Komponenten zur strukturellen Verstärkung gelingt es, das Gewicht zu reduzieren und gleichzeitig die Sicherheit und den Komfort zu erhöhen.
Report: Wo liegen aktuell die F&E-Schwerpunkte von Sika?
Plüss: Unsere Forschung konzentriert sich darauf, globale Trends wie beispielsweise ressourcenschonende Baumethoden und energiesparende Baumaterialien zu entwickeln sowie dafür zu sorgen, dass Fahrzeuge in Zukunft leichter und sicherer gebaut werden können. Die Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklung im Konzern betrugen 2017 180,8 Millionen Franken, das entspricht 2,0 % des Umsatzes. Weltweit sind über 900 Mitarbeitende im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. Jedes Jahr meldet Sika rund 70 neue Patente an, so dass die Gruppe über ein stetig wachsendes Portfolio geschützter Anwendungen verfügt. Dieses Portfolio umfasst derzeit über 700 spezifische Patentfamilien und über 2.700 Einzelpatente. In Österreich entwickeln und produzieren wir am Standort Bludenz in einem regionalen Kompetenzzentrum neue Produkte im Bereich zementöse Bodensysteme, die den unterschiedlichen Kundenbedürfnissen angepasst und zu einem großen Teil exportiert werden. Bitbau Dörr übernimmt in Innsbruck für die Sika Gruppe eine führende Rolle in der Entwicklung und Produktion von kunststoffmodifizierten Bitumenabdichtungsbahnen.
Report: Bei Sika legt man großen Wert auf Nachhaltigkeit und verfolgt den »cradle to gate« Ansatz. Wie macht sich das in der Praxis bemerkbar? Inwieweit honorieren Kunden diese Anstrengungen?
Plüss: Das Ziel von Sika besteht darin, das nachhaltige Bauen voranzutreiben. Im Hinblick auf Megatrends wie Klimawandel, Wasserknappheit oder steigenden Ressourcen- und Energieverbrauch ist es äußerst wichtig, die Kosten mit den potenziellen Gewinnen für den Kunden sowohl im Hinblick auf die Umwelt als auch auf die Wirtschaft zu vergleichen. Die Kosten beziehen sich auf die Produktion, Anwendung und Entsorgung, während sich die Gewinne aus der Anwendung und Nutzung von Produkten und Systemen ergeben.
Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten steigt ständig und hat auch unsere Zielmärkte und die Anforderungen, die wir an unsere Produkte stellen, verändert. Dabei spielt auch der Arbeitsschutz eine große Rolle – emissionsarme und schadstofffreie Produkte sind sehr gefragt. Auch Produkte mit einem geringeren CO2-Fußabdruck kommen immer mehr zum Einsatz.
Report: Anfang 2017 hat Sika die Bitbau Dörr übernommen. Wie ist die Integration des Unternehmens gelaufen?
Plüss: Mit den Marken Sikaplan und Sarnafil ist Sika der Marktführer mit Kunststoff-Abdichtungsbahnen auf dem Dach wie auch bei erdberührten Bauwerken in Österreich. Bitbau Dörr ist damit eine perfekte Ergänzung des existierenden Produkt- und Kundenportfolios. Mit hochqualitativen Bitumen-Abdichtungsbahnen, kompletten Dach- und Dämmsystemen sowie einer professionellen und erfahrenen Vertriebs- und Supportorganisation konnte Sika Zugang zu neuen Kunden und Märkten gewinnen.
Dank der motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Firmen, eines komplementären Produkt- und Kundenportfolios sowie einer ähnlichen Unternehmenskultur verläuft die Integration problemlos.
Report: Aktuell gibt es in der Bauwirtschaft kein Vorbeikommen an BIM. Ist Sika heute bereits BIM-fit? Welche BIM-Lösungen hat man schon im Angebot?
Plüss: Sika hat bereits vor einigen Jahren damit begonnen, dreidimensionale Modelle für Dachabdichtungen, Abdichtungen im Tiefbau, Fugenbänder und Bodenbeschichtungen zu entwickeln und zu veröffentlichen. Diese Objekte können in ein Gebäudeinformationsmodell integriert werden, um die Planung, Gestaltung und Fertigstellung von Bauprojekten zu optimieren. Die Datenbank wird ständig aktualisiert und neue BIM-Modelle werden hinzugefügt. Letztes Jahr waren wir gemeinsam mit Architekten, Baufirmen und Baustoffproduzenten als Teilnehmer bei einem Pilotprojekt der Niederösterreichischen Landesregierung und des ecoplus Clusters dabei. In diesem Kooperationsprojekt wurden die BIM-Objekte bei der Planung von unterschiedlichen Gebäudetypen anhand praktischer Beispiele erfolgreich implementiert. Derzeit sind wir dabei, alle unsere Mitarbeiter am Markt BIM-fit zu machen.
Aber nicht nur BIM, sondern auch Industrie 4.0 spielt eine große Rolle. Wir haben auf der ETH Zürich gesehen, wie Betonelemente mit einem von Sika entwickelten 3D-Drucker einfach und effizient produziert werden können. Digitales Marketing wie beispielsweise E-Shops sowie künstliche Intelligenz werden in Zukunft auch für Sikas Zielmärkte eine noch größere Rolle spielen. Das bedeutet, dass sich das Wissen und die Fähigkeiten unserer Mitarbeiter und Kunden verändern werden. Diese Entwicklungen sind für uns eine große Chance und werden uns kurz- und mittelfristig stark beschäftigen.