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»Wir müssen alles kritisch hinterfragen«

»Wir müssen alles kritisch hinterfragen«

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, warum der Wohnbaufördertopf 2016 weniger gut gefüllt ist als 2015, spricht über die neue Wiener Wohnbauoffensive und legt dar, wie er die Kosten im Neubau senken will, ohne auf eine »Billigschiene« zu setzen wie andere Bundesländer.

Report: Die Stadt Wien hat das Wohnbauförderbudget 2016 von 640 Mio. Euro auf 582 Mio. Euro reduziert. Was sind die Gründe für diese Reduktion?

Michael Ludwig: Ich gehe davon aus, dass wir unsere vorgesehene Neubauleistung mit diesem Budget realisieren können. Wir haben zusätzlich zu diesem Budget auch entsprechende Rücklagen gebildet, die wir auch einsetzen werden.

Report: Während die Dotierung für den Neubau annähernd gleich bleibt, wird vor allem in der Sanierung gespart. Warum?

Ludwig: Wir haben in beiden Bereichen in den letzten Jahren einen Höchststand erreicht. In den nächsten Jahren wird der Schwerpunkt beim Neubau liegen, wir werden aber die Sanierung nicht vernachlässigen. Man muss aber schon sehen, dass wir weite Teile der Stadt in den letzten Jahren saniert haben. Seit es die sanfte Stadterneuerung gibt, und das sind immerhin 40 Jahre, haben wir insgesamt 335.000 Wohnungen gefördert saniert. Das ist mehr als ein Drittel aller Wohnungen.

Report: Man kann aber noch nicht davon sprechen, dass der Sanierungsbedarf  der Stadt gestillt ist?

Ludwig: Nein, das nicht. Wir haben zwar einen Großteil der Gründerzeitviertel saniert, aber wir haben noch viele Gebäude aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren, die einer thermisch-energetischen Sanierung bedürfen. Das wird jetzt auch angegangen.

Report: Was waren die konkreten Gründe für die Reduktion des Wohnbauförderungsbudgets?

Ludwig: Man muss immer darauf achten, dass ein Budget stabil hält. Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind immer noch spürbar, auch wenn wir sie in Wien durch eine Reihe von Investitionsprogrammen gut gemeistert haben. Das gilt vor allem auch für den Wohnungsneubau und die Sanierung, um die Bauwirtschaft zu stützen.

Report: Sie haben eine Wohnbauoffensive für Wien angekündigt. Dabei geht es auch um Mittel der Wohnbauinvestitionsbank. Ist die Wiener Wohnbauoffensive also als Teil der Bundeswohnbauoffensive zu sehen oder ist es wirklich eine zusätzliche Schiene?

Ludwig: Wir wollen die hohe Neubauleistung der letzten Jahre nicht nur halten, sondern um noch einmal ein Drittel erhöhen. Das wird nur mit verstärkten Investitionen möglich sein und indem wir Grundstücke zur Verfügung stellen. Mit der Wiener Wohnbauinitiative haben wir schon 2011 ein solches Zusatzprogramm geschaffen. Und ich bin schon ein wenig stolz, dass sich die Bundesregierung dieses Modell näher angesehen und vorgeschlagen hat, Ähnliches umzusetzen. Wie das konkret ablaufen wird, muss man sich noch im Detail ansehen. 
Die von mir angekündigte Wiener Wohnbauoffensive werden wir nur stemmen können, wenn wir alle diese Möglichkeiten ausschöpfen und mit eigenen Mitteln erhöhen.

Report: Wie viel eigenes Geld wird Wien für die Wohnbauoffensive locker machen und wie viel wird vom Bund kommen?

Ludwig: Das kann man noch nicht sagen, weil wir auch noch nicht wissen, wie die Abwicklung der Bundeswohnbauoffensive mit der Wohnbauinvestitionsbank im Detail aussehen wird. Wir wollen aber natürlich möglichst viele Mittel abholen, deshalb begrüßen wir auch alle Anstrengungen des Bundes und der Sozialpartner. Denn die anstehenden Herausforderungen können wir nur gemeinsam und nicht gegeneinander lösen.
Alles, was dazu dient, zusätzliche Projekte in Gang zu bringen, ist von Vorteil. Außerdem schafft man damit ein positives Investitionsklima. Ich habe oft den Eindruck, dass in Österreich die Stimmung deutlich schlechter ist als die tatsächliche Wirtschaftslage.

Report: Ein wesentlicher Punkt dieser Wohnbauoffensive sind kürzere Verfahrenszeiten. Kann dies auch zum Vorbild für Projekte der Wohnbauförderung werden?

Ludwig: Ich bin dafür, dass wir sämtliche Verfahren überprüfen und evaluieren. Da konnten wir in der Vergangenheit auch schon einiges verbessern. Aber die Ansprüche ändern sich natürlich, auch im Wohnbau. Da muss man dann innehalten und kritisch hinterfragen, ob alles, was sich historisch entwickelt hat, den Anforderungen der Gegenwart standhält. Das habe ich jetzt vor. Ich habe berechnet, wenn das Planungs- und das Wohnbauressort gemeinsam intensiv an den verschiedenen Beiräten und Kommissionen arbeiten, kann der Ablauf drastisch reduziert werden. Die Zeitspanne zwischen Planung und Übergabe soll von 36 auf 32 Monate reduziert werden. Dafür müssen wir in allen Bereichen noch enger zusammenarbeiten.    

Report: Auch bei den Planungs- und Errichtungskosten soll gespart werden. Wo genau wollen Sie sparen und entspricht das der von vielen geforderten »Billigschiene« im geförderten Wohnbau?

Ludwig: Natürlich geht es auch darum, Kosten zu reduzieren. Das muss aber nicht unbedingt zu Lasten der Qualität gehen. Wie es gehen kann, zeigt unser SMART-Wohnungsprogramm. Da werden mit intelligenten Grundrissen Flächen und damit Kosten einge­spart. Auch im Zuge der letzten Novelle der Bauordnung haben wir Schritte gesetzt, um die Kosten zu reduzieren, etwa mit dem Wegfall der Notkamine oder der Reduktion der Stellplatzverpflichtung.
Was ich nicht will, ist eine gesonderte Billigschiene. Aber ich werde alles durchforsten und ausmisten, was die Kosten in die Höhe treibt.

Report: Woran denken Sie konkret?

Ludwig: Ich denke, dass wir bei der hohen Qualität, die wir bei der Freiraumgestaltung erreicht haben, Abstriche machen können, ohne dass die Lebens- und Wohnqualität beeinträchtigt wird. Für viele, vor allem Jüngere, ist so etwas wie eine Stadtwildnis vielleicht auch attraktiver als parkähnliche Anlagen. Ich möchte auch sehr kritisch die Gemeinschaftsräume hinterfragen, die oft nur sehr wenig genutzt werden, aber in der Herstellung sehr aufwendig und teuer sind. Da ist es vielleicht sinnvoller, nicht in jedem Gebäude einen Gemeinschaftsraum zu errichten, sondern vielleicht in einem zentralen Gebäude einen größeren. Auch bei der Stellplatzverpflichtung sehe ich noch Möglichkeiten, Kosten zu sparen.

Report: Sie wollen im Rahmen der Wiener Wohnbauoffensive auch bei der Qualität der Fenster oder der Wärmedämmung sparen. Mit wie viel Widerstand seitens der Wirtschaft rechnen Sie?

Ludwig: Das Spannende an meinem Ressort ist, dass man ständig mit Lobbyisten zu tun hat. Man kann keine Maßnahmen setzen, ohne Lobbyisten auf den Plan zu rufen. Davon darf man sich aber nicht beirren lassen. Mir geht es darum, sinnvolle Maßnahmen zu setzen für die Menschen, die schlussendlich in den Wohnungen leben. Der Weg dorthin ist veränderbar. Mir geht es nicht um Projekte, die in Architekturzeitungen vorgestellt werden, sondern um die Wohnzufriedenheit.
Wir machen auch verstärkt eine Lebenszyklusanalyse, um die besten Materialien und Konzepte für die jeweiligen Projekte und Standorte zu finden. Es gibt Standorte, wo ein Niedrigenergiehaus in Verbindung mit Fernwärme energetisch sinnvoller ist als ein Passivhaus, anderswo ist es vielleicht das Niedrigstenergiehaus. Das muss man flexibel sehen.

Report: Wollen Sie auch bei den architektonischen Ansprüchen zurückfahren?

Ludwig: Das ist ein heikles Thema, denn die Architekturkritik ist sehr starken Wandlungen unterworfen. Das sieht man etwa am Beispiel Harry Glück, der mit Alt Erlaa einen sehr markanten Bau geschaffen hat, der in der Bewertung ein ständiges Auf und Ab erlebt hat. Unabhängig von diesen Strömungen war die Wohnzufriedenheit in Alt Erlaa über die Jahrzehnte hinweg ungebrochen hoch.

Report: Sie haben wiederholt festgehalten, dass Sie keine Bevorzugung einzelner Baustoffe wollen. Gleichzeitig kündigen Sie ein Sofortprogramm an, mit dem noch heuer 1.000 Wohnungen in Holzbauweise errichtet werden sollen. Ist das nicht die klassische Bevorzugung eines Baustoffes?

Ludwig: Es hat jeder Baustoff seine Vorteile. In diesem Fall soll es um schnelle Lösungen gehen. Und da eignet sich Holz besser als die Massivbauweise. Aber das ist punktuell und nur für dieses Programm.

Report: Mit dieser Wohnbauoffensive sollen ab 2017 jährlich 13.000 Wohnungen statt 10.000 Wohnungen in Wien entstehen. Wien ist aber bereits im letzten Jahr um 40.000 Menschen gewachsen. Wie soll der kurzfristige Bedarf gedeckt werden?

Ludwig: Wir haben schon in der Vergangenheit bewiesen, dass wir auf neue Herausforderungen sehr flexibel reagieren können. Das gilt natürlich auch für den Wohnbau. Wir sind sowohl quantitativ, aber auch qualitativ immer einer Veränderung unterworfen. Wir wollen für alle Menschen, die neu in unsere Stadt kommen, Wohnraum anbieten, aber es wird nicht möglich sein, dass alle, die anderswo keine Wohnung bekommen, nach Wien kommen und hier eine geförderte Wohnung bekommen. Das liegt auch daran, dass die gesellschaftspolitische Akzeptanz für viele Neubauprojekte überschaubar ist.

Ich würde mir manchmal mehr Unterstützung gegenüber Bürger- und Anrainerprotesten wünschen. Wenn wir eine Weiterentwicklung der Stadt wollen, brauchen wir eine positive Stimmung und Einstellung gegenüber Veränderung und neuen Projekten.

Report: Mit welchem Gefühl blicken Sie aktuell in die Zukunft?

Ludwig: Wir haben im Moment mehrere Herausforderungen zu bewältigen, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Da ist die Wirtschaftskrise, die seit 2008 anhält und der wir nach wie vor mit konjunkturbelebenden Maßnahmen begegnen müssen, was wir als Stadt Wien auch tun. Dann ist da natürlich die Flüchtlingsproblematik, die für ganz Europa eine enor­me Herausforderung darstellt. Das wird auch eine Überlebensfrage für die Europäische Union sein. Wenn Sie nach meinem Gefühl fragen: Ich denke, es ist wichtig, dass man mit Optimismus an diese Fragen herantritt. Aber es ist wichtig, gemeinsam aufzutreten. Von einem gegenseitigen Ausspielen von Politik und Wirtschaft halte ich gar nichts.

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