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»Know-how hilft hier nicht weiter«

\"MarcoMitnaschen am türkischen Wirtschaftswunder wollen viele, doch worauf muss man achten?

Marco Garcia, Handelsdelegierter der Wirtschaftskammer Österreich in Istanbul, über Zukunftsbranchen, Bildungsdefizite und Marktstrategien.

(+) plus: Welche Branchen haben in der Türkei die besten Chancen?
Marco Garcia: Es gibt keine Branche, die bei einem Wirtschaftswachstum von 8,9 Prozent in 2010 und von elf Prozent im ersten Quartal 2011 (höher als China) nicht partizipieren könnte. Die Frage ist eher, welche Branchen in Österreich bei einem derartigen Wachstum auch mithalten können. Und hier würde ich vor allem das Baunebengewerbe, Erneuerbare Energie, Holz, Medizintechnik usw. nennen. Aber selbst bei lateralen Produkten, wie z. B. Lebendrinder, hat sich vor allem 2011 ein kleiner, aber feiner Nischenmarkt geöffnet, mit großen Wachstumsraten. Und sogar bei Konsumgütern gelingt es uns, »Eulen nach Istanbul« zu tragen, wie es bei Gewürzen passiert.

(+) plus: Müssen Unternehmen hinsichtlich Bürokratie, Transparenz, Rechte etc. mit Schwierigkeiten rechnen?
Garcia: Die Markteintrittsbarrieren sind in der Türkei nicht größer oder kleiner als in so manchen EU-Ländern. Die Türkei hat eine Zollunion mit der EU, wodurch fast alle Produkte zollfrei in die Türkei exportiert werden können. Die Schwierigkeit für die österreichischen Unternehmen liegt eher in der falschen Markteintrittsstrategie. Die Türkei ist ein kapitalistisch strukturiertes Land. Osteuropa-Know-how hilft hier nicht viel weiter – es ist eher ein Hindernis. Wenn ich die Türkei mit dem Exportteam, welches für Italien, Spanien oder die USA zuständig ist, bearbeite, habe ich große Chancen, alles richtig zu machen. Die Türkei nebenbei von einer Osteuropa-Niederlassung aus zu managen, ist selten von Erfolg gekrönt. Das wird aber leider sehr oft versucht.

(+) plus: Trotz der sehr jungen Bevölkerung ist die Beschäftigungsquote in der Türkei recht niedrig, vor allem Frauen sind kaum erwerbstätig. Kann das hohe Wirtschaftswachstum unter diesen Bedingungen weiter bestehen?
Garcia: Ja. Die Türkei kann auf große Bildungsreserven zurückgreifen und macht das auch. Wie funktioniert das? Top ausgebildete türkische Hochschulabsolventen kehren aus den USA und England aufgrund der guten Karriereaussichten meistens in die Türkei zurück. In Ballungszentren wie Istanbul, Ankara, Izmir und Bursa gibt es sehr gute Schulen und Universitäten. Und auf Facharbeiterebene hat ein Trend der Rückwanderung eingesetzt. Für Türken aus Deutschland und Österreich gibt es in der Türkei bessere Jobchancen als in Westeuropa. Eine geringe Beschäftigungsquote mag eine statistische Unschärfe darstellen, die nicht überbewertet werden soll. Der informelle Sektor ist in der Türkei laut aktuellen Pressemeldungen sehr stark.

(+) plus: Der durchschnittliche Schulbesuch beträgt nur sieben Jahre. Finden Unternehmen ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte?
Garcia: Das Lehrlingsausbildungssystem oder berufsbildende höhere Schulen, wie wir sie in Österreich, Deutschland und der Schweiz kennen, sind in der Türkei unterentwickelt. Die Türkei denkt mehr »entrepreneurial« – das heißt, man erwartet und fordert daher vom Staat nicht so viel wie in unserem Kulturkreis. Man geht die Sache selbst an, gründet Privatuniversitäten und Lehrwerkstätten, die den eigenen Ansprüchen genügen. Da der türkische Mitarbeiter sehr loyal ist, zahlt sich diese Investition aus. Das scheinbare Manko der kurzen Schulzeit kann damit ausgeglichen werden.

(+) plus: Welche kulturellen Besonderheiten sollten vor einem Markteintritt berücksichtigt werden?
Garcia: Da braucht man nichts Spezielles beachten – nicht einmal Alkohol beim Essen oder Frauen in Führungspositionen stellen bei der Kontaktaufnahme Probleme dar. Man soll sich jedoch bewusst sein, dass Türken Händler und keine Ingenieure sind. Während ein Österreicher immer versucht, das beste Produkt zu entwickeln, wird ein Türke immer nach einem Produkt suchen, welches ihm den größten Ertrag im Verkauf bringt. Immaterielle Firmenwerte, Markennamen oder Produktentwicklung überlassen sie lieber anderen und werden bei Bedarf zugekauft. Aufgrund dieser Unterschiede laufen fast alle Verhandlungen langwierig und oft auch ergebnislos ab. Wer sich darauf einstellt, wird schnell Alternativen suchen, um den Markt erfolgreich aufzurollen.




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