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Schallmauer durchbrochen

\"ImDie Gasturbinenhersteller trachten danach, Effizienz und Wirkungsgrad ihrer Anlagen stetig zu steigern. Alstom hat deshalb um 100 Millionen Euro am Standort Birr in der Schweiz einen Gasturbinenprüfstand errichtet.

Clemens Rosenkranz aus Birr, Schweiz

 

Um die Komplexität eines kombinierten Gas- und Dampfkraftwerks darstellen zu können, hat Alstom Journalisten zu einem Zeitpunkt zur Besichtigung der Anlage geladen, nachdem die Gasturbine nach einem Testlauf komplett in die Einzelteile zerlegt worden war. Konkret wird am Standort in Birr im Kanton Aargau die neueste Version der Gasturbine GT 26 betrieben. Alstom hat mit seinem jüngsten Upgrade auch ein online umschaltbares Bedienkonzept eingeführt. Ein Kraftwerksbetreiber kann nun auf Basis der Stromnachfrage und des Tarifs zwischen zwei Führungsmethoden der Anlage wählen: Er kann diese bei hoher Nachfrage oder Preisen im Performance-optimierten Modus fahren, mit Standardintervallen zwischen den Inspektionen. Oder er kann den Lebenszeit-optimierten Modus wählen, der zwar eine etwas niedrigere Leistung bringt, aber dafür den Abstand zwischen den Großrevisionen verlängert und damit die Wartungskosten reduziert.

Mit den Verbesserungen an den Gasturbinen und dem Wasser-Dampf-Kreislauf hat Alstom im Rennen mit den Konkurrenten Gleichstand beim elektrischen Wirkungsgrad erreicht. Rund 60 %, das ist derzeit das Maß aller Dinge. Alle Player sind bemüht, mit weiteren technologischen Verbesserungen noch das eine oder anderen Prozentpünktchen herauszuholen. Dennoch: Experten sehen bei 65 % das Ende der Fahnenstange. Der in den vergangenen Monaten bei fast allen Produzenten erfolgreiche Sturmlauf zum Erreichen der 60-Prozent-Marke kommt nicht von ungefähr: Denn jedes Prozent mehr an Wirkungsgrad spart Kraftwerksbetreibern auf die Lebensdauer der Anlage gerechnet bis zu 30 Millionen Euro. Zugleich bringt das weniger Emissionen – in Zeiten immer strengerer Auflagen ebenfalls ein wesentliches Argument für potenzielle Käufer. Und davon gibt es laut Mark Coxon, dem Senior Vice President der Alstom-Sparte Power & Gas, mehr als genug.

Rosige Aussichten

Coxon sieht global rosige Aussichten gerade für kombinierte Gas- und Dampfturbinenkraftwerke der neuesten Generation. Er prognostiziert, dass in den kommenden fünf Jahren weltweit Anlagen mit einem Volumen von 260 Gigawatt nachgefragt werden. Motor der steigenden Nachfrage nach Gasturbinen ist der forcierte Ausbau der Erneuerbaren. Durch den stetig steigenden Anteil von Wind und Photovoltaik nehme auch der Bedarf nach gasgetriebenen Kraftwerken weiter zu. »Wenn kein Wind weht oder keine Sonne scheint, ist ein Backup nötig, das sehr schnell hochgefahren werden kann«, sagt Coxon. Um dann stolz auszuführen: »Alstom ist ein Pionier im Bereich der Betriebsflexibilität. Mit den neuesten Entwicklungen bieten wir heute eine Technologie an, die den höchsten Wirkungsgrad von niedrigster Teillast bis zur Volllast umfasst und gleichzeitig die beste Flexibilität für die Unterstützung der zunehmenden erneuerbaren Energien aufweist.« Wenn die Anlage bei Grundlastbetrieb arbeitet, könne sie mehr als 500 MW an elektrischer Leistung liefern. Damit könne man den Strombedarf von einer Million Haushalten decken.

Jüngste Verkaufserfolge von Alstom: Anfang Juni wurde in Mailand ein Kombikraftwerk mit einer Gas- und Dampfturbine der neuesten Generation in Betrieb genommen. Seit Mitte September läuft in Newport in den USA eine Anlage mit gleich zwei Gas- und einer Dampfturbine mit einer Leistung von 700 MW. Das Know-how stammt aus Birr, dem Konzernkompetenzzentrum für Turbinen und Turbogenerator-Rotoren. Herzstück ist die Testanlage, die seit Sommer nach nur zwei Jahren Bauzeit läuft. »Birr ist ein wichtiger Bestandteil unserer globalen Gasturbinenstrategie und auch sehr wichtig für Alstom«, bringt man es auf den Punkt. In der Schweiz sind 6.000 Mitarbeiter auf der Payroll, davon sind 3.000 Ingenieure und Techniker. Zum Werk gehören neben der imposanten Testanlage eine Rotorenfabrik, Labors für Forschung und Entwicklung sowie ein Rekonditionierungscenter, wo bestehende Turbinen eine Modernisierungs-Fitnesskur verpasst bekommen. Die Rotorenfabrik selbst besteht aus fünf Abteilungen: Turbinenrotoren, Schaufeln, Turbogenerator-Rotoren, Rotorenbalancieren und Wicklungsfertigung.

Gas als Brückentechnologie

Grundsätzlich konstatiert Coxon einen kompletten Paradigmenwechsel bei den Anlagenbetreibern, sprich den Stromkonzernen. Nur noch 10 % der bestehenden Kunden von Kombi-Kraftwerken würden ihre Anlagen so betreiben, wie sie es errichten hätten lassen. »Die meisten Kunden produzieren mit einem Load-Faktor zwischen 60 und 80 %, wodurch die Effizienz der Turbine auf einem niedrigeren Niveau deutlich wichtiger geworden ist.« Weitere Veränderung: Im Jahr 1996 sei die extrem flexibel einsetzbare zweistufige Verbrennung in der Turbine überhaupt noch kein Thema gewesen, damals habe die E-Wirtschaft Gaskraftwerke schwerpunktmäßig nur für die Erzeugung der Grundlast eingesetzt. Heute sehe die Welt aber ganz anders aus, so Coxon: »Gaskraftwerken ist in den vergangenen zehn Jahren ihre Funktion als Grundlastlieferant verloren gegangen. Auf diese Entwicklung habe man bei der Entwicklung des neuen Ferrari aus dem Alstom-Turbinenrennstall Rücksicht genommen. Und diese vom Kunden geforderte neue Flexibilität beschränke sich nicht nur auf die Gasturbine, ähnliche Auslegungsspielräume seien auch beim Dampfkreislauf und den Kesseln erwünscht.
Der stetig steigende Anteil der Erneuerbaren stellt die Turbinenhersteller vor neue Herausforderungen. So meint auch der für den Energiesektor zuständige Siemens-Vorstand Michael Süss: »Der Pferdefuß von Gas ist, dass damit betriebene Kraftwerke im Zuge der Energiewende auf nicht genügend Betriebsstunden kommen, um sie wirtschaftlich fahren zu können.« Trotzdem: Erdgas ist eine lukrative Brückentechnologie und hat mit 380 Gramm pro Kilowattstunde die geringsten Emissionen unter den Fossilen – und das bei den im Verhältnis niedrigsten Investitionskosten am Markt.

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