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Visionen aus Graz

Friedrich Steinbrucker werkt seit 1999 als IT-Leiter in österreichs zweitgrößter Stadt. War bis vor zwei Jahren noch die typische Download­ecke für den kommunalen Formularverkehr auf der Stadthomepage graz.at zu finden, ist seit Sommer 2005 eine mit allen Wassern gewaschene E-Government-Plattform in Betrieb. Begonnen hatte man mit vier Basisdiensten, darunter ein Verfahren zur Müllabfuhränderung. Heute sind rund 40 Dienste für die Bürger aufgesetzt, die Plattform wird bereits »erfreulich oft« genutzt. Die Grazer Verwaltung hat auf dieser Ebene über 20.000 Verfahren in eineinhalb Jahren abgewickelt. »In absoluten Zahlen ist das noch nicht die Welt. In Relation zur Durchsetzung von E-Government ist es aber eine schöne Zahl«, rechnet Steinbrucker vor.

E-Government lebt von den Anwendungen und Verfahren für die Bürger und Wirtschaft. Diese aber auch kostengünstig anbieten und umsetzen zu können - das hat sich der Grazer Amtsleiter fest vorgenommen. »Wir wollten nicht für jedes einzelne Verfahren ständig neue Applikationen entwickeln, sondern eine Wiederverwendbarkeit der Prozesse ermöglichen«, erklärt er. Also wurden damals jene Basisdienste analysiert, die für jedes der Verfahren - ob Baugenehmigung oder Gewerbeanmeldung - stets gleich sind, wie etwa Signaturen, Anmeldevorgänge, elektronisches Zahlen oder das Zustellen von Dokumenten. Das Resultat heute: Die Grazer sitzen nun auf einer wertvollen Plattform, die all diese Basisdienste enthält - die Module ermöglichen es, E-Government-Verfahren rasch umzusetzen. Freilich ist alles noch in den Anfängen. Steinbrucker und sein Team haben die Erfahrung gemacht, dass bei entsprechender Bekanntheit die Bürger aber keine Hemmungen haben, die neuen Dienste im Internet zu nutzen. Ein Beispiel: Die amtliche Lenkerauskunft nach Zahlungsverzögerungen bei einer Anonymverfügung enthält gleich den Hinweis für den Einzahler, den Bezahlvorgang auch übers E-Government bewerkstelligen zu können. Die Nutzerquote in Graz: über 50 Prozent. Dort, wo der Bürger von der Möglichkeit weiß, Verfahren elektronisch abzuwickeln, »dort werden diese auch genutzt«, weiß man.

ähnliche Offenheit und Begeisterung der Bürger konnte die Stadtverwaltung bei der vergangenen Nationalratswahl beobachten. Die Möglichkeit der Stimmabgabe mittels elektronischen Wahlkarten wurde groß beworben. Von insgesamt 14.000 ausgestellten Karten in Graz wurden 9.500 elektronisch ausgestellt. Marketing, die Anwendungen selbst und das Wissen über die Anwendungen sind die wesentlichen Aufgaben des E-Government, sagt Steinbrucker. Wenn der IT-Manager von Marketing spricht, steht dann auch mal ein großes Zelt am Grazer Hauptsplatz, in dem die Onlineservices der Stadt präsentiert und erklärt werden. »Wir hatten eine hervorragende Resonanz auf das Informationsangebot«, berichtet er. Vor allem ältere Personen und körperlich Behinderte sehen die Vorteile des elektronischen Amtsweges. Viele ältere Menschen würden Internet- und PC-Kurse besuchen und dadurch ein Faible für die Bürgerdienste im E-Government entwickeln.

Und wie sieht es mit dem Begriffsverständnis aus? Darf man überhaupt E-Government sagen? Nein, sagt Steinbrucker. Der Begriff sei zu technisch, haben die Grazer anhand eigener Umfragen abgetestet. Die Worte »Bürgerservice« und »online«, umschreiben das Themengebiet verständlicher. Der Abteilungsleiter weiß, wovon er spricht: Vor seinem Quereinstieg in die Verwaltung saß er in der Geschäftsführung bei dem Kundenservicespezialisten Pidas in Zürich.

Servicegedanken unterstützt. E-Government wird in Graz mehr als nur als Portal zur öffentlichen Verwaltung gesehen, da sich in den nächsten Jahren die Art der Dienstleistungserbringung auch intern stark verändern wird. Dabei soll der persönliche Bürgerservice über die Servicestellen der Stadt ausgebaut, gleichzeitig aber auch die Automatisierung auf Onlineebene verbessert werden. Steinbrucker und sein Team versuchen derzeit auch stärker, die Wirtschaft als E-Government-Kunden zu gewinnen. Aktuell prüft man in zwei Pilotprojekten mit großen Grazer Unternehmen das Einsparungspotenzial bei den bilateralen elektronischen Abläufen. »Es ist ja auch in der Verwaltung möglich, die Effizienz in den Verfahren zu verbessern«, stellt sich der Amtsleiter dem verstaubten Image der Behörden entgegen. Ein Beispiel für einen solchen Prozess: Bei der in Industrie­unternehmen sehr häufig vorkommenden Betriebsanlagengenehmigung sind komplex unterschiedliche Bereiche wie Umweltverträglichkeit, Baubehörden oder das Gewerbeamt involviert. Die unterschiedlichen Prozesse werden in einer idealen Verwaltungswelt dann in einem einzigen Ablauf für das Unternehmen konsolidiert sein.

über den Städtebund hält Steinbrucker Kontakt zum Fachausschuss für IT (FIT) und nimmt regelmäßig an Treffen zum Thema E-Government teil. »Was für Graz gut ist, muss auch für andere gelten können«, ist das Motto, Basisdienste und sogar ganze Verfahren auch anderen Städten zugänglich zu machen. Im Zuge eines EU-Projektes wurde nun eine Kooperation mit 16 Umlandgemeinden - dem Speckgürtel um Graz - begonnen.

Große Shopzukunft. Steinbrucker will die E-Government-Plattform nun Richtung E-Shop vorantreiben. »Wir versuchen, Verwaltungsleistungen ähnlich bildlich wie im E-Business und E-Commerce in Produktform darzustellen.« Dabei geht es um nichts weniger als die nächste Generation des E-Government, in der Formulare aufgrund unterschiedlicher Attribute dynamisch generiert werden. Prozesse und Verfahren werden dabei in Produktkomponenten zerlegt. Dahinter werden Regeln automatisch abgefragt, die im klassischen E-Business kaum vorkommen. Im E-Government muss etwa für eine Antragstellung ein Hauptwohnsitz in der Kommune vorliegen, bei Kraftfahrzeugverfahren ist eine Zulassungsberechtigung erforderlich. Beim One Stop Shop soll dies automatisch passieren. Heuer will man bereits mit den ersten Produkten online gehen.

Der »No Stop Shop« als weitere visionäre Idee wird die Verwaltung wiederum in Zugzwang gegenüber dem Bürger bringen - beispielsweise in der Arbeitnehmerveranlagung, die im Anlassfall proaktiv zurückerstattet werden könnte. Auch andere Verfahren sind in Lebenssituationen des Bürgers, in denen er einen Antrag nur noch anstoßen muss, denkbar. Etwa bei der Geburt eines Kindes oder einer Heirat. »Die Verwaltung weiß dann ohnehin, was zu tun ist und welche Berechtigungen im Raum stehen. Es wird sich in der nächsten Zeit einiges dazu im Sinne der Bürger ändern«, ist Steinbrucker optimistisch.

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