Schachmatt wegen Code-Diebstahl
- Written by
- font size decrease font size increase font size
In der vergleichsweise kleinen Community der Schachprogramm-Enthusiasten schlug ein kleines Posting ein wie eine Bombe: Ende Juni disqualifizierte die International Computer Games Association (ICGA) nachträglich das Schachprogramm Rybka und erkannte rückwirkend alle vier Weltmeistertitel ab. Aber nicht nur das: Die ICGA fordert von Rybka-Entwickler Vasik Rajlich auch die Preisgelder und Pokale zurück und sperrte die Programmierlegende auf Lebenszeit von weiteren Teilnahmen an ICGA-Weltmeisterschaften aus. Innerhalb von Stunden quollen die einschlägigen Foren – der Traffic ist normalerweise überschaubar – förmlich über. In Tausenden Postings wurden Fassungslosigkeit, Bestürzung, Unglauben und Kritik über die harte ICGA-Entscheidung geäußert. Drei Tage später hatten auch die internationalen Medien den Skandal spitz gekriegt. New York Times, Spiegel, BBC und Co griffen die Story prominent auf, während die heimischen Medien die Geschichte weitgehend verschliefen.
Was war passiert? Der Serienweltmeister Rybka dominiert seit 2007 als stärkstes Schachprogramm die Szene fast nach Belieben. Normalerweise dauert die Entwicklung eines starken Programmes Jahre, aber aufgetaucht ist die kommerzielle Software wie aus dem Nichts. Die ersten Versionen spielten in der Kategorie »ferner liefen«, kurz später war Rybka bereits Weltmeister. Eine mögliche Erklärung liefert das ICGA-Verdikt. Demnach nahm Rajlich eine »Abkürzung« und bediente sich über die Maßen bei Open-Source-Software, freilich ohne Urheberrechte oder Lizenzen zu beachten. Leicht war die Prüfung nicht. Anders als in den ICGA-Statuten vorgesehen, verweigerte Rajlich die Herausgabe der Quellcodes, worauf ein Untersuchungsausschuss das Programm ein halbes Jahr lang via Reverse Engineering erst mühsam zerpflücken musste.
>> Apple drückt ein Auge zu <<
Das Ergebnis des Ausschusses – eine geballte Ansammlung von Software-Kompetenz – war einstimmig: Die früheren Rybka-Versionen bedienten sich demnach freizügig bei Sourcecode aus Programmen wie Crafty und Fruit. Rechtlich gesehen hat die ICGA-Entscheidung bis auf Imageverlust keine Folgen. Noch, denn die Untersuchungsergebnisse wurden auch an die Free Software Foundation (FSF) weitergeleitet. Diese kümmert sich als Hüterin auch um die Einhaltung und Durchsetzung von GPL-Lizenzen (siehe Kasten). Sollte die FSF den von der ICGA zugespielten Ball aufnehmen, wird es nicht nur für Rajlichs eigene Firma eng. Rybka war etwa das kommerzielle Zugpferd von internationalen Schachsoftware-Vertrieben wie der Hamburger ChessBase GmbH. Auf deren Webseiten wurde der sensationelle ICGA-Spruch bislang konsequent verschwiegen. Auch eine Anfrage des Report Plus blieb unbeantwortet.
Ein möglicher Grund: Sollte die FSF die Causa tatsächlich aufgreifen, stehen neben Lizenzfragen auch Schadensersatzansprüche im Raum. Höchst schweigsam gibt sich auch Apple (siehe Kasten). Im hauseigenen App Store tauchen etwa vermehrt vermeintliche Klone des Schachprogrammes Stockfish auf. Auch Stockfish ist Open Source, steht unter einer GPL-Lizenz – und ist aktuell eines der stärksten Schachprogramme der Welt. App-Store-Kunden dürfte das freuen, denn Stockfish ist nicht nur Open Source, sondern zudem auch noch gratis. Freilich nur dann, wenn sie bei der Suche im App Store auch tatsächlich das Originalprogramm finden und nicht einen kostenpflichtigen Klon.
Wird Apple zwielichtigen Raubkopierern, die nicht nur Copyrights und Lizenzen verletzen, sondern auch noch Kunden abzocken, im App Store den Hahn zudrehen? »Dazu gibt es von uns keinen Kommentar«, sagt Georg Albrecht, Manager der Corporate Communications Apple für Deutschland und Österreich.
>> Lizenzfalle GPL:
Freie GPL Software kommt nicht nur in Linux zum Einsatz, sondern wird auch in einer Unzahl von Routern, Netzwerkgeräten, Fernsehern, Medienabspielgeräten oder Handys genutzt. Die kommerzielle Nutzung ist kostenlos. Für die Hersteller eine feine Sache, solange sie die GPL-Lizenz beachten. Ansonsten laufen sie Gefahr, sich mit der Free Software Foundation (FSF) anzulegen, die als »Hüterin« der Lizenzen fungiert. Die Liste der abgeschlossenen oder laufenden Verfahren ist so lang wie prominent. In Österreich hat es etwa E-Card-Systeme erwischt, international TomTom, Gigabyte, Arp Datacon, D-Link, AVM, Samsung, JVC, Zyxel, ASUS, Lidl- und Aldi-Notebooks oder Skype. Gelingt der FSF der Nachweis der Lizenzverletzung, haben die Hersteller in den Prozessen regelmäßig schlechte Karten.
>> Kundenfalle:
Das Schachprogramm Stockfish ist auch für Apples iGeräte ein Renner. Wer im App Store das Original erwischt, hat Glück gehabt. Die GPL-Software ist nicht nur fabelhaft, sondern auch noch gratis. Wer hingegen den Klon aus vermutlich vietnamesischer »Produktion« erwischt, hat nicht nur eine kaum verschleierte Raubkopie auf seinem Gerät. Während das Original nichts kostet, kassieren die Kloner bei den Kunden auch noch frech ab. Zu Abzocke und Copyright- und Lizenzverletzung gibt sich Apple wortkarg: »Kein Kommentar.«