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Pest oder Cholera?

\"BescheideneNoch nie war die Unzufriedenheit so deutlich spürbar wie jetzt, weil wir merken, dass Österreich gefangen ist in einem System, das uns permanent vor die Wahl stellt: Pest oder Cholera?

 

Seit fast einem Jahr pendle ich nun zwischen den USA und Österreich, und jedes Mal wenn ich nach Wien zurückkehre, merke ich: Die Unzufriedenheit ist deutlich größer geworden. Die Kommentatoren fallen unisono über diese Regierung her. Hans Rauscher im Standard etwa hat sich vom Vranitzky-Biografen zum Propheten des Untergangs gewandelt, Josef Urschitz, Franz Schellhorn und allen voran Michael Fleisch­hacker von der Presse argumentieren im Stil jener, die zu Zeiten der bürgerlichen Revolution 1848 dieses Medium groß werden ließen.

Manfred Perterer und Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten legen nahe, dass Wandel, wenn er selbst im Mittleren Osten gelinge, wohl auch bei uns möglich sein müsste.

Die emeritierten Partei- und Politgrößen Hannes Androsch, Claus Raidl, Erhard Busek und Heinrich Neisser, um nur ein paar zu nennen, entdecken kein gutes Haar mehr an einem System, das sie lange Zeit mitgetragen haben. Offensichtlich genießen sie jetzt die Freiheit, losgelöst von Karriere- und Sachzwängen sagen zu können, was sie sich lange schon dachten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, während selbst mit der Lupe Verteidiger des Status quo schwer zu finden sind.

Norbert Leser, der sozialdemokratische Philosoph beschreibt in seinem jüngsten Buch »Der Sturz des Adlers« den Niedergang seiner Partei und der Republik. Der Parteichef der SPÖ und der Bundeskanzler werden in kleinem Kreis bei einer Flasche Rotwein im Rathauskeller bestimmt, das sei Oligarchie, argumentiert er und lüftet damit kein Geheimnis. Nur dass er jetzt das seit Jahrzehnten Offensichtliche kritisiert, spricht Bände.

Zusammen mit dem heutigen Salzburger Universitätsprofessor Reinhard Heinisch — er hat lange Zeit in den USA gelehrt — und dem späteren Haider-Sekretär Karl Heinz Petrisch habe ich während meines Studiums Mitte der 80er-Jahre im Rahmen eines von Norbert Leser geleiteten Seminars eine Arbeit verfasst, die der Frage nachging, wie Lernen in politischen Organisationen funktioniert. Wir haben uns die Sektionen, also die Basisorganisation der SPÖ angeschaut, und das Ergebnis war erschütternd. Die Sektionen sind Sozialvereine, die der Partei-Folklore dienen, nicht mehr. In keiner einzigen Sektion fanden wir jemanden, der für sich in Anspruch genommen hätte, Politik machen zu wollen. Das sei Sache des Vorstands, jener also, die seit Ewigkeiten das Geschehen vom Rathauskeller aus definieren. Wer jahrezehntelang im System ist, sich durchdient und Glück hat, landet vielleicht irgendwann im inneren Entscheidungszirkel.

Das Problem dabei: Wenn er dort anlangt ist, hat er zwar gelernt, wie er den paar Dutzend Leuten gefallen kann, die ihn in der Parteihierarchie nach oben bringen, er hat gelernt, mit welchen Gruppen er sich besser nicht anlegen darf, und er hat gelernt, seine Seilschaften zu entwickeln. Mit anderen Worten: Dieses System produziert seine eigenen Kinder und sie heißen — hier kommt die schlechte Nachricht — Werner oder Josef, oder Alfred oder Willi.

In der ÖVP geht jetzt wieder die Obmann-Debatte los. Man zeigt sich erschüttert, dass der hochgelobte Reformer Josef Pröll sich in kurzer Zeit als das entpuppt hat, was er von vornherein sein musste, um überhaupt in diese Position zu kommen: ein Diener seiner Klientel aus Beamten und Bauern.

Die schlechte Nachricht für Österreich ist, wer immer am Ende dieser Obmann-Diskussion als neuer Frontmann dasteht,  wird bald ein Josef sein. Genauso wie der Werner nach wenigen Monaten zum Alfred geworden ist.
Die neuen Namen sind nichts als der Versuch, einem in sich maroden System eine weitere Gnadenfrist zu erkaufen.
Vermutlich wäre es schon viel früher in sich zusammengebrochen, wenn es in Figuren wie Jörg Haider und jetzt HC Strache nicht einen wunderbaren Kitt gehabt hätte. So stellt man seit mittlerweile Jahrzehnten bei jeder Wahl der Bevölkerung die Frage: Was ist euch lieber, Pest oder Cholera? Die Wahl des kleineren Übels hat künstlich am Leben gehalten, was längst schon Teil der Geschichte sein sollte.

Das Problem ist dieses System, das eigentlich keine Wahlmöglichkeit bietet, das Klüngeln die Chance gibt, irgendwelche Figuren aus dem Hut zu zaubern, zu Ministern und zu Kanzlern zu machen, ohne dass diese sich je einer Wahl hätten stellen müssen. Wer hat Josef Pröll gewählt? Niemand! Der Kandidat war damals ein gewisser Wilhelm Molterer. Er wurde vom Parteivorstand aus dem Hut gezaubert. Wer hat Alfred Gusenbauer, der zugegebenermaßen eine Wahl gewonnen hat, abgelöst und aus seinem Amt geworfen? Nicht der Wähler, der Parteivorstand war's, richtig! Wer hat den Parteivorstand gewählt? Niemand! Nicht in einer Volkswahl zumindest, sondern nur im intimen Kreis der ewigen Parteigänger.

Die harte Arbeit dieses System auf den Kopf zu stellen wird uns früher oder später nicht erspart bleiben. Warum? Weil wir in unserer Gesellschaft eine Führung brauchen, die in der Lage ist, Probleme nicht nur zu erkennen, sondern auch zu lösen, und dazu darf man nicht in der Geiselhaft einiger weniger sein.

Vielleicht sollten wir es einmal mit Demokratie probieren, einer nämlich, die den Wähler Kanzler und Abgeordnete bestimmen lässt, solche nämlich, die nicht durch die Kaderschmieden weichgesotten und vorselektiert worden sind. Die Vorselektierten heißen nämlich Werner und Josef und Willi und Alfred ... und von denen hatten wir schon mehr als genug.

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