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Wunderwaffe Export

\"DieWirtschaftlich alles in Butter – die Exportwelle rollt wieder! Vor allem die Deutschen brechen in Siegesgeheul aus. Aber was bringt das eigentlich und wie viel Export verträgt eine Volkswirtschaft?

Von Heinz van Saanen

Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass das Beben durch die Wall Street fegte. Bei Lehman – die Investmentbank war eben noch top-geratet – hatte plötzlich nur mehr der Insolvenzverwalter so richtig Arbeit. Innerhalb weniger Tage feuerte er 25.000 Mitarbeiter. Die Bilder der verzweifelten und entsetzten Gesichter gingen um die Welt. Die Menschen hatten nicht nur ihre Arbeitsplätze verloren: Lehman war einer der Leithammel im internationalen Finanzgeschäft gewesen, ein unsinkbares Flaggschiff in der Welt der scheinbar mühelosen Geldvermehrung – und endete als Titanic des amerikanischen Glitzerkapitalismus. Seither sind gute Nachrichten aus der Wirtschaft rar oder kurzlebig. Bis vor kurzem zumindest.

Wann die Stimmungslage gedreht hat, ist nicht genau auszumachen. Im vergangen Winter tröpfelten die ersten Good News. Im Frühling wurde in Fachkreisen geraunt, dass die Kapazitäten vieler europäischer Spediteure und Frächter knapp werden. Das waren wirklich gute Nachrichten: Wenn diese Branche brummt, dann füllen Industrie und Handel ihre Lager auf und die ehedem verstopften Waren- und Geldkreisläufe beginnen wieder zu zirkulieren. Die Branche ist nicht nur ein Frühwarnsensor, sondern auch ein höchst treffsicheres Orakel für ökonomische Befindlichkeiten der Volkswirtschaften.

In den letzten Tagen und Wochen überschlugen sich die Frohbotschaften beinahe schon. Und – eine verkehrte Welt – diesmal kommen die Wirtschaftsimpulse nicht wie jahrzehntelang aus den USA, sondern ausgerechnet aus dem alten Europa. Die Finanzgazetten haben ihren neuen Superstar: Die deutsche Exportwirtschaft legt fantastische Zahlen vor und die Nachbarn korrigieren ihre Wachstums­prognosen für heuer bald schon im Wochentakt nach oben. Welche Zahl auch immer am Jahresende herauskommen wird, Deutschlands Wirtschaft wird heuer so stark wachsen wie seit rund einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Das hat fast schon historische Dimensionen. Folgerichtig holte die Financial Times in einer Analyse des Phänomens erst vor wenigen Tagen den Begriff »German miracle« wieder aus der Mottenkiste. Nicht ohne ihre jüngeren Leser sacht darauf hinzuweisen, dass »Deutsches Wirtschaftswunder« in den 60er-Jahren auch in England einmal ein gängiger Ausdruck gewesen war. Deutsche Politiker und Medien sind noch viel mehr aus dem Häuschen: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle jubelt über einen »Aufschwung XL«, ein »Sommermärchen« wird da getitelt oder gar schon ein »deutsches Jahrzehnt« ausgerufen.

\"''DieRealismus statt Hurrageschrei

Wenn die deutschen Exporteure wieder so richtig Gas geben, entfaltet das auch eine segensreiche Wirkung auf die Handelspartner. Ende August korrigierte die Luxemburger Statistikbehörde Eurostat ihre ursprünglichen Einschätzungen drastisch nach oben. Die Auftragseingänge der europäischen Industrieunternehmen sind im Juni fast doppelt so stark gestiegen wie erwartet. Lokführer der Konjunkturlokomotive ist zweifellos Deutschland. Fast auf die Butterseite fallen die österreichischen Exporteure und Zulieferer etwa in den Bereichen Automobil oder Maschinenbau- und Werkzeugindustrie. Wenn Volkswagen, Mercedes, BMW, Audi & Co auch nur hüsteln, dann haben die heimischen Automobilzulieferer Grippe. Alleine an diesem Sektor hängen direkt oder indirekt – je nach Lesart – geschätzte 100.000 bis 150.000 zumeist hochwertige österreichische Arbeitsplätze. Wird in Augsburg, München oder Ingolstadt in Sonderschichten malocht, dann sind fast automatisch auch die Autocluster zwischen Mur, Enns und Donau wieder im Geschäft. Abzulesen ist das an etwa der jüngsten AMS-Arbeitsmarktstatistik, die im August in den Branchen Metall/Elektro- und Produktion einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen zwischen 18,7 und stolzen 28,7 Prozent ausweist.

Gleichzeitig hat sich die Anzahl der Kurzarbeiter, das Modell war in Österreich vor allem in den exportabhängigen Autocluster-Regionen beliebt, binnen Jahresfrist von 57.000 auf rund 8.300 reduziert. Anders als die deutschen Kollegen freuen sich hiesige Politik und Sozialpartner zwar, brechen aber noch nicht gerade in Jubelstürme aus. Sozialminister Rudolf Hundstorfer verweigert etwa mediales »Hurrageschrei«. Kammerchef Christoph Leitl gibt da schon ein bisschen mehr Gas. »Die Trendumkehr ist geschafft. Der Export feiert ein Comeback als Wachstumslokomotive Österreichs«, so der WKO-Chef. Aber Leitl wäre nicht Leitl – und so etwas wie der Stephan Koren der Wirtschaftskammer –, wenn der kleine Euphorieausbruch nicht von einem Dutzend Relativierungen und Warnungen begleitet wäre. Das klingt dann ungefähr so: nicht auf den Lorbeeren ausruhen und nicht übermütig werden, weiter die Konkurrenzfähigkeit stärken, aber gleichzeitig nicht den sozialen Zusammenhalt aus dem Auge verlieren. Von triumphaler Euphorie oder gar der Ausrufung eines »österreichischen Jahrzehnts« ist in den Wortmeldungen von Kammer und Gewerkschaft also wenig zu spüren. Die sachlich nüchterne Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage hat einen guten Grund: Wie nachhaltig das deutsche Exportwunder tatsächlich ist, wird sich erst herausstellen müssen.

\"WasSchattenseiten des »Sommermärchens«

So sehr die deutsche Exportlokomotive auch wieder auf Touren gekommen ist, entlang der Gleise stehen die potenziellen Prellböcke gleich im Dutzend. Gerade die jüngsten Rekordzahlen werfen etwa die Frage auf, wie viel Exportabhängigkeit einer Volkswirtschaft eigentlich gut tut. Während noch das Sommermärchen geträumt wird, grübeln die Ökonomen darüber, wie krank der Patient USA tatsächlich ist. Wie klein mittlerweile die Brötchen sind, die – bei einem Schuldenstand von 13 Billionen Dollar – gebacken werden, zeigt das jüngst Konjunkturprogramm. In die Sanierung der maroden Infrastruktur steckt die Supermacht weitere 50 Milliarden Dollar. Klingt nach viel, ist aber der Gegenwert von ein paar Lainzer Tunneln und ein paar Kilometer nAutobahn. In China wiederum ist eine Immobilienblase am Köcheln. Schwächeln die beiden Absatzmärkte, ist es mit dem deutschen Exportwunder schnell wieder vorbei – und aus dem Sommernachtstraum wird ein Albtraum. Inlandsnachfrage als Substitut wird man sich abschminken können (siehe Kasten). Als Wirtschaftsfaktor wurde diese von der Politik konsequent vernachlässigt, während der Export zur heiligen Kuh erklärt wurde. Als Begleiterscheinung können sich die Deutschen auf eine Berg- und Talfahrt einstellen. Ihre Wirtschaft wächst zwar jetzt schneller als andere europäische Volkswirtschaften, dafür war der Einbruch in den beiden Krisenjahren auch schärfer.

Ein kleines Faktum haben die meisten Medien im Siegestaumel glatt übersehen: Die jüngsten Rekordzahlen sind zwar tatsächlich historisch, aber Prozentzahlen und somit Verhältniswerte. Dass sich die Wirtschaft jetzt wieder dort befindet, wo sich auch schon vor ein paar Jahren stand, war eher selten zu lesen. Dafür wurde dem Nationalgott Export geopfert. Unbarmherzig wurde etwa an der Produktivitätsschraube gedreht. Das klingt gut und ist tatsächlich gut, hat aber wahrscheinlich seine Grenzen. Die Löhne dümpeln auf dem Niveau der 90er-Jahre, während der Niedriglohnsektor förmlich explodiert ist. Laut einer aktuellen Untersuchung der Universität Duisburg jobben fast 21 Prozent der deutschen Arbeitnehmer für einen Stundenlohn von weit weniger als zehn Euro. Mehr als eine Viertelmillion Deutsche malochen überhaupt schon für weniger als fünf Euro. Diese Entwicklung relativiert auch das »Jobwunder«, das als natürliche Begleiterscheinung des Exportwunders gefeiert wird. Zwar wird die Zahl der Arbeitslosen wieder unter die magische Marke von drei Millionen sinken, aber wo die Jobs geschaffen werden, ist schon weniger sexy. Die Zeitarbeiterbranche eilt von Rekord zu Rekord und beschäftigt mittlerweile 800.000 Menschen.

\"BeiExport-Moloch frisst seine Kinder

Die gesellschaftlichen Verwerfungen sind allerorten spürbar. Bundesbanker und Skandalautor Thilo Sarrazin schwafelte etwa einmal darüber, dass man sich um drei Euro pro Tag gesund ernähren könne. Ernähren ja, aber gesund? Studien belegen, dass in Deutschland mittlerweile über eine Million Kinder mangelernährt sind. Sie verhungern zwar nicht, aber mangels Einkommen können die Eltern gerade noch Junkfood finanzieren. Daneben liegt es bei der Bildung schwer im Argen und vor allem junge Menschen werden in prekäre Arbeitsverhältnisse mit wenig Perspektive gedrängt. Dass der Gebärstreik auch damit irgendwie zu tun haben könnte, drängt sich fast schon auf. Frisst der Moloch Export gar seine eigenen Kinder? Vielleicht frisst er sich sogar selbst. Schon 2014 sollen alleine im Maschinen- und Anlagenbau – dem Zugpferd der Exportindustrie – 220.000 gut ausgebildete Arbeitskräfte fehlen. Im Billiglohnsektor bei McDonald’s, Schlecker & Co werden die wohl nicht zu akquirieren sein.

Richtig kuschelig ist es beim »großen Bruder« scheinbar ohnehin nicht mehr. Der Export-Musterknabe exportiert auch Bürger am laufenden Band. Wer kann oder muss, rennt mangels Perspektiven scheinbar weg. Das legen zumindest die Abwanderungsstatistiken nahe. In Zürich ist die deutsche Welle der »Wirtschaftsflüchtlinge« ohnehin fast schon so beliebt wie Islamisten oder Roma. In Österreich stellen die Deutschen bereits die Mehrheit der Neo-Immigranten. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass in Österreich zwar nicht alles gut läuft, aber offensichtlich um einiges besser als in Deutschland. Bei den nackten Export- oder Arbeitslosenzahlen nimmt die Alpenrepublik – pro Kopf gerechnet – auch weltweit gesehen regelmäßig einen der Spitzenplätze ein. Die heimischen Sozialpartner gelten zwar seit bald zehn Jahren als etwas verschlafen, wenig konfliktfreudig und obsolet. Dass sie alles ganz falsch gemacht haben, darf freilich zur Gänze ausgeschlossen werden. Dagegen spricht schon alleine der deutsche Zuzug. Wer emigriert schon in ein Land, wo die Bedingungen noch schlechter sind als im eigenen?

 

 

Exkurs >>Fluch und Segen:

Starke Ansagen hört man aus den Regierungsbüros zwischen Washington und Berlin. US-Präsident Barack Obama will die Exporte der USA in den nächsten fünf Jahren verdoppeln. Aber womit nur? Mit noch mehr US-Waffen, Wall Street, Hollywood-Kitsch oder fragwürdigen Patenten im Software- oder Gentechnikbereich? Auch die stolzen Briten hängen mittlerweile auf Gedeih und Verderben am Finanzplatz London und an »Intellectual Property« fest. Aber wer will schon ein britisches Auto? Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat es da schon besser. Die deutsche Exportindustrie fegt ihre Konkurrenten – gerade wieder einmal – nicht mit windigen Finanzprodukten, sondern mit echten Ingenieursleistungen vom Markt. Aber kein Boom ohne Schattenseiten: Die deutsche Produktivität steigt und steigt. Die Reallöhne verharren im Gegenzug jedoch auf dem Niveau der 90er, stolze 20 Prozent der Arbeitnehmer zählen bereits zu den Billigjobbern. Bricht das Exportgeschäft einmal weg, ist die Inlandsnachfrage keine große Stütze.

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