Die Glücksspielindustrie ist eine spezielle Branche. Das Image ist verrucht, die Einsätze sind hoch. Fortuna spielt beim Poker um Märkte freilich keine Rolle, gespielt wird mit harten Bandagen und Politkontakten. Als anrüchig gilt die Branche ohnehin, aber was leistet der Sektor eigentlich als Wirtschafts- und Standortfaktor? Das Glücksspiel hat die Menschen schon immer fasziniert. Auch Wissenschaftler. Die Untersuchung von Würfelspiel und Roulette war eine starke Motivation zur Entwicklung der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie. Diese Tradition ist bis heute spürbar. Stephen Hawking etwa illustriert seine populären Werke nicht nur gerne mit Spielkarten – der Physiker zockt auch selber ganz gerne. Für die Glücksspielbranche haben interessante Phänomene wie Wahrscheinlichkeitswellen aber ungefähr so viel Gewicht wie ein Astro-Horoskop von Tante Helga. Wesentlich spannender wird es schon bei Umsätzen, Regulierungsbedingungen oder Nutzen und Schaden für Volkswirtschaften. Darüber wird weltweit und heftig gestritten. Die erste Frontlinie ist zumeist der üble Ruf, den Glücksspiele, ihre Anbieter und das Umfeld haben. Das ist oberflächlich, aber nicht ganz von der Hand zu weisen. War nicht ausgerechnet die Zockerwelthauptstadt Las Vegas eine Gründung der amerikanischen Mafia? Immer hübsch verknüpft mit den Mächtigen, Reichen und Schönen? Aber vielleicht tut man dem Zockergewerbe auch Unrecht: Schließlich wird niemand zum Glücksspiel gezwungen. Die wirklich beinharten Zocker sitzen ohnehin woanders – und tragen nicht einmal ein Risiko. Laut EU-Kommission haben Europas Bürger die taumelnden Banken zwischen 2008 und 2011 mit 4,5 Billionen Euro alimentiert. Eine fantastische Zahl, die nach den jüngsten Überweisungen – diesmal an die spanischen Crash-Banken – auch schon wieder Makulatur ist. Neben den Bankenzockern nimmt sich die klassische Glücksspielbranche fast schon wie ein Waisenknabe aus. Zumindest trägt der Sektor noch ein finanzielles Restrisiko, das nicht automatisch auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Höchst volatil und nicht leicht berechenbar sind etwa die »Schweine-Zyklen«, mit denen die Branche bei den im Zweijahrestakt stattfindenden Fußballgroßereignissen konfrontiert ist. Wichtig sind die Welt- und Europameisterschaften vor allem deswegen, weil sie im Wettgeschäft nicht nur für Aufmerksamkeit, sondern auch für knackige Umsätze sorgen (siehe untern). Laut den Marktforschern von Kreutzer, Fischer & Partner sind rund 70 % der Wetteinsätze durch »König Fußball« stimuliert. Ob und unter welchen Umständen Großereignisse wie die aktuelle EM die Bilanzen pushen, wird leicht unterschiedlich bewertet. Analyst Andreas Kreutzer ist etwa der Meinung, dass ein »Patriotismus-Bonus« wie die Teilnahme oder Abwesenheit von österreichischen Kickern kaum spürbar ist. »Der harte Kern von 3 % wettet ohnehin, egal ob Österreicher dabei sind oder nicht«, meint Kreutzer. Admiral-Sportwetten-Chef Jürgen Irsigler sieht das etwas anders. »Schade, dass die Österreicher nicht dabei sind. Ein kleiner Zusatzeffekt wäre dadurch sicher gegeben.« Wichtig sind für Irsigler aber auch andere Faktoren. Scheinbar sind die Österreicher, wenn man schon nicht selber mitspielt, insgeheim auch Fans der deutschen Mannschaft, die für die Sportwettenbranche Frequenzbringer und Publikumsmagnet ist. Zu weit sollten die Deutschen aus Branchensicht aber wieder auch nicht kommen. Aus Sicht der Wettanbieter läuft dann alles optimal, wenn gesetzte Favoriten und Publikumslieblinge im Bewerb möglichst weit nach vorne kommen – und dann im Finale spektakulär an einem »Nobody« scheitern. Griechenland mit seinem EM-Gewinn 2004 war etwa so ein Glücksmoment.>> Quotenhimmel und Imagepflege Umwälzungen und Lobbydruck Wie König Fussball für Volatilität sorgt:Weihnachten findet vor allem für die Sportwettenbranche nur alle zwei Jahre statt – das ist der Rhythmus, in dem Fußballgroßereignisse wie Welt- oder Europameisterschaften stattfinden. Im Wettgeschäft ist Fußball ohnehin der Magnet schlechthin. Etwa 70 % des Umsatzes dürften daraus generiert werden. Bei WM oder EM zieht das Geschäft dann noch einmal um geschätzte 10 % an. Nicht alle Marktteilnehmer sind gleich glücklich. Auch bei den Casinos Austria sorgt die aktuelle EM im Wettgeschäft für einen kleinen Schub, aber zugleich – je nach Wetterlage – drückt die EM auch auf das Casino-Geschäft. Laut einhelliger Branchenmeinung generieren und binden die Großereignisse vor allem Neukunden, darunter etwa auch Frauen. Was vom Umsatzplus übrig bleibt, ist aber auch für die Anbieter ein Glücksspiel. Das hängt nicht nur vom Wetter ab, sonder auch davon, ob Österreicher mitspielen, ob Magneten wie Deutschland lange im Bewerb bleiben oder ob im dramatischen Finish schlussendlich ein Außenseiter gewinnt. Dann herrscht allseits Quotenjubel: für die Anbieter, weil ihre Auszahlungen minimiert werden, für die – wenigen – glücklichen Wettexperten aber ebenso, weil die Quoten auch ihren Gewinn in die Höhe treiben. >> Dynamische Märkte und dynamische Randbedingungen:Den Glücksspielmarkt insgesamt in Zahlen zu fassen, ist gar nicht so einfach. Weltweit dürften bei Glücksspiel und Sportwetten – als Größenordnung – etwa zwei Billionen Euro umgesetzt werden. Aber die Märkte sind inhomogen und das Geschäft ist von Liberalisierung und/oder von regulatorischen Maßnahmen abhängig. Der Wind kann sich schnell drehen. Als die USA etwa 2006 mit ihrem »Unlawful Internet Gambling Enforcement Act« den Kapitalabfluss via Internet-Casinos abrupt stoppten, war in der Branche Feuer am Dach. Abseits der Paragraphen ist auch die Zahlenlage nicht immer glasklar. Im ihrem Grünbuch für Online-Glücksspiele schaffte es nicht einmal Brüssel, EU-Zahlen lückenlos zu erheben. Der Trend spricht trotzdem Bände. Das Online-Geschäft wächst explosiv, in neuesten Medien wie Mobilfunk oder Internet-TV noch explosiver als im „klassischen“ Internet. Das Online-Geschäft blüht auch in der Alpenrepublik. Im Wettgeschäft dürften nach Expertenmeinung gut 60 % darauf entfallen. Insgesamt setzt die Glücksspielbranche aktuell in Österreich brutto rund 14 Milliarden Euro jährlich um. Rund 13 Milliarden entfallen auf Glücksspiel, rund eine Milliarde auf Wettanbieter. Netto – abzüglich der ausbezahlten Gewinne – bleiben rund 1,5 Milliarden übrig. Aber auch hier muss man differenzieren. Zwar sorgt Online für rund 60 % der Wetteinsätze, dank höherer Quoten aber nur für rund 50 % der Nettoumsätze. Das Glücksspiel gilt als krisenresistent, das stimmt aber nur bedingt. Die Branche ist nur später – und vielleicht weniger – als andere betroffen. Völlig resistent ist sie aber nicht.