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»Können ganz Großen das Wasser reichen«

\"Hanns-ThomasDas ehemalige IT-Service-Geschäft von Siemens ist durch die Fusion mit Atos Origin weiterhin ein europäischer Player – aber auf neuem Niveau. Welche Themen seine  Kunden beschäftigen, verrät Österreich-Chef Hanns-Thomas Kopf.

Report: Herr Kopf, was hat sich durch den Merger für Ihre Kunden geändert? Wie ist der Markenwechsel bei den Menschen angekommen?

Hanns-Thomas Kopf: Die Kunden auf beiden Seiten – sowohl die Atos-Origin-Klientel als auch die Kunden der Siemens IT Solutions and Services – haben die Partnerschaft absolut positiv aufgenommen. In den Medien wurde im Vorfeld viel über mögliche Übernahmen durch amerikanische oder asiatische Unternehmen spekuliert. Alle sind nun von der europäischen Lösung begeistert. Auch Analysten wie IDC oder Gartner sind überzeugt, dass nun erstmals ein europäischer IT-Champion den großen US-Anbietern das Wasser reichen kann und Paroli bietet. Wir befinden uns jetzt unter den Top-5 der IT-Serviceanbieter weltweit.

In Österreich waren die vergangenen Monate insofern spannend, da das hierzulande wesentlich kleinere Unternehmen Atos Origin den Marktführer Siemens SIS übernommen hat. Noch dazu waren wir als SIS von Wien aus nicht nur für alle Bundesländer zuständig, sondern auch für einen Wirtschaftsraum von 21 Ländern. Mit Atos hat sich unser Verantwortungsbereich mit den neuen großen Märkten Polen und Russland auf 23 Länder erweitert.

Report: Was hat sich für die Mitarbeiter der beiden Unternehmen verändert? Welche Synergien wurden erzielt?

Kopf: Atos Origin war traditionell stark im Westen Österreichs präsent und hat auch ein großes Rechenzentrum in Dornbirn. Siemens IT Solutions and Services wiederum war sehr stark im Osten vertreten. Dies ergibt eine hervorragende Ergänzung auf geografischer Ebene. Auch international ist Atos Origin in der Vergangenheit meist dort stark gewesen, wo die SIS noch ein großes Wachstumspotenzial hatte – und umgekehrt. Als deutsches Stammhaus war Siemens SIS natürlich die Nummer eins in Deutschland. In Frankreich wiederum lag logischerweise Atos Origin vorne, die Siemens SIS rangierte dort unter ferner liefen. In Osteuropa und Amerika war die SIS stark, in Südeuropa und auch Asien galt das für Atos Origin.

Ergänzungen gibt es aber auch auf Portfolioebene. Eine starke Positionierung von Siemens SIS lag historisch im Fertigungsumfeld, in der Industrie sowie im Public Sector und im Gesundheitsbereich. Atos Origin ist wiederum extrem gut bei Banken, Versicherungen und im Energiesegment vertreten. Unsere Technologien und Services waren aus guten Gründen an diesen Kernmärkten ausgerichtet – und ergänzen sich nun perfekt.
Was sich für die Mitarbeiter geändert hat? Wir sind eher gewachsen. Dort wo es bei Zentralstellen und Funktionen in der Dachorganisation wirklich Synergien gab – das möchte ich nicht verhehlen –, haben wir Einsparungen erzielt. Auf technologischer Seite sind wir dagegen in der Mitarbeiterzahl gewachsen. Am Ende des Tages werden wir über die gesamte Region keine hundert Mitarbeiter abgebaut haben. Gleichzeitig bauen wir gerade 160 Mitarbeiter auf – weit mehr also, als reduziert werden.

Report: Wie ist das Jahr 2011 wirtschaftlich für Atos verlaufen?

Kopf: Wir betrachten durch die vormals unterschiedlichen Bilanzierungszeiträume eine jüngste Periode von 15 Monaten. Auf beiden Seiten sind wir in dieser Zeit trotz des Mergers gewachsen. Dies war in einer Zeit der Integration keinesfalls zu erwarten. Sowohl in Österreich als auch in anderen Ländern haben wir zugelegt.

Report: Ist das Wachstum im vergangenen Jahr darin begründet, dass 2010 vielerorts IT-Projekte aufgeschoben worden sind? Welche Aussicht erwarten Sie dazu
heuer?

Kopf: Dies ist sicherlich einer der Gründe. Ein anderer ist die Besinnung vieler Unternehmen zu Beginn der Krise, sich auf das eigene Kerngeschäft zu konzentrieren und deshalb Geschäftsteile auszulagern. Outsourcingprojekte bedingen eine längere Vorlaufzeit und entfalten ihre volle Wirkung nicht von heute auf morgen. Hier müssen zunächst die eigenen Probleme und Herausforderungen identifiziert und in den Griff gebracht werden – erst dann können die Anforderungen in eine Ausschreibung gegossen und an einen externen Provider übergeben werden. Durchschnittlich braucht es neun bis zwölf Monate, bis es zu einer großen Projektvergabe kommt. Vor zwei Jahren war der Bedarf nach Auslagerungen von IT und Geschäftsprozessen verstärkt da. In den letzten 18 Monaten wurden viele Projekte dann auch vergeben.

Freilich war das Wachstum in der IT-Service-Branche 2011 nicht so großartig wie in den Jahren vor der Krise. Gerade jetzt entstehen aber viele neue interessante Kundenprojekte, die unsere nächsten Jahre prägen werden.

Report: Welche Erwartungen haben Sie konkret für 2012?

Kopf: Wir sehen derzeit keinerlei Abschwächung im Markt und auch keine großen Umwälzungen. Seit Jahren muss die IT bereits permanent Produktivitätssteigerungen für die Kunden erbringen. Gleichzeitig sinken die IT-Budgets allerorts oder stagnieren. Wir haben allerdings beobachtet, dass in einigen Ländern die Ausschreibungen der öffentlichen Hand massiv zurückgegangen oder geschrumpft sind. Dies hat mitunter natürlich auch politische Gründe, wenn beispielsweise gerade in der Slowakei Neuwahlen vor der Tür stehen.

Dann ist mit dem Euro-Finanzschirm ein massiver Druck auf die Staatsbudgets entstanden, der in den östlichen Ländern auch wesentlich stärker zu spüren ist. Von der Finanzkrise ist nicht nur Griechenland betroffen, über das aufgrund der gemeinsamen Währung groß in den Medien berichtet wird, sondern auch Länder außerhalb der Eurozone. Einige sind sogar noch härter betroffen. Ich erinnere an die massiven Einschnitte in Rumänien bei Staatsbediensteten wie Lehrern, Polizisten und Beamten mit bis zu 25 % Gehaltsreduktionen und den sozialen Druck, der daraus entstanden ist. Auch bei unterschiedlichen Währungen sind dies Märkte vor unserer Tür, in welche die heimische Wirtschaft in der Vergangenheit viel investiert hat. Ich sehe auch hier eine Abhängigkeit der Volkswirtschaften voneinander.

Report: Welcher Technologietrend ist für Sie derzeit persönlich spannend?

Kopf: Neben Cloud Computing, Virtualisierung als Vorstufe dazu und der Homogenisierung von Plattformen und Applikationen sehe ich einen weiteren Geschäftstreiber aus unserem eigenen, nun erweiterten Portfolio. Atos Origin hat mit sogenannten Hightech-Transactional-Services jene Dienste zusammengefasst, die transaktionsbasiert für Kunden erbracht werden. Früher wurden im Business-Process-Outsourcing Geschäftsprozesse ohne Mitverantwortung lediglich auf Basis der vereinbarten Service Levels übernommen. Wenn Services heute transaktionsbasiert abgerechnet werden, trägt der IT-Dienstleister das Risiko der Entwicklung des neuen Geschäfts seiner Kunden mit.

Ein bekannter Bereich dazu, den Atos seit Jahren in Europa forciert, ist das Management und die Abwicklung von Debit- und Kreditkarten. In einigen europäischen Ländern, beispielsweise in Skandinavien, wird bereits pro Karte oder tatsächlich abgewickelten Umsatzvolumina verrechnet. Technologiedienstleister haben damit ein hohes Risiko mit ihren Anfangsinvestitionen in Entwicklung und Infrastruktur. Sie rechnen sich erst nach mehreren Jahren Laufzeit.

Ein weiterer, neuer Bereich für das Modell der transaktionsbasierten Verrechnung ist zum Beispiel Smart Metering. Hier werden wir am Markt künftig auf den Messpunkt bezogene Abrechnungen anbieten. International laufen dazu einige Testversuche, darunter ein großes Pilotprojekt mit 70.000 bis 80.000 Stromzählern in Frankreich. Unsere Chance ist, dass wir unsere Services auch produktneutral erbringen können – sowohl mit einem Smart Meter von Siemens als auch mit Geräten anderer Hersteller. Auch der IT-Betrieb und Applikationen, die dazu entwickelt werden müssen, können wir partnerschaftlich und erfolgsabhängig in Vorleistung bereitstellen.

Report: Atos-Chef Thierry Breton hat das Ziel ausgegeben, dass Atos bis 2013 intern ohne Mail auskommen wird. Wie weit sind Sie hier bereits?

Kopf: Wir haben gemessen, dass der durchschnittliche Nutzer mehr als 150 interne Mails täglich bekommt. Es wird nun geklärt, welche davon wirklich notwendig sind. Vergleich Sie dies mit den Rohrpostsystemen vor 20 Jahren: Damals hat man sich dreimal überlegt, welchen unterschiedlichen Adressaten eine Nachricht geschickt werden muss. Niemand überlegt so etwas heute ernsthaft. Die Folge ist die Überflutung unserer Arbeitsplätze mit Information. Weltweit prüfen nun mehrere international vernetzte Nutzergruppen die technischen Möglichkeiten, diese Flut abzuwenden. So würde in einem idealen Corporate-Social-Network jeder Einzelne nur noch jene Information bekommen, die ihn tatsächlich betrifft. Es geht aber um mehr als nur um eine Mischung von Facebook und Twitter. Wir sprechen von neuen Mechanismen, die innerhalb eines Unternehmens die Kommunikation in einer geteilten Dokumentenumgebung sicher und archivierbar abbilden. In den ersten Monaten konnten unsere Testgruppen weit über 20 % des E-Mail-Verkehrs reduzieren. Die ersten Prozent Gewichtsabnahme sind allerdings auch stets am einfachsten. Jetzt geht es darum, die Mitarbeiter zu grundlegenden Verhaltensänderungen zu bewegen. Ich bin aber überrascht, wie groß das Interesse dazu bei unseren Kunden ist. Wir spüren, dass dieses Thema viele elektrisiert.

 

>> Das Unternehmen:

Durch die Übernahme von Siemens IT Solutions and Services durch Atos Origin entstand unter dem neuen Namen Atos eines der größten europäischen IT-Dienstleistungsunternehmen. Atos ist weltweit mit 74.000 Business Technologists in 42 Ländern vertreten. Siemens hält einen Aktienanteil von 15 % an dem Unternehmen und ist gleichzeitig der größte Kunde: Atos hat den weltweiten Betrieb der Siemens-IT-Infrastruktur und IT-Anwendungen übernommen.

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