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Renaissance des Arbeitskampfes

\"WährendMit der Versenkung der BAWAG hat sich der ÖGB in arge Schwierigkeiten gebracht. Nach Jahren auf der Intensivstation zeigt er wieder Zähne. Was das für Sozialpartner und Wirtschaft heißt, wo die Gewerkschaft heute steht.

Lohn- und Gehaltsverhandlungen der Marke »Made in Austria« wirken wie ein jahrzehntelang eingespieltes Ritual. Die Verhandlungspartner stecken zunächst einmal ihre Claims ab und präsentieren ihre Zielvorstellungen. Und schon hier beginnt das austriakische Spezifikum: Bereits die Vorgaben, mit denen in die ersten Verhandlungsrunden gestartet wird, sind weitgehend moderat und von Realismus geprägt. Ein bisschen Pokern und mediales Getöse darf schon sein. So loten Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre jeweiligen Schmerzgrenzen oder die Stimmungslage von Bevölkerung und Belegschaften aus. Ein paar kleine verbale Drohkulissen und Presseaussendungen später findet man sich in der goldenen Mitte. Aber die letzte Verhandlungsrunde muss schon ein bisschen dramatisch sein. Sie dauert gewöhnlich bis lange in die Nacht, selbst wenn dort nur Sitzfleisch bewiesen wird. Die Gschichtln, die dann die Runde machen, haben fast schon nordkoreanische Qualitäten. Die einen Verhandler müssen auf wundersame Weise nie aufs Klo, die anderen brauchen weder Essen noch Schlaf. Das ist vor allem als Botschaft an die eigene Klientel zu verstehen: Seht her, wir haben bis zum Äußersten gekämpft und das beste Ergebnis herausgeholt. So können alle einen Erfolg verkaufen und niemand verliert das Gesicht. Das Ritual wirkt hölzern und altvatrisch, hat aber einen tiefen Sinn: So werden weder die Unternehmen übermäßig geschröpft noch die Belegschaften wie Zitronen ausgepresst. Mit Pragmatismus und sorgsam austarierter Balance der Interessenlagen ist die Alpenrepublik bis jetzt außerordentlich gut gefahren.

Während anderswo Gewerkschaften und Unternehmen wie Sturmtruppen aufeinander losgehen, sorgt der soziale Friede in Österreich für Wirtschaftswachstum und breiten Wohlstand aller Beteiligten. Aber der Grundkonsens der Zweiten Republik gerät zunehmend ins Wanken. Dass die »Sonne Kärntens« in den 90ern einen Frontalangriff auf die Sozialpartner starten konnte, kam nicht aus heiterem Himmel. Der Populist Jörg Haider hatte mit seinem Gespür erkannt, dass es sich die Kammern und Gewerkschaften allzu behaglich eingerichtet hatten. Man musste kein Haider-Fan sein, um in seinen Tiraden gegen Privilegienritter mehr als ein Körnchen Wahrheit zu finden. Das Dream-Team Schüssel/Grasser, flankiert von Verkehrsminister-Giganten wie Gorbach, Forstinger oder dem Jaguarfan Schmid, formte die ÖBB-Neu. Ein sündhaft teures und schwer steuerbares Fehlkonstrukt, das etwa der Rechnungshof ausgiebig zerpflückte. Aber Schüssel hat damit – auf den Spuren von Maggie Thatcher – womöglich ein anderes Ziel erreicht: Mit der Zerstückelung der ÖBB wurde auch der Machtblock Bahngewerkschaft geschwächt. Aber nicht immer braucht es Strategen wie Schüssel, um Gewerkschaften zu schwächen. Mit der Versenkung der BAWAG hat sich der einst so stolze ÖGB in arge Schwierigkeiten  gebracht, inklusive seinem legendären und einst sagenumwobenen Streikfonds. Das Desaster hatte aber nicht nur finanzielle Folgen. Wer sich Anfang 2006 mit Gewerkschaftern unterhalten hat, musste schon Autist sein, um das blanke Entsetzen und die pure Fassungslosigkeit nicht auch körperlich zu spüren.

>> ÖGB im Zugzwang <<

Dann folgte – kanalisierte – Wut. Was für ein Glück für Verzetnitsch und Co, dass ihre Unterhäuptlinge anders ticken als syndikalistisch geprägte und radikalere Kollegen in anderen Ländern. Franzosen hätten wohl spontan ein paar Penthäuser ausgeräuchert und dafür notfalls auch Straßenschlachten mit der Polizei riskiert. Auf die Wut folgten schließlich Depression, Unsicherheit und Handlungsunfähigkeit. Eine Phase, die auch WKO-Boss Christoph Leitl Sorgenfalten auf die Stirn gelegt haben dürfte: Als überzeugtem Sozialpartner dürfte ihm wohl bewusst gewesen sein, dass es auch für die Wirtschaft nicht so toll ist, wenn ihr ein berechenbarer und verlässlicher Verhandlungspartner abhanden kommt. Die Glanzzeiten des ÖGB sind aber auch ohne BAWAG und Penthäusern schon länger vorbei. Die Statistik weist für 1981 mit knapp 1,7 Millionen Mitgliedern einen Höhepunkt auf. Bis etwa Anfang der 90er – der Zeitgeist drehte gerade ins Neoliberale – konnte der Stand trotz leichten Rückgängen auf hohem Niveau gehalten werden. Ende der 90er folgten die ersten schmerzhafteren Zäsuren. Die Horrorjahre folgten später. Das Gewerkschaftsvermögen war in die Karibik gesegelt – die Mitgliederzahlen segelten ins Nirwana. Die jüngste Statistik weist gerade noch etwas mehr als 1,2 Millionen Mitglieder aus, rund eine satte halbe Million weniger als zu Glanzzeiten. Heute dürfte der ÖGB finanziell halbwegs saniert sein, dafür gerät er unter Zugzwang. Mit ein Grund dürfte das aus dem Ruder gelaufene Finanzsystem und seine Krisen sein.

Für die verzockten Milliarden dürfen die kleinen Steuerzahler geradestehen. Gleichzeitig dürfen diese zusehen, wie sich eine kleine Elite maßlos am staatlich garantierten Jackpot bereichert. Die Menschen wissen oder spüren zumindest, dass sich Vermögen und Gehälter immer ungleicher verteilen. Auch im »gelobten Land« Österreich geht diese Schere weiter auf, während bittere Armut, Caritas-Ausspeisungen oder Obdachlosenzahlen zwar nicht spektakulär, aber kontinuierlich wachsen. WKO-Boss Leitl bemüht dann immer sein Lieblingswort und fordert wie eine Gebetsmühle »Augenmaß«. Eine Option, die ein brustschwacher ÖGB immer seltener hat, wenn ihm nicht auch noch der harte Kern der verbliebenen Mitglieder davonlaufen soll. Entsprechend furios war der Auftakt zu den letzten Gehaltsverhandlungen im Herbst. Metaller-Chef Rainer Wimmer legte mit 5,5 % ein Wunschplus auf den Tisch, das nicht nur am Schwarzenbergplatz für Erstaunen gesorgt haben dürfte. Aber das wirkliche Beben in den ehrwürdigen Hallen der Industriellenvereinigung (IV) folgte erst. Wimmer ließ medial glaubhaft durchblicken, dass er nicht zu scherzen gedenke. IV-Chefverhandler Christoph Hinteregger wiegelte in einem folgenden »ZiB«-Interview zuerst einmal ab. Aber dann geschah das für österreichische Verhältnisse fast schon Unerhörte.

>> Rückkehr der Kampforganisationen? <<

Der Metaller Wimmer scherte sich um keine Usancen oder alte Rituale – und organisierte flugs Warnstreiks quer durch die heimische Industrieprominenz. Betroffen vom Kurzausstand waren etwa Opel, BMW, Otis oder MAN, selbst Frank Stronachs Magna-Steyr wurde bestreikt. Zu allem Überdruss wurde vor allem noch der gewerkschaftliche Linksblock so richtig frech. Es sei nicht einzusehen, warum die Löhne seit den 90ern stagnieren, während sich das Management alleine 2011 eine Erhöhung der Gehälter und Boni um 12 % gönnen werde. Das klingt nach längst vergessenen Tönen des Klassenkampfes und wurde von der Industriellenvereinigung prompt auch so verstanden. IV-Generalsekretär Christoph Neumayer wies darauf hin, »dass Streiks kein bewährter Weg in den Instrumentarien der österreichischen Sozialpartner waren und sind. Es ist definitiv kein Vorgehen, das für beide Seiten zukunftsfähig ist. Dies sollten auch jene Teile der Gewerkschaften zur Kenntnis nehmen, die sich nunmehr offen als ›Kampforganisation‹ bezeichnen.« Dass organisierte Streiks gleich am Beginn der zweiten Verhandlungen stehen, wollte Neumayer auch nicht kommentarlos hinnehmen: »Das ist ein wirklicher Kulturbruch und hoffentlich einmaliger Sündenfall.« Flankierend stellte die IV eine von ihr in Auftrag gegebene IMAS-Studie vor, die die Meinung der Österreicher abbildet (sieheweiter unten).

Demnach haben 60 % der Menschen die Streiks der Metaller-Gewerkschaft als zu früh erachtet und hätten stattdessen lieber längere Verhandlungen gesehen. Ebenfalls eindeutig sei die grundsätzliche Position der heimischen Bevölkerung zu Streiks. »57 % der Bevölkerung sprechen sich gegen Streikmaßnahmen als Mittel der sozialen Auseinandersetzung aus, während lediglich 35 % Verständnis für solche Maßnahmen aufbringen«, so Neumayer. Zur von der Gewerkschaft ständig strapazierten Forderung nach Stärkung der Kaufkraft betonte Neumayer, dass von einer Lohnerhöhung von einem Prozent nur 0,36 % am Inlandsmarkt ankommen würden. Der überwiegende Teil fließe in Steuern und Abgaben, in die Sparquote sowie in den Konsum importierter Waren. »Überdies hat die Erfahrung der vergangenen Jahre gezeigt, dass Länder mit starker Konsumlastigkeit und geringer Industriequote, wie etwa Griechenland, viel stärker unter der Krise gelitten haben als Staaten mit einer starken industriellen Basis.« Die Frage der Kaufkraftstärkung kann nur ein Aspekt unter vielen bei Lohnverhandlungen sein. Aber vielleicht war selbst der spektakuläre Metaller-Arbeitskampf nur eine austriakische Version von »Klassenkampf«, wie gewöhnlich gut informierte Kreise genüsslich kolportieren.

>> Wachablösen und Veränderungen <<

Demnach könnte die ungewöhnlich hohe Lohnforderung der Metaller mit dem Mitarbeiter-Beteiligungsmodell der VOEST in Zusammenhang stehen. Sinken die Löhne zu sehr, dann wackeln die damit verknüpften Mindestbeteiligungsgrenzen am Gesamtkapital. Gar Ludwig Scharinger soll sein Placet für die deswegen so hohen Metaller-Forderungen gegeben haben. Bestätigt werden konnten diese Gerüchte bis Redaktionsschluss freilich nicht. Aber auch abseits der Gerüchteküche um die Metaller zeichnen sich einige Paradigmenwechsel ab. Auch andere Teilgewerkschaften werden aufsässiger als bislang gewohnt. Die Drucker etwa haben erst jüngst angekündigt, notfalls zu streiken. Deren Macht ist zwar seit Jahrzehnten real am Schwinden, was aber nichts daran ändert, dass diese sich seit jeher als besonders stolze Speerspitze der Arbeiterbewegung verstehen. Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer hat seine Forderungen bereits weitgehend durchgeboxt. Aber Neugebauer ist ohnehin ein Solitär: Seit den 90ern gibt es für keine Regierung – Parteifreunde oder Sitzfleisch hin oder her – viel zu verhandeln. Mit 67 ließ sich der Oldie für eine weitere Periode als GÖD-Chef wählen und wird damit nicht nur zum Jopi Heesters des ÖGB, sondern auch noch zum ultimativen Schrecken der nächsten Regierung. Schärfere Töne kamen zuletzt auch von GPA-Chef Wolfgang Katzian. Der hatte nach Amtsantritt 2005 gleich mehrere Handicaps: Als passionierter Golfer deklassierte er am Green selbst Golf-vernarrte Spitzenbanker. So war er schnell im Ruf, die österreichische Variante eines Genossen der Bosse zu sein. Real prekärer war die – gelinde gesagt – unübersichtliche Beteiligungsstruktur seiner GPA. Damals versprach Katzian eine »Strukturbereinigung«. Tatsächlich ist viel geschehen, wenn auch noch ein Finish fehlt.

Ein gefälliger Schmusekurs kann auch den Job kosten. Die Erfahrung musste etwa Postgewerkschafter Gerhard Fritz machen. Fritz war legendär, aber er schaffte das Kunststück, dass die deutlich angriffigere Fraktion der schwarzen FCG erstmals in der Geschichte einen Mandatsgleichstand erreichte. Fritz-Nachfolger Helmut Köstinger gibt Gas, läuft aber Gefahr, sich in einem Kleinkrieg mit der FCG zu verzetteln. Ziemlich überraschend kam der Abgang des ÖBB-Gewerkschafters Willi Haberzettl. Der pflegte sorgsam sein Image als »wilder Willi«. Haberzettl ist ein harter Knochen, aber schon seit den 90ern geben selbst ÖVP-Granden und Kontrahenten zum Besten, dass er »der Einzige ist, der sich bei der ÖBB auskennt« oder konstruktiv ist und Handschlagqualität hat – freilich nur off-records. Ein Gschichtl, das überliefert wird: Ein legendärer Ex-ÖBB-General begrüßte in den 90ern den »blutjungen« und neuen ÖBB-Gewerkschafter Haberzettl mit »Heute lernen S’ a paar neue Tricks«. Seither hat das keiner mehr gesagt.

 

>> Streikfrust statt Streiklust:

Seit Herbst wird das Klima bei Lohnverhandlungen fühlbar rauer. Den Auftakt machten die Metaller. Die Industriellenvereinigung rieb sich nicht nur wegen der saftigen Lohnforderung die Augen, sondern weil die Metaller prompt Warnstreiks organisierten. Auch die GÖD und andere Teilgewerkschaften ließen sich mit Forderungen nicht lumpen. Aber so heiß wie gekocht wird, wird nicht gegessen. Als die OECD ihre letzte Streikstatistik veröffentlichte, jubelten etwa Deutschlands Medien: »Wir sind Musterknaben.« Die Österreicher haben freilich den deutschen Schnitt von 2000–2005 noch einmal um den Faktor drei unterboten und kamen auf einen Tag Arbeitsausfall pro Jahr. Aber auch nur, weil Willi Haberzettl und seine Bahngewerkschaft die Streikstatistik 2003 im Alleingang »aufmöbelten«. Ansonsten hätte Österreich wieder eine Null verzeichnet. Selbst die erzkonservativen Schweizer streiken mehr. Die rauen Töne der letzten Monate relativieren sich weiter. Nach einer IMAS-Umfrage im Auftrag der IV war die Unterstützung der jüngsten Metaller-Aktionen durch die Österreicher überschaubar. So hätten sich 60 % der Befragten längere Verhandlungen gewünscht, nur 35 % befürworteten die Metaller-Streiks. Ähnlich ist die grundsätzliche Meinung der Befragten zu Arbeitskämpfen. 57 % sehen sich »alles in allem eher als Gegner« von Streiks und 35 % befürworten Streiks als »Mittel der sozialen Auseinandersetzung«.

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