Zuhaus ist Zuhaus …
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Von Karin Legat
Wohnungsumbau oder Seniorenheim, Verbleiben in der gewohnten Umgebung oder Übersiedlung in ein völlig neues Umfeld. Dieser Frage müssen sich viele Menschen in der Pension stellen. Enge Türen, schlecht erreichbare Lichtschalter, glitschige Badezimmerfliesen, finstere Gänge und Schwellen zwischen den Räumen sprechen auf den ersten Blick für einen Wohnungswechsel. Als Beweggründe, ins Pflegeheim zu wechseln, werden von Betroffenen auch ein fehlender Lift, mangelnde Barrierefreiheit und Probleme mit der Heizung angeführt. Mehr als die Hälfte aller Haushaltsunfälle von Senioren sind laut Kuratorium für Verkehrssicherheit Stürze durch Stolpern über freiliegende Kabel oder Ausrutschen in der nassen Badewanne. Vor diesem Hintergrund hat der Pensionistenverband Österreich die Aktion „Seniorensicherheit“ ins Leben gerufen. „Wir wollen auf Stolperfallen aufmerksam machen und aufklären. Mit geringen Maßnahmen und ohne großen Finanzaufwand können große Verbesserungen erzielt werden“, erklärt Verbandssekretär Andreas Wohlmuth. Stufen und Stolperschwellen sind aber nicht nur für ältere Semester eine Herausforderung, auch Mütter mit Kinderwagen, Rekonvaleszente und Lieferanten mit großen Paketen schätzen die Barrierefreiheit.
95 Prozent wollen zu Hause leben
In Österreich sind heute mehr als 1,9 Millionen Menschen älter als 60 Jahre. Das ist fast ein Viertel der Bevölkerung (Quelle: BMASK 2011). 95 Prozent der älteren Menschen wünschen sich, trotz Einschränkungen, möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben zu können. Sie haben klare Vorstellungen, was ihre Wohnsituation betrifft: keine Isolation, keine „Ghettoisierung“. Wichtig sind ihnen vertraute Nachbarn, ihr Hausarzt, die gewohnte Nahversorgung und Infrastruktur. Sie möchten ihre soziale Integration erhalten. „Die beste Wohnstruktur ist die Durchmischung aller Generationen“, so Wohlmuth. „Intelligentes Planen und Bauen kann diese Wünsche erfüllen, denn barrierefreies Bauen heißt menschengerechtes Bauen“, formuliert es Carl Gerald Selmer vom Netzwerk Barrierefreier Alltag. „Barrierefreiheit muss so selbstverständlich werden wie Wärmedämmung. Unentbehrlich ist barrierefreies Wohnen für zehn Prozent der Bevölkerung, für 40 Prozent ist es notwendig, komfortabel ist es aber für jeden“.
Schlussläufer altersgerechte Sanierung
Infolge der demografischen Entwicklung werden 2020 tausende seniorengerechte Wohnungen in Österreich fehlen. Über Neubauten ist der Fehlbedarf laut einer Studie von Leitner Planung & Consulting im Auftrag der Bundesinnung Bau nicht zu decken, weshalb die Politik gefordert ist, die alten- und behindertengerechte Adaptierung von Bestandswohnungen mit allen Mitteln voranzutreiben. Damit wird die barrierefreie Sanierung zum Wirtschaftsfaktor. Laut einer Klubenquete von SPÖ und ÖVP im Februar 2011 hinkt das österreichische Bauwesen derzeit der Entwicklung am europäischen Markt hinterher. Die Neuauflage des Sanierungsschecks allein liefert keine ausreichenden Impulse. „Jede Sanierung generiert Aufträge für das Kleingewerbe der regionalen Baumeister, Installateure und Maler und bildet damit einen Zukunftsmarkt“, zeigt Selmer auf. Andererseits haben Umbauten und Sanierungen im privaten Wohnhausbereich zur Folge, dass Senioren länger in der eigenen Wohnung verbleiben und damit der Druck zum Neubau kostenintensiver Pflegeheime gemindert wird. Nutzer und Eigentümer sanierter Bestandsgebäude profitieren durch mehr Wohnqualität, durch eine erhöhte Nutzerzufriedenheit sowie durch eine verbesserte Flexibilität des Gebäudebestands im Hinblick auf demografische Trends.
Bruchteil saniert
Das Statistische Zentralamt zählte 2009 3.598.300 Wohnungen in Österreich, 1.108.700 werden von älteren Personen bewohnt (Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus Jahresdurchschnitt 2009). Altersgerecht saniert ist jedoch erst ein Bruchteil. Laut BI Bau gibt es keine exakten Zahlen, aber das Potenzial wird angesichts der demografischen Entwicklung als sehr groß eingeschätzt. Stützt man sich auf den Sanierungsfundus von 2,4 Millionen Einheiten im thermischen Bereich und geht man davon aus, dass im Altersbereich 50+ viele Sanierungswillige in einem Arbeitsgang auch die seniorengerechte Adaptierung vornehmen, ist von einem deutlichen Wachstum in den nächsten Jahren auszugehen. Herkömmliche Wohnversorgungssysteme wie Pflegeheime sind auf noch breiterer Basis kaum finanzierbar. Gerade in Gründerzeithäusern bestehen großzügige Raumproportionen, die eine Adaptierung für barrierefreie Seniorenwohnungen begünstigen. Die Mehraufwendungen von ca. vier Prozent der Errichtungskosten für die Barrierefreimachung sind in Hinblick auf den Mehrwert der Liegenschaft als äußerst gering anzusehen (Studie Volkswirtschaftlicher Vergleich von altengerechten Wohnversorgungstypen, Bundesinnung Bau, Juni 2010).
Altersgerecht wohnen
Der Schutz vor Unfallgefahren im eigenen Wohnbereich und die Verbesserung der Sicherheit zu Hause sind Voraussetzung, dass Menschen zu Hause alt werden können, bringt es das Sozialministerium auf den Punkt. Barrierefreiheit beginnt aber bereits in der Gebäudeumgebung. Zugangswege dürfen kein unüberwindbares Hindernis darstellen, auf Kieswege sollte daher verzichtet werden. Im Eingangsbereich des Hauses ist auf rutschfeste und gut überrollbare Fußmatten zu achten, Türschwellen sind zu meiden. Türflügel weisen eine Breite von 80 cm, bevorzugt 85 cm auf, aber nicht mehr als 100 cm, da sie sonst zu schwer werden. Zu bedenken sind die Höhe der Postkästen, die leichte Bedienbarkeit der Eingangstüren und die ausreichende Beleuchtung am Gang. Stufen sollten durch eine Rampe ergänzt werden. Die Steigung muss unter sechs Prozent liegen. Beleuchtete Licht- und Klingelschalter sowie Bewegungsmelder erhöhen das Sicherheitsgefühl. Ausgeleuchtete Stiegenhäuser und Gänge sind für Klaus Robatsch, Leiter Prävention im KFV, generell ein entscheidender Faktor. „Oft dient das Stiegenhaus als Abstellort für Kisten oder Leitern, über die man leicht stolpert, wenn man mit vollen Händen daran vorbeigehen muss.“
Nebeneffekt all dieser Umbaumaßnahmen ist laut Studienautoren Baumeister Rudolf Leitner und Architekt Dietmar Koch die Wertsteigerung der Immobilie. „Das liegt im Interesse jedes Eigentümers.“ Im Neubau hat Baumeister Leitner zufolge Barrierefreiheit bereits ihren Fixplatz, in vielen Fällen kann sie sogar ohne Mehrkosten umgesetzt werden und erfordert nur ein entsprechendes Bewusstsein in der Planung. In der Sanierung gilt es vielfach, bestehende Barrieren zu beseitigen. Damit verbunden sind Kosten, die aber lediglich einmalig entstehen und das Objekt für die Zukunft brauchbar machen. Nur nach betriebswirtschaftlichen Aspekten zu entscheiden greift für viele Berater für barrierefreies Planen und Bauen außerdem zu kurz.
Mit E 60 pro m2 barrierefrei sanieren
Die Kosten für die Versorgung älterer Menschen in Senioren- und Pflegeheimen explodieren, adaptierte Bestandswohnungen bilden eine kostengünstige Lösung. „Wir wollen durch bauliche Maßnahmen die Sozialverbände finanziell entlasten und den Menschen die Möglichkeit geben, daheim statt im Heim alt zu werden“, erklärt Bundesinnungsmeister Hans-Werner Frömmel. Die Barrierefreimachungskosten sind vor allem im Vergleich zur Neuerrichtung und zum Betrieb von zusätzlichen Betreuungseinrichtungen und Pflegewohnheimen eher gering. Frömmel benennt sie für den Geschoßwohnbau mit ca. 60 Euro pro m² Nutzfläche. Die BI Bau sieht darin den Auftrag an Hauseigentümer, bei großvolumigen Sanierungen auf die Barrierefreimachung Bedacht zu nehmen, v.a. bei Gebäuden mit einem hohen Seniorenanteil. Je mehr Bewohner davon profitieren, desto geringer wird der Kostenanteil. Im Einfamilienhaus muss mit rund 500 Euro pro m² gerechnet werden. In den einzelnen Bundesländern gibt es Förderungen für barrierefreie Maßnahmen sowohl für Wohnraumsanierung als auch für den Neubau. (Auskunft darüber erteilen die Landesregierungen und die Bundessozialämter). Zusätzlich drängen die BI Bau und die Wirtschaftskammer auf die teilweise Verwendung des Pflegefonds für seniorengerechten Wohnbau, auf stärkere Schwerpunktsetzung bei bestehenden Fördermodellen der Länder sowie auf Errichtung einer speziellen Förderschiene für barrierefreies Sanieren.
Barrierefreiheit schulen
Barrierefreies, generationengerechtes Wohnen bedeutet für den Pensionistenverband Österreichs eine gesellschaftliche, politische und planerische Verpflichtung. Neue Bauordnungsrichtlinien stehen an oberster Stelle des Forderungskatalogs. Auch Carl Gerald Selmer vom Netzwerk Barrierefreier Alltag sieht Nachholbedarf an einer flächendeckenden, nachhaltigen und strategischen Planung. Die Bundesinnung Bau hat schon erste Maßnahmen gesetzt. In den einzelnen Bauakademien hat das Baugewerbe seit 2010 ein umfassendes Ausbildungsangebot für Baumeister im Programm. Geschult wird nicht nur im unmittelbar baurelevanten Bereich, sondern auch im Umgang mit älteren Menschen (psychologischer Zugang) sowie in seniorengerechter Transport- und Kommunikationstechnologie. Damit auch in Zukunft das Versprechen gilt: „Zuhaus ist Zuhaus“.
>> Best Practice:
Vom 14. bis Mitte des 19. Jahrhunderts stand die Heumühle im landwirtschaftlichen Dienst. Heute wird sie als Büro und Veranstaltungsraum der Selmer GmbH genutzt. Im Rahmen einer umfassenden Revitalisierung gelang die barrierefreie Gestaltung des Zugangsbereiches, der sanitären Einrichtungen sowie der Innenausstattung. Die gesamten Planungs- und Umbaukosten beliefen sich auf 52.000 Euro, die Hälfte wurde über eine Förderung für investive Maßnahmen des Bundessozialamts finanziert. Investive Maßnahmen zum Abbau von Barrieren reichen von der Errichtung von Rampen und Treppenliften bis zur behindertengerechten Umgestaltung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie Sanitärräumen. Gefördert wird, wenn die ÖNORM B 1600 und relevante Nebennormen erfüllt werden und der Betrieb sich an den Gesamtkosten angemessen beteiligt (50:50). Die Förderung ist mit 50.000 Euro begrenzt.
>> Barrierefreies Wohnen:
Barrierefrei geplante Wohnungen sind zu einem Großteil vom Bauherrn vorgegeben. So ist der Wohnungsgrundriss großzügig gestaltet, alle Räume werden gut ausgeleuchtet, die Zimmer sind nicht eng und verwinkelt. Vorzimmer, Bad und Küche haben ausreichend Raum, um sich auch mit Gehhilfen oder einem Rollstuhl sicher bewegen zu können. Türschwellen fehlen ebenso wie Treppenabsätze. Podeste und Balkonschwellen können über fixe Rampen überwunden werden. Lichtschalter und Türgriffe sind einfach zu erreichen. Türen weisen eine Breite von mindestens 80 cm auf, Gänge von 120 cm. Sehr praktisch ist ein Türsystem mit Türantrieb, das Türen automatisch öffnet und schließt. Beim Bodenbelag ist rutschhemmendes Material zu bevorzugen. Barrierefreie Wohnungen sind einfach zu beheizen, Baumeister raten von Kohle- oder Ölöfen für ältere Menschen ab. Temperaturregler befinden sich in Greifhöhe. Im Vorzimmer ist auf die Fixierung von Garderobehaken in unterschiedlichen Höhen zu achten. Fenstergriffe sind maximal 120 cm über der Fußbodenoberkante vorzusehen. Der Griff muss dabei zwecks leichter Erreichbarkeit etwa 50 cm aus der Raumecke entfernt sein. In einer barrierefreien Küche dominieren unterfahrbare bzw. höhenverstellbare Arbeitsbereiche. Herd, Abwasch und Arbeitsplatte liegen möglichst nahe beieinander. Der gesamte Sanitärbereich ist mit einem rutschfesten Bodenbelag versehen. Bad- und WC-Türen öffnen sich nach außen. „Das bringt einerseits mehr Bewegungsraum, andererseits wird die Tür nach einem Sturz nicht blockiert“, informiert die MA 25. Als Einstiegshilfe in die Badewanne bieten einige Sanitärfirmen den Einbau einer Klapp- oder Hebetür (zB Magic Bad). Haltegriffe dienen als Stütze und reduzieren die Sturzgefahr. Bei Vorhandensein einer Dusche muss auf die ausreichende Größe des Duschbereichs geachtet werden, als Mindestgröße sind 150 x 150 cm erforderlich. Beim Waschbecken ist auf genügend Beinfreiheit zu achten. Das WC muss eine Bewegungsfläche von mind. 150 cm Durchmesser aufweisen. Eine Sitzbretthöhe von 46 bis 48 cm erleichtert das Überwechseln vom Rollstuhl bzw. das Aufstehen.
>>Seniorengerechtes Wohnen aus Sicht des KFV und des Sozialministeriums:
Der Wunsch nach Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ist auf das Engste mit der individuellen Wohnumgebung verknüpft. Auch Gewohnheit spielt eine Rolle. Ein Umgebungswechsel kann sich gerade bei älteren Menschen auf den allgemeinen Gesundheitszustand auswirken. Vorrangiges Ziel muss daher die Erhaltung der Lebensqualität sein und die Schaffung von Möglichkeiten, damit ältere Menschen möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Dies ist besonders wichtig, da der Verlust von Mobilität gleichzeitig mit dem Verlust von sozialen Kontakten einhergeht und letztlich zur Vereinsamung führt.
>> Auf einen Blick:
> Hilfen im gesamten Haushalt: Ausreichend Bewegungsfreiheit in Küche, Bad, vor Schränken und Türen, rutschfeste Bodenbeläge, Lampen mit Bewegungsmelder, Steig-, Steh- und Aufstehhilfen, Sitz- und Liegemöbelerhöhung, Großtastentelefon
> Hilfen im Bad: Sicherheitsgriff bei Badewanne, Dusche und WC, geräumige Dusche mit bodenebenem Einstieg und Klappsitz, Badewanneneinstiegshilfe, WC-Sitz mit Sitzerhöhung, Badewannen- und Duschmatten
> Hilfen im Wohnbereich: Gegensprechanlage und Türöffner, stabile Sitzmöbel mit Armlehnen, Bett in optimaler Sitzhöhe (H = 45 bis 50 cm), Leselicht/Nachtbeleuchtung
> Hilfen für den Küchenbereich: Unterfahrbare bzw. höhenverstellbare Arbeitsbereiche, gute Beleuchtung bei Spüle, Herd und Arbeitsplatte, ergonomisch geformte Griffe, rutschhemmende Arbeitsmatte, Brand- und Rauchmelder