Stadtentwicklung in 3D
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Kein Gebäudetyp polarisiert so sehr wie das Hochhaus. Den einen gilt es als Ausdruck von Modernität, den anderen als Sinnbild verlorener Maßstäblichkeit. Ebenso unterschiedlich gehen Städte mit der Planungsaufgabe Hochhaus um.
Von Reinhard Seiß
Von Reinhard Seiß
Mit dem DC Tower 1 und in weiterer Folge mit dem DC Tower 2 erhält Wien nun zwei weitere, ebenso bedeutende wie beeindruckende Landmarks, die als zeitgemäßes Wahrzeichen die Innovationskraft der Stadt weithin sichtbar machen«, hieß es in den Sonderbeilagen und Werbeeinschaltungen in Wiens Tageszeitungen, die den Bau des mit 220 Metern bald höchsten Gebäudes Österreichs seit seiner Grundsteinlegung vor zwei Jahren begleiten. Allein dieser eine Satz sagt vieles aus über Wiens städtebauliches Verständnis im Allgemeinen sowie über den Umgang mit Hochhäusern im Speziellen.
Während landauf landab von Nachhaltigkeit die Rede ist – was im Städtebau so viel bedeuten würde wie Gebäude, Quartiere, ja ganze Stadtteile so kleinteilig und differenziert zu entwickeln, dass Wohnen und Arbeiten, Handel und Gastronomie, Bildung und Soziales, Freizeit und Kultur möglichst stark in einander greifen können, oder auch, dass die öffentlichen Räume zu Aufenthalt, Kommunikation sowie sozialer Netzwerkbildung animieren –, wird in Wien eine monumentale »Landmark« errichtet. Zwar nicht ganz so gigantisch wie in Dubai oder Taipeh, aber doch von derselben Geisteshaltung getragen, die da lautet: je größer desto besser, je lauter desto schöner.
Gegen den Trend
In der westeuropäischen Fachwelt gelten Hochhausviertel mit überwiegend monofunktionalen, sich nach außen hin abschottenden Wohn- und Bürokomplexen samt den dazwischen liegenden, öden Freiflächen als Rückfall in die Moderne der 1960er- und 70er-Jahre. Dass Wien nun noch ein »weithin sichtbares Wahrzeichen« in ein Viertel setzt, das zwar den Anspruch auf Urbanität erhebt, aber durch zahlreiche auf sich bezogene Wahrzeichen ohnehin schon wie die gebaute Antithese zu städtischer Vitalität anmutet, zeigt, wie wenig sich die Kommunalpolitik am internationalen Fachdiskurs orientiert.
So beschränkte der erste Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für die Donau City aus dem Jahr 1995 die Höhenentwicklung noch auf 120 Meter. Nur sieben Jahre später bat der Generalentwickler der »Platte«, die WED, den französischen Stararchitekten Dominique Perrault um einen neuen Masterplan, der unter anderem zwei Türme mit 160 und 200 Metern Höhe vorsah – und vom Rathaus 2007 eins zu eins in ein neues Plandokument umgesetzt wurde.
Kurze Zeit später urgierte die WED bei der Stadt Wien, die Türme sollten doch noch etwas höher, nämlich 175 und 220 Meter werden – zumal sinkende Büromietpreise die erwünschte Rendite bei »lediglich« 53 und 67 Geschoßen nicht zu gewährleisten schienen. Das Niveau der planungspolitischen Debatte in dieser Stadt offenbarte dabei eine Gemeinderätin aus dem 22. Bezirk, die sinngemäß meinte, es spiele keine Rolle, ob ein Turm nun 200 oder 220 Meter hoch werde, da den Unterschied mit freiem Auge ohnehin niemand feststellen könne. Dass man dem Investor damit einen Mehrwert von sieben Geschoßen verschafft, also ein Volumen, das unter normalen Umständen dem eines ganzen innerstädtischen Hauses entspricht, war der Volksvertreterin offenbar nicht bewusst.
Trotz des Hochhauskonzepts von 2002 fehlt es Wien seit Jahrzehnten an einer dreidimensionalen Vision für die Gesamtstadt, wie sie etwa Zürich in seinem Hochhauskonzept definiert hat. Auch wenn sich eine gewünschte Stadtsilhouette nicht verordnen lässt, so sollte die städtebauliche Entwicklung dennoch nicht in die Hände von Grundstückseigentümern und Immobilienspekulanten gelegt werden. Es fällt auf, dass das traditionell sozialdemokratische Wien das Thema Hochhaus viel liberaler handhabt als zahlreiche westeuropäische und selbst US-amerikanische Metropolen – die über den Verdacht nostalgischer Stadtschwärmereien oder investorenfeindlicher Regulierung erhaben scheinen.
Ein Blick über die Grenze
In München, wo nach einem Bürgerentscheid von 2004 kein Neubau mehr die 100 Meter hohen Türme der Frauenkirche überragen soll, unterliegen Hochhausprojekte den Grundsätzen der sozialgerechten Bodennutzung. Das heißt, der Bauherr tritt bis zu zwei Drittel der Wertsteigerung seines Grundstücks an die öffentliche Hand ab – als Gegenleistung dafür, dass er um vieles höher beziehungsweise dichter als ortsüblich bauen darf. Diese Einnahmen helfen der Stadt, die öffentlichen Leistungen im Zuge eines Großprojekts zu finanzieren – also die Straßenerschließung, die Gestaltung eines Parks oder die Errichtung eines Kindergartens – und kommen so auch den Anrainern des Bauvorhabens zugute.
In Paris wurden Hochhäuser bis in die 1970er-Jahre recht bedenkenlos in die historische Stadt gesetzt. Spätestens die 210 Meter hohe Tour Montparnasse führte allerdings vor Augen, wie zerstörerisch maßstabslose Bauten auf die Stadtsilhouette und auf das jeweilige Viertel wirken können. Seither verzichtet die Seine-Metropole, mit wenigen Ausnahmen wie der Bibliothèque Nationale de France, auf neue Turmbauten innerhalb der Stadtgrenze – und konzentriert diese in Hochhaus-Clustern wie der Vorstadt La Defense. In der Kernstadt mit ihren zwei Millionen Einwohnern herrschen restriktivste Baubestimmungen, um das Stadtbild zu schützen. Exakt vermessene Panoramablicke und Sichtachsen, die es frei zu halten gilt, schränken den Spielraum für Investoren und Architekten heute ebenso ein wie parzellengenaue Vorschriften zum Gebäudevolumen, zur Gebäudehöhe, ja sogar zur Dachform.
Auch in London wurden die meisten Hochhäuser an einem peripheren Standort konzentriert, in Canary Wharf in den ehemaligen Docklands. Und die Investoren von Großprojekten akzeptieren es, dorthin gelenkt zu werden – sowie für die Baugenehmigung Gegenleistungen zum Wohle der Öffentlichkeit zu erbringen. In den übrigen Teilen der Stadt haben sich die Gebäudehöhen einer Vielzahl von Blickachsen unterzuordnen, die alle – genauestens kartografiert – auf die St. Paul’s Cathedral orientiert sind. Der 111 Meter hohe Kuppelbau war bis in die 60er-Jahre die uneingeschränkte städtebauliche Dominante der britischen Hauptstadt. Durch konsequentes Festhalten an den Sichtkorridoren konnte seine Fernwirkung und damit die gewünschte Stadtsilhouette bis heute bewahrt werden.
Desgleichen hält Amsterdam die inneren Stadtteile von Türmen weitgehend frei und bündelt seine Hochhausprojekte in ausgewählten Stadterweiterungsgebieten, allen voran in Zuidas (zu deutsch: Südachse). Hier entsteht seit 2002 auf 225 Hektar – erschlossen durch Metro und Autobahn, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Amsterdam Zuid sowie wenige Fahrminuten vom Flughafen Schiphol entfernt – ein Central Business District in Form eines dicht bebauten Hochhaus-Clusters, durchmischt mir Wohnungen und hochrangigen Bildungseinrichtungen. Investoren, deren Bauvorhaben den urbanistischen Kriterien der Amsterdamer Stadtplanung nicht entsprechen, werden konsequent ersucht, anderswo ihr Glück zu versuchen.
Unterschiedlichste Umgangsformen mit Hochhäusern finden sich in den US-Großstädten, wie Architektin Silja Tillner in ihrer umfassenden Studie »Internationale Stadtplanungs- und Hochhauskonzepte« zeigte: Während die Bebauungsvorschriften in San Francisco in engem Bezug zur Topografie der auf 49 Hügeln erbauten Stadt stehen, wird die Hochhausentwicklung in Chicago über ein Bonussystem geregelt, das es erlaubt, höher und dichter zu bauen als im Flächenwidmungsplan vorgesehen. Dafür muss der Bauträger Gegenleistungen für die Allgemeinheit erbringen – die nicht vom Verhandlungsgeschick oder politischen Beziehungen abhängen, sondern in einer für jedermann nachvollziehbaren Tabelle festgelegt sind. So dürfen für die Schaffung öffentlicher Flächen am Grundstück zusätzliche Quadratmeter Nutzfläche errichtet werden – abhängig davon, ob nur der Gehsteig verbreitert oder ein ganzer Park realisiert wird. Auch die anspruchsvollere Gestaltung des Gebäudes kann ein Mehr an Kubatur bringen – ebenso wie Maßnahmen zur Verbesserung des Umfelds: sei es die Investition in die nächstgelegene U-Bahn-Station oder die Restaurierung eines historischen Gebäudes.
In New York bedarf es, wie Silja Tillner mit einem Fingerzeig auf die hierzulande vielfach ungeregelte Situation dokumentierte, nicht nur Gegenleistungen für die Allgemeinheit, sondern auch Abgeltungen an die Anrainer, wenn ein Investor höher als ortsüblich bauen möchte. Er muss allen benachbarten Eigentümern, die die maximal mögliche Bauhöhe auf ihrem Grundstück noch nicht ausgeschöpft haben, deren »Luftrechte« abkaufen – sprich, sie dafür entschädigen, dass sie aufgrund seines Bauvorhabens ihre Häuser nicht mehr weiter aufstocken können.