»Krise ist, wenn ...
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Ein Gastkommentar von Markus Heingärtner, Geschäftsführer des Management Clubs
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat dieses Land eine erstaunliche Erfolgsgeschichte produziert. Doch in den letzten Jahren ist Sand ins Getriebe gekommen. Unsicherheit und Angst vor der Zukunft sind weit verbreitet. Gerade in Umbruchszeiten ist ein vitales System von Gestaltern gefragt – dafür brauchen wir eine Änderung unseres demokratiepolitischen Setups.
Meine Generation – ich bin nun 37 Jahre alt – erlebt ein Wohlstandsniveau, das es weltweit noch nie gegeben hat. Wir stehen somit auf den Schultern unserer Eltern und Großeltern. Darauf sollten wir mit Dankbarkeit und Demut schauen, denn es ist in keinster Weise selbstverständlich.
Und trotzdem: Die Unsicherheit, die Angst davor, was kommen wird, das mulmige Gefühl über unsere Zukunft ist so groß wie nie zuvor. Und das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit unserer Politiker so klein wie nie zuvor.
Vor kurzem habe ich auf einem Plakat folgenden Satz gelesen: »Krise ist, wenn das Alte stirbt und das Neue noch nicht geboren werden kann.« Das ist eine sehr zutreffende Beschreibung der Zeit, in der wir leben.
Unser Erfolgsmodell der Massenproduktion, der Massenwerbung über Massenmedien mit anschließendem Massenkonsum und dann Massenmüll hat eben neben dem erwähnten Wohlstand auch einen Raubbau an den natürlichen Ressourcen produziert und lässt sich auf Dauer nicht so fortführen. Und unser politisches System hat sich darauf spezialisiert, den Wohlstand wieder zu verteilen, jedem sein Zuckerl zukommen zu lassen und Klientelen zu bedienen. Zukunftsgestaltung ist schon lange nicht mehr seine Kernkompetenz.
Aber jetzt, wo Sand ins Getriebe kommt, funktioniert das alles nicht mehr so einfach. Noch finanziert uns der Kapitalmarkt die Lücke im Staatssäckel. Aber trotz der Tatsache, dass große Mengen Geldes in den Wirtschaftskreislauf geschüttet werden, stottert der Motor: Klar, es handelt sich doch nur um einen verzweifelten Versuch, ein System am Leben zu erhalten, das morsch geworden ist.
Dazu kommt eine neue Technologie: das Internet. Es gibt uns unsere Stimme zurück. Jeder kann sich informieren und äußern. Es sorgt für Transparenz. Es ermöglich völlig neue Geschäftsmodelle. Es ändert auch das politische Spiel und die Möglichkeit, unser Gemeinwesen zu organisieren und politische Entscheidungen zu treffen. Aber es steht erst ganz am Anfang und wir haben noch eine notwendige Lernkurve vor uns.
All das zusammengerechnet stehen wir derzeit an einem Scheideweg: Entweder wir tun nichts weiter und marschieren in einen Wohlstandssinkflug mit allen negativen Begleiterscheinungen.
Oder wir ändern unser demokratiepolitisches Setup. Denn gerade in Umbruchszeiten brauchen wir ein vitales System von Gestaltern – von Volksvertretern, die intellektuell auf der Höhe der Zeit sind und tatsächlich das große Ganze im Auge haben. Das heißt, wir ändern die Art, wie wir unsere Politiker wählen. Wie wir unser Gemeinwesen organisieren. Investieren dann massiv in Bildung und werden wieder das, was Europa einst war: ein fruchtbarer Platz voller Kreativität und Innovation. Dazu zwei Thesen.
>> These 1: Wir brauchen ein neues Wahlrecht <<
Wir sind laut Verfassung eine parlamentarische Bundesrepublik. In Wirklichkeit sind wir aber eine nicht-repräsentative Parteien-Demokratur. Wer im Parlament sitzt, bestimmen zu 90 % die Parteiobleute in den Ländern und zu 10 % die Obleute im Bund. Als Wähler dürfen wir gerade einmal die Partei ankreuzen – das Persönlichkeitswahlrecht ist irrelevant.
Der Großteil der Parlamentarier ist nicht den Interessen seiner Wähler verpflichtet, sondern denen seiner anderen Gehaltszahler: Kammern, Gewerkschaften, Verbände.
Und selbst wenn sich ein Parlamentarier dem Volk verpflichtet fühlt – er hat keine Chance, die Gesetze, die er prüfen soll, auch nur einigermaßen zu bewältigen. Denn es fehlen ihm die Ressourcen. Es existiert kein unabhängiger wissenschaftlicher Dienst wie im deutschen Parlament. Er oder sie hat lediglich ein bis maximal zwei Mitarbeiter. Die Konsequenz: Die Regierung mit ihrer umfassenden Ministerialbürokratie dominiert die Gesetzwerdung.
Was wir brauchen: ein völlig neues Wahlrecht und die Ressourcen für das Parlament, damit es wirklich ein Gegengewicht zur Regierung sein kann.
Ein neues Wahlrecht muss die Energien der potenziellen Abgeordneten auf jene richten, die sie wählen: die Bürger. Wir brauchen also für die Nationalratswahlen rund 150 bis 200 Regional-Wahlkreise. In diesen Wahlkreisen wird dann ein Abgeordneter gewählt, der ins Parlament kommt. Jeder, der das möchte, kann antreten. Jeder muss offenlegen, wer seinen Wahlkampf finanziert. Parteien müssen ihre Kandidaten in einer internen Vorwahl küren. Und die Abgeordneten bekommen dann die oben angesprochenen Ressourcen – einen kompetenten wissenschaftlichen Dienst und ausreichend Mitarbeiter. Für die Zeit des Mandates darf der Abgeordnete kein zusätzliches Gehalt, Honorar oder andere Geld- bzw. Sachleistungen beziehen.
>> These 2: Small is beautiful <<
In der Beobachtung, wie unser zentral organisierter Staat funktioniert – zentralistisch auf Bundes- und auf Landesebene –, ist mir immer eines aufgefallen: Verhaltensweisen, die in einer kleineren sozialen Einheit wie der Familie, dem Freundeskreis, in einem Verein oder in einer kleinen Gemeinde niemals akzeptiert werden würden, gehen hier durch.
Und warum? Weil die Vorgänge anonymisiert sind und wir oft nichts davon erfahren. Weil die Zentralbürokratie nicht das Wissen um die Lebensumstände der von ihnen Verwalteten hat, und es nicht ihr eigenes Geld ist, das sie verwaltet.
Nehmen wir einen Verein an – den Verein »Klein Österreich«. Wie in einem Staat gibt es Funktionen, Verantwortungen, Wahlen, Mitgliedsbeiträge etc. Der Unterschied: Hier kennt sich jeder, man weiß um die Fähigkeiten, Sorgen und Besonderheiten der einzelnen Mitglieder.
Beispiel Pension: Wenn sich jemand zu Lasten anderer im Verein mit 58 Jahren zur Ruhe setzt, obwohl er völlig gesund ist und dann 30 Jahre lang bedeutend mehr kassiert, als er eingezahlt hat; oder wenn er gar mit 47 Jahren geht und neben der Vereinspension auch noch Tennisunterricht gibt – können Sie sich vorstellen, wie lange das die Vereinsmitglieder tolerieren? Vor allem, da sie sogar Schulden machen müssen, um das zu finanzieren?
Beispiel Lehrer- und Direktorenbestellung: Wie sehr würde es ein Verein schätzen, wenn die Trainer für den Nachwuchs von einem übergeordneten Verband bestellt werden? Noch dazu – wie jetzt – nach Parteizugehörigkeit anstatt nach objektiven Kriterien? Und wenn der Verein, selbst wenn die mangelnde Qualität des Trainers für alle offensichtlich ist, nichts dagegen tun kann? Die Revolte wäre vorprogrammiert.
>> Fazit <<
Wir brauchen neue Formen der Organisation unseres Staates. Das heißt konkret: Der gesetzliche Rahmen – die Spielregeln – sollen nach wie vor auf Bundesebene entschieden werden. Und auch die Überprüfung der Einhaltung dieser Spielregeln soll der Bund durchführen. Alles andere soll aber subsidiär auf der niedrigstmöglichen Ebene durchgeführt werden. In Regionen, die jedenfalls kleiner als unsere jetzigen Bundesländer sein sollen, in den Gemeinden, in privaten Vereinen. Dabei soll natürlich nicht jede Ebene alles selber neu erfinden und managen. Einerseits können und sollen sich neue Dienstleister bilden, die für die Durchführung beauftragt werden, andererseits bietet gerade die Technologie Internet die intelligente, einfache und günstige Plattform zur Zusammenarbeit.
Und sollten sich diese kleineren Einheiten dafür entscheiden, mehr oder weniger von einer Dienstleistung oder einer Sozialleistung anbieten zu wollen, dann sollen sie auch die Steuerhoheit dafür haben. Das funktioniert in anderen sehr dezentral organisierten Ländern wie der Schweiz oder den USA hervorragend.
>> Zur Person: Markus Heingärtner hat internationale Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck und Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert. Seit 2007 ist er Geschäftsführer des management club, der Plattform für politisch interessierte Führungskräfte.